Erinnerungen an die Kriegszeit:Zuflucht in Zorneding

ZORN Dr. Ingeborg Römer über den Krieg

Ingeborg Römer berichtet über ihre Kindheit im Krieg, in diesem Haus fand sie Zuflucht vor den Bomben.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die frühere Lehrerin Ingeborg Römer erzählt von ihrer Abschiebung aus Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg

Von Viviane Rückner, Zorneding

Deutscher sein in Österreich, damit verbinden die meisten Wandern, Skifahren und gemütliche Hotels mit gutem Essen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit indes bedeutete dies oft: Abschiebung. In Jeeps und Viehwaggons wurden Deutsche aus Österreich abtransportiert. Eine, der dies passierte, ist Ingeborg Römer. Bei einer Veranstaltung des Heimatkundekreises im Gasthof Neuwirt erzählte sie nun von ihrem Leben während des Zweiten Weltkriegs, ihrer Deportation aus Österreich nach Kriegsende und wie sie ihr Leben Mitte der 1960er Jahre in Zorneding wieder aufbaute.

Es ging nicht um die furchtbaren Gräueltaten im Dritten Reich, nein, diesmal nicht. Es ging um das Leben eines jungen Mädchens, das 1931 in München geboren wurde. "Ich bin fröhlich aufgewachsen, zwar sparsam und schlicht, aber ich war glücklich", erzählte Römer. Als sie sechs Jahre alt war zog sie mit ihrer Familie nach Berlin, ein Jahr später nach Wien. Hitler war zu dem Zeitpunkt bereits seit vier Jahren an der Macht, doch damals hatte noch keiner an ihm gezweifelt, erinnerte sie sich bedrückt. 1940 kamen die Bombenangriffe auf große Städte dann immer näher. In der Schule lernten sie, wie sie sich zu verhalten haben, wenn sie in einem Bunker sind - nicht reden, sonst geht der Sauerstoff zu schnell aus - und wie Klopfzeichen zu geben sind. "Der Boden hat so stark gewackelt, obwohl die Bombe nicht im Haus über dem eigenen Kopf eingeschlagen ist. Ich wusste nicht, dass Beton so stark wackeln kann", erzählte Römer.

Ingeborg Römer schaffte es mit ihren Erzählungen, alle Anwesenden in ihren Bann zu ziehen. Als wäre man selbst dabei gewesen, so intensiv schilderte sie ihre Angst, ihre Hoffnung und Details einer schrecklichen Zeit. Etwa, dass Kinder Kettchen mit ihren darauf eingravierten Personalien tragen mussten, um ihre Leichen im Notfall identifizieren zu können.

Als der Krieg endlich ein Ende fand, besetzten die Amerikaner Österreich. Römers Familie fing an, sich ein neues Leben aufzubauen. Doch dann kam die erste schlimme Nachricht, berichtete Römer mit gefasstem Gesichtsausdruck. Ein amerikanischer Oberst wollte mit seiner Familie in ihr Haus einziehen und sie waren gezwungen es binnen 24 Stunden zu räumen. Im Rathaus wurden sie neu zugeteilt und mussten bei Fremden auf dem Wohnzimmerboden schlafen. "Dann die zweite schlimme Nachricht": Sie wurden ausgewiesen, nach München. Würden sie dem Aufruf nicht folgen, hätten sie die Wohnung und ihre Lebensmittelkarten verloren, erklärte Römer. Sie, als Immigranten, würden Österreicher Essen und Wohnungen wegnehmen, erzählte Römer kopfschüttelnd, so hatte es der Kurier damals ausgedrückt. Das fehlende Mitgefühl und mangelnde Bemühen, Immigranten zu integrieren, schockiere sie auch heutzutage.

Zusammen mit anderen Frauen und Kindern mussten sie auf die Ladefläche von Jeeps steigen, doch wider Erwarten wurden sie nicht nach München gebracht, sondern in ein ehemaliges Gefangenenlager. Erst nach Tagen, ohne Betten oder richtige Duschen oder Toiletten, ging es in Viehwaggons weiter Richtung München. Der Anblick der völlig zerstörten Stadt war schockierend, erinnert sich Ingeborg Römer und zeigte dem Publikum Fotos, wie die Stadt nach dem Krieg ausgesehen hatte. Heute ist München ganz in Trümmern unvorstellbar, die Anwesenden nickten beklommen bei den Bildern. Durch diese und vor allem durch die Erzählungen der Referentin, kam die Verwirrung und die Angst, die alle Betroffenen damals verspürt haben müssen, deutlich heraus. Als sie nach Tagen endlich in München ankamen, sollten sie in einem Flüchtlingslager in Moosach unterkommen. Doch Römer und ihre Mutter flohen in Laim, um zu ihrer Großmutter zu gelangen.

Noch während der Schulzeit lernte sie ihren Ehemann Anton Römer kennen, den sie 1951 heiratete, er starb bereits im Jahr 1994. Gemeinsam zogen sie drei Kinder groß. 1965 bekam sie dann die Chance, wie viele andere Altabiturienten, zu studieren, welche sie mit dem Einverständnis ihres Mannes ergriff und so Lehrerin wurde. Zur gleichen Zeit bauten sie sich ein Haus in Zorneding - an der dortigen Hauptschule war Ingeborg Römer lange Jahre Lehrerin - und sich ein neues Leben einrichteten. "Mein Leben hat sich eigentlich immer in 20 Jahres-Schritten abgespielt", erzählte Römer, "1931 geboren, 1951 geheiratet, 1971 Lehrerin geworden und 1991 in Rente, um meinen Mann zu pflegen."

Sie sei dankbar dafür, sich hier in Zorneding ein so tolles Leben aufgebaut haben zu können, berichtete sie. Auch heute noch ist sie sehr aktiv, hat vor sechs Jahren ihr Studium in mittelalterlicher isländischen Literatur abgeschlossen und ist begeisterte Islandreisende - sie war bereits 16 Mal auf der nordischen Insel, vor allem um ihre Reitkünste zu verbessern.

Ihre interessante Lebensgeschichte hatte Ingeborg Römer aber bislang nur ihren Kindern und Enkeln erzählt. Auf die Idee dies auch vor Publikum zu tun, sei sie im vergangenen Jahr beim Besuch einer Fotoausstellung des Heimatkundekreises gekommen. Eine sehr spontane Entscheidung sei dies gewesen, sagt Ingeborg Römer, "wie die Jungfrau zum Kind, kam ich zu diesem Vortrag".

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