Ebersberg:Vielschichtige Provokation

Reliefs und Bilder mit irritierender optischer Wirkung zeigt die Ausstellung von Martin Spengler in der Alten Brennerei beim Kunstverein Ebersberg

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Gibt es beim Fernsehen eine technische Störung, geschieht auf dem Bildschirm das, was gemeinhin als "Ameisenfußball" bezeichnet wird: Unzählige kleine schwarze und weiße Punkte flirren über die Scheibe und machen den Zuschauer nach wenigen Augenblicken ganz kirre. Eine ähnliche Wirkung haben die Kunstwerke Martin Spenglers: Sie irritieren, flimmern, überreizen den Blick. Ein Bildrauschen, das dem Betrachter nicht nur optisch einiges abverlangt. Alles gewollt, sagt Spengler: "Kunst soll ein Gefühl verursachen - wenn möglich, ein tiefes."

Die weiß getünchten Wände der Alten Brennerei des Kunstvereins Ebersberg, in der Spengler derzeit ausstellt, verstärken den Eindruck des Übergriffigen, Zudringlichen der Reliefs und Bilder noch. Imposant erheben sich etwa die Skulpturen, die dem Kölner Dom nachempfunden sind, und fordern vom Zuschauer rabiat ein Näherkommen. Doch auch bei genauerem Hinschauen wird man nicht schlau aus der Logik der Miniatur-Gebäude: Die filigranen Schnitte erzeugen in Kombination mit der zum Himmel strebenden Ausrichtung der Kirchtürme den Eindruck eines architektonisch unmöglichen Wunderwerks.

Ebersberg: Architektonische Utopie: Imposant erheben sich Spenglers Skulpturen, die oft existierenden Gebäuden nachempfunden sind.

Architektonische Utopie: Imposant erheben sich Spenglers Skulpturen, die oft existierenden Gebäuden nachempfunden sind.

(Foto: Christian Endt)

Spengler spielt mit dem gesunden Menschenverstand, indem er ihm eine ästhetische Utopie präsentiert.

Wie viel Arbeit in seinen Kunstwerken steckt, lässt sich nur erahnen. Fünf Bilder schaffe er pro Jahr, so Spengler, bei einer Sieben-Tage-Arbeitswoche. Für seine Werke fertigt der 1974 in Köln geborene Künstler Blöcke aus Wellpappe an; bis zu 35 Schichten legt er übereinander. Mit einer Art Cutter-Messer arbeitet er sich dann in den Block hinein, wie ein Bildhauer. Alle zwei bis drei Minuten braucht er eine neue Klinge; etwa 200 bis 300 Klingen verbraucht er so pro Kunstwerk. Die fertigen Reliefs übermalt er dann mit Kalkgrund, einer weißen Deckfarbe. Die flackernde Wirkung der Schnitzereien wird durch die Grafit-Zeichnung, mit denen Spengler den Konturen nachspürt, intensiviert.

"Eigentlich dachte ich, diese Arbeitsweise sei meine Idee", erzählt Spengler, "doch dann habe ich herausgefunden, dass mein Urgroßvater - ein Holzbildhauer - etwas ganz Ähnliches gemacht hat, mit Holzreliefs." Dessen Schnitzereien hätten ihn schon als Kind fasziniert. Lange Jahre habe er sie vergessen, bis er sie dann zufällig in einer Truhe wiedergefunden habe.

Nach einer Ausbildung zum Zahntechniker entschied sich Martin Spengler für ein Kunststudium an der Hochschule für Künste in Bremen, das er an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und in München fortsetzte. In seinen Werken mischt sich das Unerklärliche unter das Sichtbare, taucht an manchen Stellen in einer vibrierenden Masse unter. Oder, wie Spengler es formuliert: "Kunstwerke müssen einen an einer Stelle packen, die man nicht genau einordnen kann."

Ebersberg: Optische Täuschung: Martin Spenglers Kunst experimentiert mit Phänomenen der Wahrnehmung.

Optische Täuschung: Martin Spenglers Kunst experimentiert mit Phänomenen der Wahrnehmung.

(Foto: Christian Endt)

Höhepunkt der Ausstellung beim Ebersberger Kunstverein ist in dieser Hinsicht das Bild "La Ola". Spengler erzählt von einem Sammler, der ein Bild aus dieser Serie gekauft und bei sich zuhause an die Wand gehängt hätte. Am nächsten Tag sei er wieder bei Spengler erschienen und habe ihm bestürzt erklärt, er habe nicht bemerkt, was auf dem Bild wirklich zu sehen sei: Eine Masse an Menschen in einem Stadion, die zur La-Ola-Welle die Hände heben. Nur dass die Bewegung im Bild nicht aussieht wie eine fröhliches Hochreißen der Arme, sondern wie ein zielgerader Hitlergruß. Die Familie des Käufers, so Spengler, habe protestierend das Zimmer verlassen. Natürlich habe er das Bild sofort wieder zurück genommen.

Spenglers Reliefs sind eine Provokation auf mehreren Ebenen. Da wäre zum einen die Wahl des Motivs, das mit dem Entsetzen des Betrachters spielt, etwa wenn er in ein Hochhaus aus Wellpappe eine Sollbruchstelle einfügt, die zwingend an das Flugzeug erinnert, das in die Twin Towers gesteuert wurde. Weiterhin die physische Anstrengung, welche seine Werke dem Betrachter abnötigen: Wie beim "Ameisenfußball" braucht das Auge immer wieder Pausen, um dem Sirren standzuhalten. Und dann die optische Illusion, die der Künstler durch das Zusammenfügen inkohärenter Linien erzeugt und so das Gefühl vermittelt, man sei Statist in Lewis Carrols "Alice im Wunderland".

Ebersberg: Der Künstler Martin Spengler spielt gerne mit dem Menschenverstand.

Der Künstler Martin Spengler spielt gerne mit dem Menschenverstand.

(Foto: Christian Endt)

So zeigt ein Bild ein menschenleeres Treppenhaus. In einigen Leerstellen im Hintergrund offenbaren sich kleinere Repliken auf das Treppenhaus, schräg verdichtet und verwoben. Schnell wird klar: Hier stimmt etwas nicht. Auf diese Weise ist Spengler ganz Künstler unserer Zeit; vor allem, wenn er sagt: "Etwas zu schaffen mit großen Leerstellen ist oft schwieriger, als etwas zu überfluten."

"Martin Spengler. Reliefs und Skulpturen" in der Alten Brennerei des Kunstvereins Ebersberg, die Vernissage findet am Freitag, 19. Januar, um 19 Uhr statt.

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