Theater:Welten tun sich auf

Meta Theater 'Enuma Elisch'

Um alte wie neue Heimat, den Verlust der Orientierung, um Bewahren und Verändern geht es in "Enuma Elisch", der neuen Produktion des Meta Theaters.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bei der Premiere von "Enuma Elisch", einer Produktion des Moosacher Meta Theaters, birst gleichsam die Bühne vor Spielfreude und Lebendigkeit

Von Ulrich Pfaffenberger

Warum sehen wir dich nicht mehr in der Volkstanzgruppe?" "Das ist mittwochs, das geht nicht mehr. Da habe ich jetzt immer Zumba." "Zumba?" - Ein Dialog von universeller Größe. Die Gegensätze sind austauschbar, die Quellen nicht: ältere Generation, jüngere Generation. Bewahrer der Tradition und Veränderer der Tradition.

In diesem Fall sind es ein assyrischer Vater und seine Tochter, beide angekommen in ihrer neuen Heimat Deutschland, beide weniger oder mehr emanzipiert von ihrer alten Heimat im Krisengebiet zwischen Türkei, Syrien, Irak und Iran. Sie stehen auf der Bühne des Meta Theaters in Moosach bei der Premiere des Stücks "Enuma Elisch" und eröffnen gerade im Prolog dem Publikum die Problematik, derer sich das Werk annimmt und die im weitesten Sinn des Wortes "Integration" heißt. Später wird eine andere Schauspielerin den Satz sagen "Hierhin oder dorthin - wo ist das Hier, wo ist das Dort?" und damit das Dilemma offenkundig machen, den Verlust von Orientierung und die Suche nach Zielen: "Wie ein Durst, den man nicht löschen kann."

Das Ensemble dieser Premiere kommt aus Augsburg. Dort besteht seit vielen Jahren der "Assyrische Mesopotamien Verein", zu dessen Zielen es gehört, vereinfacht gesagt, nach Deutschland übersiedelten Landsleuten dabei zu helfen, "hier" Wurzeln zu schlagen. Als Angehörige eines Volks, das es gewohnt ist, staubigem Ackerland Ernten abzutrotzen, haben die Gründer und Mitglieder des Vereins über Jahrzehnte die ihnen anvertrauten Kulturen zusammengebracht. In "Enuma Elisch" ist dabei das inzwischen dritte Theaterstück entstanden, das die Geschichte der Assyrer bewahrt und gleichzeitig ihre weiteren Schritte ins globale Leben begleitet.

Wie es prähistorische Götter- und Heldensagen an sich haben, sind die Szenen des Stücks von Shakespear'scher Finesse. Mit klaren Strichen und leichten Alltagsdialogen bereitet Axel Tangerding, der für die Idee zum Stück und die Regie verantwortlich zeichnet, zunächst den Boden für den Eintritt in die assyrische Kultur. Konflikte zwischen Alt und Jung, zwischen männlichem und weiblichem Rollenverständnis, zwischen dem Klammern an die "gute, alte Zeit" und dem "ich möchte mal die alten Zöpfe abschneiden" - sie prägen den Alltag assyrischer Familien in Deutschland. Zur Mitte des Stücks schlüpft das Ensemble dann in die Rollen einer blutigen Auseinandersetzung im Götterhimmel, an deren Ende ein junger Gottkönig und der Aufbruch in eine neue Zeit stehen: Baut mir Babylon! Die Freude über den glücklichen Ausgang mündet in ein fröhliches Neujahrsfest, das die Assyrer traditionell im beginnenden Frühjahr zum 1. April feiern.

Mit einfachsten Mitteln beim Bühnenbild, dafür aber einem mitreißend eindringlichen Spiel ziehen die Schauspielerinnen und Schauspieler, von der Jüngsten bis zum Ältesten, das Publikum in das Geschehen hinein. Die kleinen Stolperer, die einer Laienbühne passieren: Genau sie sind es, die Lebendigkeit und Echtheit auf den intensiv bespielten Bühnenboden bringen. Hier ist niemand in eine Rolle geschlüpft. Hier fördern Menschen einen Teil ihres Ichs zutage, treten ein in die Auseinandersetzung mit dem Über-Ich, agieren untereinander mit und gegen die Konvention, nehmen spielerisch, aber voller Ernst Anteil daran, wie ihr ganzes Volk wahrgenommen wird - und sich selbst versteht. Da tun sich Welten auf und die Zuschauer sind gefangen von der Eindringlichkeit des Erzählten. Solche Qualitäten sind auf dieser Ebene von Theater alles andere als alltäglich, solche Qualitäten muss man finden. Für dieses Thema, für dieses Stück: ein großes Glück.

"Drei Äpfel fielen vom Himmel", heißt es im Prolog des Stücks. "Einer für den, der die Geschichte erzählt. Einer für den, der sie hört, und einer für den, der sie versteht." Das Publikum bedankte sich für diese Gabe mit begeistertem Applaus.

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