Ebersberg:Vielleicht. Möglicherweise. Eventuell

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Lückenhafte Zeugenaussagen sorgen am Amtsgericht für Skepsis und einen Freispruch des Angeklagten

Von Johanna Feckl, Ebersberg

"Das ist schon so lange her - ich weiß es nicht mehr genau." Die Worte, die ein 24-jähriger Zeuge seiner Aussage voranstellte, beschreiben das Verfahren am Amtsgericht Ebersberg um eine mutmaßlich gefährliche Autofahrt mit Fahrerflucht wohl am besten. Immerhin knapp drei Jahre liegt der Abend zurück, an dem der Angeklagte einen der Zeugen beinahe mit dem Auto umgefahren haben soll. Doch keiner der Anwesenden konnte den Vorfall rekonstruieren; der Geschädigte selbst erschien nicht zur Verhandlung - und der Angeklagte verzichtete ganz auf eine Aussage. Er hatte am Ende Glück und wurde freigesprochen.

Am Tatabend soll der 35 Jahre alte Angeklagte versucht haben, mit seinem Fahrzeug einen Zeugen anzufahren. Nur durch einen schnellen Sprung zur Seite seien diesem keine Verletzungen widerfahren. Außerdem wurde der Angeklagte beschuldigt, bei seinem Fahrmanöver ein Müllhäuschen beschädigt und Fahrerflucht begangen zu haben.

Laut Aussage des 24-jährigen Zeugen waren er und seine Freundin am Tatabend um zirka 23.30 Uhr mit seinem Auto nach Hause gefahren. Kurzzeitig hatte er am Straßenrand gehalten, um auf einen zweiten Wagen zu warten, in dem sich ein Freund mit dessen damaliger Freundin und Bruder befanden. Doch statt dieses Autos habe der Angeklagte hinter dem Zeugen gehalten. Mit einem grellen grünen Licht soll er in das Fahrzeug geleuchtet und den Zeugen geblendet haben. "Im ganzen Auto war es grün", war ein Detail, an das sich der 24-Jährige noch entsinnen konnte. Doch bevor der Zeuge den Angeklagten zur Rede stellen konnte, "ist der schon an uns vorbeigeflitzt". Allerdings in eine Sackgasse. Begleitet vom Wagen der Freunde fuhr der 24-Jährige ihm hinterher. "Wir wollten schließlich wissen, was da los ist", erklärte er.

Wer wann und wo ausgestiegen und wo die Anwesenden aufeinandergetroffen waren - an all dies konnte sich der 24-Jährige bei der Verhandlung nicht mehr erinnern. Ganz bestimmt sei sein Freund, der Geschädigte, aber in der Nähe des Autos des Angeklagten gestanden. Denn als der 35-Jährige mit durchdrehenden Reifengefahren sei, habe der sich nur durch einen reflexartigen Sprung zur Seite retten können. "Das habe ich gesehen", sagte der Zeuge. Außerdem soll es einen Schlag vom Geschädigten gegen das Fahrzeug des Angeklagten gegeben haben: an die Fensterscheibe der Fahrerseite, vielleicht aber auch an eine der hinteren Scheiben. Entweder vor oder nach dem Anfahren des Autos. Allerdings könne es auch sein, dass es einen Stoß gegen die Motorhaube - und vielleicht noch einen weiteren gegen die Fensterscheibe - gab. Vielleicht. Möglicherweise. Eventuell.

Auch die geladene Polizistin, die damals die Zeugenaussagen aufgenommen hatte, konnte keine Abhilfe schaffen: "Aus der Erinnerung kann ich nichts mehr sagen." Nur an den Schaden des Müllhäuschens erinnerte sie sich noch. "Da gab es mehrere Kratzer." Auf Anraten der Staatsanwältin wurde der Prozess dann schließlich unterbrochen. "Das ist schwierig, weil die Erinnerung der Zeugen so schlecht sind", sagte sie und zeigte sich skeptisch. Das Gericht einigte sich deshalb darauf, erst nach Hörung der vier anderen Zeugen an einem zweiten Verhandlungstag ein Urteil zu fällen. Doch auch diese konnten beim nächsten Termin kein Licht in den verschwommenen Sachverhalt bringen. Wie bei den beiden ersten Zeugen waren ihre Erinnerungen zu unsicher und lückenhaft für eine Klärung.

Die abschließende Aussage einer psychologischen Sachverständigen konnte zwar auch nichts zur endgültigen Darstellung des Tathergangs beitragen, jedoch immerhin die Schuldfähigkeit des Angeklagten klären. Denn einige Tage nach dem Vorfall sei dieser stationär aufgenommen worden, da er "eine Gefahr für sich selbst darstellte und mit Beeinträchtigungsängsten zu kämpfen hatte". Weiter sagte die Sachverständige aus, dass dem 35-Jährigen vor mehr als 15 Jahren eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden war. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass er zum Zeitpunkt des Vorfalls einen erneuten Schub seiner Krankheit hatte." Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Verteidiger plädierten daraufhin auf einen Freispruch, dem die Richterin mit ihrem Urteil zustimmte.

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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