Ehrenamtliche im Landkreis Ebersberg:Engel des Alltags

Hunderte Ehrenamtliche leisten im Landkreis Ebersberg Tag für Tag wertvolle Arbeit im Hintergrund - in ganz unterschiedlichen Bereichen.

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Quelle: Christian Endt

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Die Weltenübersetzerin

Die Markt Schwabenerin Judith Seibt ist Übersetzerin. Keine, die nur Sprachen übersetzt. Sie übersetzt Welten. Die Kriegswelt in die deutsche Welt. Bei den Markt Schwabener Flüchtlingshelfern leitet sie den Arbeitskreis "Alltagsmanagement". Das Alltagsmanagement ist eine von mehreren Gruppen, in denen die Ehrenamtlichen ihre Hilfe in der Gemeinde bündeln. Das koordinierte Vorgehen ist bitternötig: Fast 300 Flüchtlinge leben zurzeit in Markt Schwaben. 60 in Containern, etwas mehr als 230 in der Turnhalle.

Am Anfang, vor ein paar Monaten noch, hätten vor allem die Grundbedürfnisse gezählt, sagt Judith Seibt. Alles, was im direkten Blickfeld liegt: warme Suppen, passende Schuhe, Küchensachen für die Containerküche, Betten, die aufgebaut werden müssen. Dinge, die akut sind, wenn Flüchtlinge ankommen. Wenn jemand sein Leben in eine Sporttasche gepackt hat und weggerannt ist.

Dann folgt ein Paradoxon: Je mehr dieser Bedürfnisse gedeckt sind, desto größer wird der Aktionsradius der Helfer. Das Blickfeld weicht dem Weitblick. "Anfangsstrukturen sind halt keine Dauerstrukturen", sagt Judith Seibt. Und Alltag ist erst dann richtiger Alltag, wenn er allgegenwärtig ist - nicht physisch, sondern kognitiv. "Dann, wenn sie ihr Umfeld verstehen", erklärt die Flüchtlingshelferin. "Wenn sie sich darin auskennen, wenn sie wissen, wo sie was bekommen. Wenn sie in der Lage sind, ihren Alltag selbst organisieren zu können." Scheinbar banale Dinge sind die Grundlage dafür: Wo sind im Ort die Supermärkte? Welcher ist der mit den Markenprodukten? Welcher der, bei dem es gute Sachen günstig gibt? Verständlichkeiten für den Markt Schwabener, Unbekanntes dagegen für jemanden aus Eritrea, Syrien oder Afghanistan.

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Quelle: Photographie Peter Hinz-Rosin

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Der AK Alltagsmanagement organisiert deshalb Spaziergänge durch die Stadt, in denen die Helfer diese Unterschiede zeigen. Sie nehmen die Flüchtlinge mit zum Fahrkartenautomaten am Bahnhof und erläutern das Tarifdickicht. Was muss für die Fahrt zum Sprachkurs nach München auf dem Ticket stehen? Was, wenn es nur zu einem Bekannten nach Poing gehen soll? Ab wie vielen Fahrten würde sich eine Wochenkarte rechnen? Die Schwierigkeit sei dabei, die richtige Dosis zu finden, sagt Judith Seibt: "Man kann jemanden mit Informationen auch überrennen."

Judith Seibt ist Mutter von drei Kindern und berufstätig. Ihren freien Tag, den Montag, verbringt sie in der Dreifachturnhalle im Franz-Marc-Gymnasium oder den Containern. Nebenher macht sie ihren Kindern Beine, damit die erst ihre Hausaufgaben machen und erst dann Spielen gehen. Und wenn es in Sachen Flüchtlinge etwas zu organisieren gibt, dann ist das meistens abends. Alltagsmanagement hört eben nicht einfach auf, nur weil Geschäfte gerade schließen oder Behörden nicht mehr geöffnet haben.

Warum das alles? Es sind die Gründe, die von Helfern so oft zu hören sind. Weil zuschauen nicht weiterhelfe. Weil es irgendjemand ja machen müsse. Weil Unterstützung wichtig sei, Menschlichkeit, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft. "Aber auch, weil es mir wirklich etwas zurück gibt." Einerseits Dankbarkeit, andererseits auch ganz Persönliches: "Man lernt, an seine Grenzen zu kommen, eine Art von Grenze, die wir aus unserem Alltag gar nicht kennen."

Das kann auch mal die Grenze zur Frustration sein. "Wenn ich mich zum Beispiel frage, ob der dieses oder jenes jetzt wirklich nicht verstanden hat - oder ob es einfach nur Bequemlichkeit ist?" In Sachen Menschenkenntnis, da seien sie hier alle wahnsinnig gewachsen.

Thorsten Rienth

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Quelle: Christian Endt, Fotografie & Lic

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Immer auf Abruf

Wenn es einen Alarm gibt, ist Christoph Mainusch meistens einer der Ersten, die einsatzbereit sind. Seit ein paar Monaten wohnt er nämlich direkt im Feuerwehrhaus. Sechs Wohnungen gibt es dort, die bevorzugt an Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr vermietet werden. Der 21-Jährige ist als Zwölfjähriger zur Jugendfeuerwehr gekommen, seit fünf Jahren fährt er mit zu Einsätzen. Besonders ist ihm ein Feuer im Zentrallager eines Mineralölkonzerns im Gedächtnis geblieben. Mit Atemschutzgerät ging er in das brennende Gebäude. "Es war alles voll mit schwarzem, dichten Rauch, wegen schmorender Kabel. Ich bin mit einer Wärmebildkamera voraus und habe den Brandherd lokalisiert."

Viele Einsätze haben allerdings mit Feuer nichts zu tun. So wie ein schwerer Verkehrsunfall im Ebersberger Forst im vorigen Jahr. Mainusch hat mit dem Spreitzer einen Schwerverletzten aus dem Auto befreit. "Da funktioniert man wie eine Arbeitsmaschine. Die Gedanken kommen erst hinterher." Das Unfallopfer überlebte nicht. "Nach solchen Einsätzen setzen wir uns in der Gruppe zusammen und reden darüber." Das Gemeinschaftsgefühl ist für den Zimmermannslehrling das Schönste an der Feuerwehr. Nervig sei dagegen, wenn er mit seiner Freundin beim Essen sitzt und sich der Alarm später als Falschmeldung herausstellt: "Eine halbe Stunde ist man trotzdem weg." Da brauche es viel Verständnis vom Partner.

Christian Endt

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Quelle: Peter Hinz-Rosin

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Die Lust auf Bücher wecken

Kinder beim Lesenlernen zu unterstützen, "natürlich ist das nur eine kleine Kleinigkeit", findet Martina Merker, "aber trotzdem ist es etwas Gutes". Würde jeder nur eine Kleinigkeit machen, sei es eben kein Tropfen auf dem heißen Stein mehr.

Die 48-jährige Ebersbergerin engagiert sich sowohl als Schulweghelferin als auch bei den Lesepaten, letzteres seit zirka sieben Jahren in der Grundschule Ebersberg. Ursprünglich hatte sie die Hoffnung, mit ihrer Unterstützung auch ihren jüngeren Sohn zum Lesen zu bringen, "das hat leider nicht hingehauen". Mit den Lesepaten aufhören will Martina Merker aber auf keinen Fall. Die Kinder, mit denen sie lesen übt, kommen aus unterschiedlichen Gründen: "Die einen werden von ihren Eltern geschickt, weil sie üben müssen."

Manchmal sei in den Elternhäusern Deutsch nicht die Muttersprache, manchmal fehle schlichtweg die Zeit, um abends mit den Kindern noch lesen zu üben. Aber es gibt auch Kinder, die Spaß am Lesen haben und deshalb freiwillig länger in der Schule bleiben. Die Lehrer achten drauf, dass die Unterschiede im Leseniveau innerhalb der Gruppen nicht allzu groß ist - "wir sind ja nicht ausgebildet", sagt sie.

Momentan betreut Martina Merker zwei Gruppen. Eine Gruppe besteht aus vier Drittklässlern, die andere aus drei Zweitklässlern. "Die optimale Gruppengröße ist für mich, wenn man drei Kinder gleichzeitig betreuen kann", so die zweifache Mutter. "Dann kann man auf Kinder, die besondere Zuwendung brauchen, besser eingehen."

Einmal die Woche nach dem Unterricht treffen sich die Lesepaten mit den Kindern. Von den Herbst- bis zu den Pfingstferien läuft die Betreuung offiziell. "Einmal hatte ich aber eine Gruppe, die am Anfang überhaupt keine Lust hatte", erinnert sie sich. "Aber dann sind wir so weit gekommen, dass die Schüler von sich aus darum gebeten haben, dass wir weitermachen bis zu den Sommerferien." Da habe sie nicht Nein gesagt. "Das war ein tolles Erfolgserlebnis."

Annalena Ehrlicher

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Quelle: Peter Hinz-Rosin

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Jungen Menschen den Weg weisen

Andere dort unterstützen, wo er selbst sich glücklich schätzen konnte: Das war Klaus Wintermanns Ziel, als er in den Ruhestand gegangen ist. "Ich habe 42 fantastische Berufsjahre gehabt", sagt der ehemalige Geschäftsführer einer IT-Firma. Das gibt er nun Jugendlichen als Pate beim Katholischen Kreisbildungswerk Ebersberg (KBW) weiter. Das Projekt stellt jungen Menschen ohne berufliche Perspektive während der Schulzeit und im ersten Ausbildungsjahr einen Paten an die Seite. Der berät, zeigt neue Perspektiven auf und lässt sie an seiner Lebenserfahrung teilhaben.

Wintermann betreut zwei Jugendliche, einer davon hat voriges Jahr eine Ausbildung begonnen. Wintermann gibt ihnen Nachhilfe in Mathematik und Englisch. Am Anfang der Berufsschule, weiß Wintermann, kommt es immer wieder zu Problemen: "Deshalb begleite ich; damit er nicht gleich vor Frust hinschmeißt." Manche Jugendliche leben in prekären Familiensituationen und haben einiges mitgemacht. Da sei es wichtig zuzuhören: "Ich zeige ihnen, dass da jemand ist, den ihr Leben bewegt."

Manchmal bewegt es sogar zu sehr. "Vor knapp einem Jahr war ich an einem Punkt, an dem ich selbst Hilfe gebraucht habe." Als Vertrauensperson erfuhr der 66-Jährige Dinge, die sein Schützling sonst niemandem erzählte. Vom KBW hat er aber Unterstützung bekommen, um das zu verarbeiten. Trotz dieses Erlebnissen sei es eine tolle Aufgabe. Vor allem, wenn die Noten besser werden und die Begeisterung für die Ausbildung wächst. "Es ist eine große Freude, dass ich mithelfen kann, gewisse Nöte zu lindern."

Jessica Morof

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Quelle: Peter Hinz-Rosin

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Da sein als Mensch

Doris Mittermeier ist seit drei Jahren Hospizhelferin. Wenn man ihr zuhört, dann glaubt man, dass die Aufgabe mehr für sie ist als irgendein ehrenamtliches Engagement. Es gehe ja nicht immer traurig zu, etwa wenn sie Menschen im Altenheim besuche. "Die freuen sich so sehr, wenn man kommt. Ich bekomme unglaublich viel zurück." Ihre eigene Einstellung zum Sterben habe sich dabei verändert, "meine Angst ist kleiner geworden."

Gerade das Dem-Tod-nahe-Sein sei etwas, was in der Gesellschaft nicht mehr gepflegt werde. Früher habe das ganze Dorf im Haus eines Toten Abschied genommen. Genau so hat Doris Mittermeier es als Kind erlebt. In ihrer Arbeit als Krankenschwester hat die 43-Jährige allzu oft gesehen, dass Menschen zum Sterben im Krankenhaus landeten. "Und das hat mich gestört." Als Hospizhelferin versucht sie nun, den Menschen die letzte Zeit zu erleichtern. "Am Ende kommt es darauf an, dass du nicht allein bist."

Manchmal genüge es vorzulesen oder zuzuhören. "Als Krankenschwester willst du ja immer etwas tun, irgendein Medikament geben. Als Hospizhelferin aber muss ich nur da sein, einfach als Mensch." Helfen wollte Doris Mittermeier schon immer. Krankenschwester war ihr Wunschberuf. Mit 16 absolvierte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Altersheim. "Da hatte ich zum ersten Mal Kontakt mit dem Abschiednehmen." Was ihr heute noch nicht leicht fällt, "ich weine oft." Und doch sind da diese Augenblicke, die sie kaum beschreiben kann. "Ich habe nur diese Hand gehalten, und da war auf einmal etwas ganz Besonderes da."

Alexandra Leuthner

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Quelle: Christian Endt

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Zeit schenken

Irmengard Rohde hat keine Angst vor dem Tod. "Der gehört zum Leben doch dazu, und was danach kommt, weiß sowieso keiner". Eine Einstellung, die Rode zur perfekten Begleiterin für Senioren macht, weil sie bei diesen Themen keine Berührungsängste kennt. Im Gegenteil: Immer wieder liest sie Bücher übers Sterben.

Seit zwei Jahren geht die 49-Jährige regelmäßig ins Glonner Marienheim und besucht dort zwei Männer, die sonst niemanden haben. Keine Verwandtschaft, keine Freunde. Ihnen schenkt Rhode Zeit, Aufmerksamkeit und menschliche Wärme, meist steht ein Ausflug mit dem Rollstuhl auf dem Programm. "Und wenn sie sich am Ende dafür ganz herzlich bedanken, dann geht das jedes Mal wieder ungefiltert ins Herz."

Die zweifache Mutter aus Schönau, von Beruf Hauswirtschafterin, ist aus eigenem Antrieb zu ihrem Ehrenamt gekommen. Woher kommt dieses Bedürfnis? Vielleicht, sagt Rohde, aus ihren positiven Erfahrungen - mit dem friedlich einschlafenden Großvater und, viel später, mit einem todkranken Vetter. "Als ich ihn das letzte Mal besucht habe, haben wir miteinander gelacht und geweint - das war so schön."

Der eine von Irmengard Rohdes Schützlingen im Marienheim ist noch ziemlich rüstig, der andere kann nicht mehr sprechen, nur noch nicken. Trotzdem, sagt sie, seien das sehr wertvolle Begegnungen. "Ich erzähle ihm einfach, was mir gerade einfällt, und wenn er etwas witzig findet, grinst er." Kurz vor Weihnachten aber war die Freude besonders groß: Rohde hat selbst gebastelte Papiersterne und Plätzchen dabei.

Anja Blum

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Quelle: Christian Endt, Fotografie & Lic

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50 Stunden Ehrenamt pro Monat

"Willkommen!" ruft Claus Nolden in die Runde. Ein Dutzend Menschen warten vor der Kellertreppe der Ebersberger Tafel darauf, dass sich die Tür öffnet. Drinnen richten die anderen Mitarbeiter gerade die Lebensmittel her. Mit einem Lächeln steht Claus Nolden vor den Gästen der Tafel, es sind Menschen, bei denen das Geld nicht für das Nötigste reicht.

Bei Nolden hat es immer gereicht; bis der 63-Jährige in Rente gin,g hat er im Management für eine international tätige Firma gearbeitet. Seit dreieinhalb Jahren hilft er nun bei der Ebersberger Tafel mit, außerdem engagiert er sich im Asylhelferkreis. Kinder haben er und seine Frau keine, da bleibt mehr Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten. Bis zu 50 Stunden im Monat setzt sich Nolden für andere Menschen ein. Auch wenn das manchmal stressig ist: "Wenn 40 Leute hier auf einmal rein kommen, dann geht es ganz schön zu", sagt er. Doch es gebe Kraft, gemeinsam etwas zu schaffen. Der Rentner freut sich über die Unterstützung, die die Tafel erfährt, "erst vor ein paar Tagen hat eine Bäuerin hundert Kilogramm Kartoffeln vorbeigebracht". Zur Begrüßung streicht er einer Dame über die Wange, "das ist hier mehr als nur Lebensmittelverteilung. Wir gehen auch gemeinsam in den Zirkus oder ins Museum".

Anselm Schindler

© SZ vom 8.1.2016
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