Stromnetze im Kreis:Landratsamt plant Rekommunalisierung

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Unter der Federführung des Landratsamtes nimmt ein großes Projekt Formen an: Die Rekommunalisierung der Stromnetze. Ob der Plan aufgeht, liegt vor allem am Willen der Städte und Gemeinden.

Von Thorsten Rienth, Ebersberg

Die großen Energiekonzerne haben ihre Rechtsabteilungen längst in Stellung gebracht. Sie fürchten um ihre sicheren Umsätze. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Als Frankreich nach dem verlorenen Krieg von 1871 das Äquivalent von heute einigen Milliarden Euro an das Deutsche Kaiserreich zahlen musste, lösten die Reparationen einen vorher nicht gekannten Wirtschaftsboom aus. Gründerzeit nennen Historiker diese Epoche. Seit gut zehn Jahren gibt es in Deutschland eine neue Gründerzeit. Das Motto heißt: "Rekommunalisierung der Daseinsvorsorge" - Städte und Gemeinden schicken sich an, etwa die Privatisierung der Stromversorgung rückgängig zu machen. Im Landkreis nimmt das Ansinnen langsam Konturen an.

Hans Gröbmayrs Auftrag kommt vom Kreistag, für den Klimaschutzmanager des Landkreises also von ganz oben. "In Zusammenarbeit mit den Landkreisgemeinden soll eine Rekommunalisierung der Netze (. . .) geprüft und im Falle einer möglichen wirtschaftlichen Umsetzung angestrebt werden", beschloss das Gremium in seiner April-Sitzung des vergangenen Jahres.

Jetzt loslegen oder 15 Jahre warten

Dass der Auftrag kam, ist kein Zufall. Ein Blick auf die Karte des Landkreises und die Jahreszahlen der auslaufenden Konzessionsverträge der Gemeinden genügt. Der Zeitpunkt des Votums ist gewissermaßen logische Konsequenz. Beim Großteil der Landkreisgemeinden enden die aktuellen Stromnetzverträge vor dem Jahr 2022. Die Neuausschreibungen der Konzessionsverträge müssen die Gemeinden zwei Jahre vorher bundesweit bekannt machen. "Jetzt wäre also die Zeit, loszulegen", sagt Gröbmayr. Verstreicht das Fenster, müssten für den nächsten Anlauf zwischen 15 und 20 Jahre vergehen.

Gröbmayr und Kollegen machten sich also an die Arbeit. Recherchierten, rechneten, sprachen mit Anwälten. Vor allem letztere spielen in der Sache eine Schlüsselrolle. Das zugrunde liegende Energiewirtschaftsgesetz ist hochkomplex. Und die Altkonzessionäre, also die großen Energieunternehmen, haben ihre Rechtsabteilungen längst in Stellung gebracht. So deutlich würden es die Konzerne zwar nicht sagen. Aber freilich fürchten sie um attraktive - weil langjährige und sichere - Umsätze.

Komplex, umfangreich und groß

Ein Jahr nach dem Kreistagsbeschluss gibt es seit ein paar Tagen einen ersten Zwischenstand. Wenn man will, könnte man es eine Machbarkeitsstudie nennen. Ihr Credo erläuterte Gröbmayr unlängst dem Energiebeirat des Grafinger Stadtrats: "Wir kommen zu dem Schluss, dass das machbar ist."

Das Landratsamt meint es ernst. Sonst würde es - wie vergangene Woche geschehen - kaum mehr als 400 Stadt- und Gemeinderäte aus dem Landkreis in den Ebersberger Sparkassensaal zu zwei großen Informationsrunden einladen. "Unglaublich interessant" sei das gewesen, berichtete nachher ein Teilnehmer. "Aber auch unglaublich komplex, umfangreich und groß."

SZ-Grafik (Foto: ipad)

Der große Plan funktioniert nur mit großer Beteiligung. Sind - geografisch betrachtet - ein paar Randgemeinden nicht von Anfang an mit dabei, ist das in den Augen von Gröbmayr noch verkraftbar. "Aber mindestens die großen und zentralen Gemeinden müssen klar dahinterstehen." Inwieweit das der Fall ist, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Denn die Frage nach der Rekommunalisierung wird nun sukzessive in jedem Stadt- und Gemeinderat des Landkreises auf der Tagesordnung stehen.

51 Prozent sollen in kommunaler Hand liegen

Je weiter dieser Prozess voranschreitet, desto detaillierter geht es auch ins Zahlenwerk. Bislang sind die Fragestellungen sehr abstrakt. In welcher Höhe könnten Mittelzuflüsse aus dem Netzbetrieb in Zukunft an eine kommunale Netzgesellschaft abgefährt werden? Oder wie hoch könnte die Rentabilität des eingesetzten Eigenkapitals sein? Nach und nach wird sich all das mit Zahlen füllen. Und zeigen, ob aus der Skizze, die das zurzeit noch alles ist, ein richtiger Plan wächst.

Einen wirklich klaren Fingerzeig gibt bislang nur der grundsätzliche Aufbau der landkreislichen Netzgesellschaft. Über die Genossenschaft REGE (Regenerative Energie Ebersberg eG) und die Gemeinden sollen 51 Prozent in kommunaler Hand liegen. 49 Prozent sollen für die technische Seite des Netzbetriebs an einen oder mehrere noch zu bestimmende Partner gehen. "Dadurch wollen wir die Expertise von Leuten mit ins Boot bekommen, die das Geschäft kennen und können", erklärt Gröbmayr.

Gegner der Rekommunalisierung führen finanzielle Risiken an

Von ungefähr kommt der Ansatz nicht. Zwar in überschaubarem Maße - aber es gibt tatsächlich Rekommunalisierungsprojekte, die reichlich schief liefen. Und bei denen Gemeinden ernsthafter finanzieller Schaden entstanden war. Gegner der Rekommunalisierung führen dies gerne als Beispiel dafür an, dass die Vorhaben für Gemeinden und Landkreise wohl doch eine Nummer zu groß seien. Die Befürworter halten für gewöhnlich dagegen: Wie so oft bei Großprojekten hätten halt die ersten das Lehrgeld bezahlt.

Man sei auf der Hut, heißt es dazu aus dem Landratsamt. Das empfiehlt sich auch aus historischer Perspektive. Der Boom der Gründerzeit vom Ende des 19. Jahrhunderts dauerte gerade einmal zwei Jahre. Mit dem großen "Gründerkrach" von 1873 war alles wieder vorbei. Übersetzt in die heutige Zeit würde der Begriff wohl heißen: Börsen-Crash.

© SZ vom 17.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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