Ebersberg:Wege aus dem Loch

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Patienten-Vertreter Markus Wagner (vorne) und Willi Daniels (links) erläutern die Voraussetzungen für die Schlaganfall-Nachsorge. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Willi Daniels bietet Online-Selbsthilfe für Schlaganfallpatienten

Von Julian Carlos Betz, Ebersberg

Die Teilnehmer der Diskussionsrunde aus Politik, Gesundheitswesen und Helferkreisen reden sich vorab schon mal ein wenig warm, um das mehr als zweistündige Fachgespräch im Landratsamt Ebersberg zum Thema Schlaganfall und Soziale Integration am Mittwochabend auch ausdauermäßig zu überstehen. Alle Seiten bekunden schnell großes Interesse - und das aus gutem Grund.

Selbst in den eigenen Familien fänden die betroffenen Menschen oft kein Gehör mehr, klagt Willi Daniels, selbst vor Jahren von einem Schlaganfall betroffen und nun Initiator der Selbsthilfe "Online in Social Media". Gemeinsam mit Markus Wagner, dem Vize-Präsidenten der Schlaganfallpatienten-Organisation "Stroke Alliance for Europe", erklärt der Steinhöringer, welche Probleme im Gesundheitssystem vorliegen und wo man ansetzen könnte. Wagner stellt dabei einen aktuellen Bericht zur Fall- und Behandlungslage in der Europäischen Union vor, den "Burden of Stroke".

In Deutschland liege ja eine sehr gute Akutbehandlung vor, lobt Wagner. Auch die Maßnahmen in der Rehabilitation seien zu würdigen. Dennoch gebe es große Defizite in der Langzeitbehandlung. Bestätigt wird er vom Neurologen Hans Gnahn, der auf die stetigen Verbesserungen im Bereich der stationären Behandlung über die letzten Jahrzehnte hinweist. Was nach der Rehabilitation geschieht, die meist nur einige Wochen dauere, sei jedoch höchst problematisch, so Wagner. Die Behandlung ist abgeschlossen, der Patient zu Hause "und dann kommt das Loch", wirft Daniels ein.

Dessen Ansatz ist nun, mittels einer 2011 gegründeten Facebook-Gruppe Betroffene und deren Angehörige zu vernetzen. Er selbst moderiert die Gespräche und gibt auch Auskunft. "Ich bin rund um die Uhr erreichbar", sagt Daniels mit fester Stimme und auch ein wenig stolz. Das sei der Vorteil gegenüber realen Selbsthilfegruppen: "Man erreicht einfach mehr". Wer vielleicht den ganzen Tag über keine Zeit hat, könne so auch am späten Abend noch Fragen und Sorgen im Chat klären.

Leider werde das Problem der Nachsorge auch allgemein unterschätzt, so Daniels. Maßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Schlaganfalls seien dabei von großer Bedeutung. Man müsse endlich wegkommen von der Vorstellung, dass man zum Arzt geht, ein Rezept abholt, sich Pillen geben lässt und dann sei alles getan, so Daniels. Viele Betroffene würden sich beispielsweise kaum bewegen, aus Furcht, das Haus zu verlassen oder aus Bequemlichkeit. "Das sind alles faule Ausreden", erklärt Daniels und Gnahn bestätigt, dass die Lebensstiländerung von Patienten allgemein "das härteste Problem in der Medizin überhaupt" darstelle. Schon jetzt könne Daniels jedoch beobachten, wie sich Gruppenmitglieder durch gegenseitigen Austausch motivierten, gerade wenn es um Bewegung und Aktivitäten geht. Dafür hat er 2014 den Motivationspreis der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe erhalten.

Daniels würde seine Online-Selbsthilfe auch gerne auf reale Betreuung erweitern, doch dafür fehle ihm das Geld. "Seit zehn Jahren bezahle ich das alles aus eigener Tasche", betont er auch im Hinblick auf andere Projekte zum Thema Schlaganfall. Doch im Sozialgesetzbuch sei nur die Förderung von realen Hilfegruppen geregelt, das Internet wäre damals noch nicht berücksichtigt worden. Helmut Platzer, Chef der AOK Bayern, merkt dazu an, dass die für reale Gruppen verpflichtend vorgeschriebenen Fördermittel gar nicht mal voll abgeschöpft würden. Doch ohne Gesetzesgrundlage könne man eben nichts machen.

CSU-Landtagsabgeordneter Thomas Huber regte gegen Ende der Diskussionsrunde an, dass man mit einem Besuch im Gesundheitsministerium das Thema doch ein wenig "aufwerten" könne. Ewald Schurer, Bundestagsabgeordneter der SPD, spricht davon, mit einer "neuen Regierung" vielleicht mehr erreichen zu können. Signale nicht nur zum inhaltlichen Aufbruch. Die beiden Abgeordneten greifen nach ihren Autoschlüsseln, die Sitzung ist beendet.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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