Ebersberg:Über allem schwebt Zorneding - und das Ego

Der Wechsel an der Spitze des CSU-Kreisverbands von Angelika Niebler zu Thomas Huber beginnt euphorisch. Dann kommt Sylvia Boher

Von Thorsten Rienth

Das große Schaulaufen, für das ungefähr eine halbe Stunde Zeit bleibt, beginnt links hinten. Von hier aus geht es wie in einer übergroßen Schlangenlinie durch die Tischreihen. Mal ein Augenzwinkern. Dann ein Winken. Dort eine geschüttelte Hand. Ein Klaps auf die Schulter. Servus beieinander. Derjenige, der durch die Gänge im Ebersberger Stadtsaal schreitet, beherrscht den Ablauf wie im Schlaf. Er ist einer der wenigen, die den Smalltalk mit der Bundeskanzlerin genauso gut hinkriegen, wie mit dem einfachen Delegierten eines CSU-Ortsverbands: Thomas Huber, heute Vorsitzender des CSU-Kreisverbands Ebersberg.

Der Vormittag, an dem die Show beginnt, ist der des Samstags, 18. April 2015. In der Kreisstadt trifft sich die Kreis-CSU zur Vollversammlung. Die Delegierten wählen einen neuen Kreisvorsitzenden. Die Frage, wer die Abstimmung gewinnt, ist nicht spannend. Huber ist der einzige Kandidat. Spannend ist das Ergebnis. 94,5 Prozent erhält der Grafinger. Es herrscht Euphorie im CSU-Kreisverband. Der Wechsel ist geglückt.

Kein Dreivierteljahr später ist die Begeisterung zu Ernüchterung geworden. Die damalige Zornedinger CSU-Vorsitzende Sylvia Boher teilt im Zorneding-Report aus. Sie hetzt gegen Flüchtlinge, schimpft über die Hilfsbereitschaft vieler Deutscher und sieht die Gefahr eines Gottesstaats. Die Münchner Neonazi-Szene klatscht Applaus. In Zorneding und im Landkreis, innerhalb wie außerhalb der CSU, bricht ein Sturm der Entrüstung los.

Doch der neue CSU-Kreisvorsitzende nimmt Boher in Schutz. Deren Aussagen seien zwar "sehr pointiert und zugespitzt". Aber im Parteiblatt werde eben keine Zensur geübt. Das Attribut der Fremdenfeindlichkeit oder des Rechtspopulismus sieht Huber nicht erfüllt. Er setzt darauf, dass bald andere Themen die Schlagzeilen bestimmen.

In seinem Heimatortsverband, der früher einmal lange in zwei Lager zerstrittenen Grafinger CSU, ging diese Taktik stets auf: Lieber keine klare Stellung beziehen. Es beiden Seiten recht machen. Sich mit niemandem anlegen. Alles fügt sich, irgendwie. Doch in der Kreis-CSU fügt sich überhaupt nichts. Denn aus dem Zornedinger Ortsvorstand kommt die nächste rassistische Entgleisung. Diesmal keilt Bohers damaliger Stellvertreter Johann Heindl gegen Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende, einem gebürtigen Kongolesen. Erst als Landrat Robert Niedergesäß im Bayerischen Rundfunk Klartext redet und personelle Konsequenzen fordert, schließt Huber sich an. Wenige Tage später treten Boher und Haindl von ihren Ämtern im CSU-Ortsvorstand zurück.

Im Februar, als Pfarrer Ndjimbi-Tshiende wegen Morddrohungen die Kirchengemeinde verlässt, kocht die Angelegenheit erneut hoch. CSU-Bezirkschefin Ilse Aigner und Huber fordern Boher in einem gemeinsamen Brief auch zum Rücktritt aus dem Gemeinderat auf. Doch Boher denkt gar nicht daran. Aigner und Huber sind brüskiert.

Während Huber außerhalb der CSU für den laschen Umgang mit Rechtspopulismus in seinem Kreisverband weiter kritisiert wird, stellt sich seine Vorgängerin Angelika Niebler demonstrativ hinter ihn. "Thomas Huber hat das gut gemacht, es wurde intensiv diskutiert, alles aufgearbeitet." So sieht Zweckoptimismus aus.

Zorneding und die Causa Boher verdunkeln auch deshalb Hubers erste Jahresbilanz, weil er dem Kreisverband keinen inhaltlichen Stempel aufdrücken kann. Statt einer politischen Agenda verstrickt sich der Landtagsabgeordnete im Klein-Klein der Lokalpolitik. Mit der Forderung nach einer Gurtpflicht in Schulbussen etwa, von der bald keiner mehr redet. Genau wie über den damit verknüpften Vorschlag, einen gestaffelten Unterrichtsbeginn einzuführen. Gibt es eine Einbruchsserie, lädt Huber sich zum Gespräch mit der Polizei ein.

Einzelfälle sind das nicht. Erst vor ein paar Wochen lässt er per Pressemitteilung ausrichten, dass der Grafinger Schlittenberg auch nach dem Bau der Ostumfahrung sicher zu befahren sei. Allein: Die als neue Nachricht verkaufte Entwarnung ist mindestens so alt wie der Planfeststellungsbeschluss der Trasse, nämlich fast sechs Jahre.

Selbst Parteikollegen sind deshalb unsicher, ob der Landtagsabgeordnete da gerade ernst gemeinte inhaltliche Vorschläge verschickt. Oder ob es seiner Ansicht nach einfach einmal wieder Zeit für Hallo war. Oder für irgendeine andere Aktion, die Aufmerksamkeit beschert. Zum Beispiel so eine wie die staatstragend angekündigte Mitgliedergewinnungsoffensive "2016 in 2016". Mindestens 2016 Mitglieder solle der Kreisverband im Jahr 2016 zählen. Ein sportlicher Plan, den Huber bei seiner Wahl im Stadtsaal vorstellt. Damals war die Liste deutlich unterhalb der 2000er-Marke zu Ende. Erstaunlich ruhig ist es inzwischen um den Plan geworden.

Es sind Dinge wie diese, die verdecken, dass Huber als einer der versiertesten politischen Köpfe im Umkreis gilt. Als einer der engagiertesten sowieso. Selbst parteipolitische Gegner stellen beides regelmäßig heraus. Unlängst beispielsweise die Grafinger Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne). Sie sei unglaublich dankbar dafür, mit Huber einen direkten Kanal hinauf auf die Landesebene in der Stadtrats-Mannschaft zu haben. "Der kniet sich da echt rein - und erreicht was."

Als der CSU-Kreisvorstand den Grafinger vergangenen Jahres als Nachfolger von Angelika Niebler vorschlug, analysierte ein Beobachter: "Der Mann ist wahnsinnig kompetent. Das Problem ist nur, dass er es bei jeder Gelegenheit zeigen möchte." Ein Jahr später sind die Sätze aktueller denn je.

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