Ebersberg:Tekles Traum

Podium gegen Rassismus Altes Kino

Podiumsdiskussion Integration durch Sport (von links): Dominic Meyer, Rainer Koch, Martina Eglauer, Louisa Wagener, Saskia Hahn und Alexes Feelmo.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Louisa Wagener präsentiert ihren Film "In our Country" mit Podiumsdiskussion im Alten Kino

Von Viktor Sattler, Ebersberg

− Gleich zwei filmreife Duelle waren in der letzten Woche bis zum letzten Platz besetzt: der FC Bayern gegen den Erzrivalen Dortmund in der Allianz Arena − und der TSV Ebersberg gegen den Erzrivalen Grafing im Alten Kino. Das letztere, fiktive Match bildet den Höhepunkt von Louisa Wageners Abschlussfilm "In Our Country", der am Freitagabend seine öffentliche Premiere feiern durfte. In nur 30 Minuten Filmdauer reicht die Geschichte aber weit über die 90 Minuten Spielzeit hinaus: Sie erzählt von dem aus Eritrea geflohenen Teklebrhan, kurz Tekle, der als neuer Abwehrspieler im TSV Ebersberg ein paar beinharte Zweikämpfe austragen muss, auf dem Feld und mit sich selbst.

Wie der Sport Tekle zur Aufnahme in die Gesellschaft verhilft, beleuchtete DFB- Vizepräsident Rainer Koch vor Filmbeginn in einem Impulsvortrag. "Dem Ball ist es egal, wer gegen ihn tritt. Der will sogar, dass alle gegen ihn treten", erklärte er. Und auch der Deutsche Fußball-Bund wolle, dass endlich alle den Ball treten dürfen, damit der Sport seine verbindende Wirkung entfalten und eine Wertegemeinschaft etablieren könne: Ein Bündnis "all derer, die Fußball lieben", so Koch. Das wären immerhin an jedem Wochenende mehr als eine Million Menschen, die es als Amateurspieler und Zuschauer auf Fußballplätze in ganz Deutschland zieht. Auch die 200 Gäste im Alten Kino ermutigte Koch, als "Stürmer und Abwehrspieler gegen Braun" zu spielen und der "gesellschaftlichen Mammutaufgabe Integration" zu begegnen. Ärgerlich war nur, wie Rainer Koch offen zur Schau stellte, dass seine Rede für ihn geschrieben worden war − und er etwa das Lob für "In Our Country", wie er es vorlas, "erst noch überprüfen musste." Damit büßte er an Glaubwürdigkeit ein. Gut also, dass das gespannte Publikum und Koch nun endlich selbst sehen durften, ob das Lob verdient ist. "In Our Country" war zuvor auf dem Festival "Flimmern und Rauschen" von der Jury, sowie auf dem Landshuter Kurzfilmfestival vom Publikum ausgezeichnet worden.

Produzentin Saskia Hahn erzählte, ihnen sei bei der Umsetzung besonders am Realismus gelegen. Deshalb war Wageners Drehbuch auf Grundlage von Erfahrungsberichten entstanden. "Wir wollten uns bei einem so brisanten Thema nicht die Finger verbrennen", verriet Wagener. Tekle-Darsteller Alexes Feelmo, der mit sieben Jahren aus Eritrea nach Deutschland kam, habe für die Rolle außerdem Parallelen zu seinem eigenen Leben verwenden können. Das Ergebnis ist sehr ehrlich und dadurch berührend geworden: Tekles Alltag auf den Pritschen und in den Containern der Hilfsunterkunft wird so unverblümt geschildert wie der heillose Arbeitsstress seines Betreuers (Joseph Hannesschläger) oder der latente Rassismus, der Tekle beim TSV Ebersberg von Spielführer Cosimo (Nick Romeo Reimann) entgegenschlägt. Anton (Toto Knoblauch) bleibt lange Zeit Tekles einziger Freund und wird dafür gehänselt. Dabei ist Tekle ja selbst nur ein Mensch, der seine Fehler hat. Jede Minute trägt er das Fluchttrauma mit sich herum, das Zurücklassen seines sterbenden Bruders Robel (Deman Benifer) in Libyen, das in luziden Flashbacks erzählt wird. Davon gezeichnet, begeht Tekle ein Foul auf dem Platz, er schwänzt seinen Berufseinstellungstest, dem Fußball zuliebe − um eines Tages, so hat er es Robel versprochen, ein Tor für den FC Bayern schießen zu können, quasi als der nächste Boateng. Dass die Filmemacher diesen Plan nicht vermessen fanden, sondern Tekle träumen lassen, ist das Schönste an diesem Film.

Für Lacher sorgte die karikierte Erbfeindschaft zwischen dem TSV Grafing und dem TSV Ebersberg, personifiziert im grantigen Trainer Franz (Kabarettist Michael Altinger). Aber auch landschaftliche Perlen Ebersbergs hat Louisa Wagener als Kind der Stadt einfließen lassen und entlockt den Einheimischen im Alten Kino damit einige Seufzer. In der Podiumsdiskussion mit Moderatorin Martina Eglauer erwies sich das junge Team aus Wagener, Hahn und Feelmo als so unkompliziert wie ihr Film: "Jeder hat doch mal Vorurteile", gestand Wagener, "das ist auch in Ordnung, aber dann hat man die Aufgabe, die

zu überwinden." Multitalent Alexes Feelmo, der Tanzlehrer ist und eigene Lieder aufnimmt, kann nicht nur Tekles Liebe zum Fußball nachfühlen − "ich habe beim Fußball Deutsch gelernt", sagt er −, sondern kennt auch manche Animosität aus erster Hand. Nachtragend ist er aber nie. "Manchmal hält noch eine süße, alte Frau in der Bahn ihr Täschchen fester", sagt er und lacht schallend. "Da braucht es Verständnis von beiden Seiten." Und die Chance zum Umdenken.

Wenig Chance zum Denken ließ der geübte Schnellredner Rainer Koch. Immer wenn Dominic Mayer, der Abteilungsleiter Fußball des TSV Ebersberg, aus der Realität berichtete − etwa, dass es in Ebersberg keine Fläche für eine Mädchen-Mannschaft gibt −, holte er sich einen Tadel von DFB-Vize Koch ab: "Das ist schlecht!", fiel Koch ihm gleich ins Wort. "Ja, aber es ist Fakt", gab Mayer zurück. Auch im Dialog mit einer Vertreterin der Regionalen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus übte sich Koch in Pauschalisierung: Dort weiß man aus dem Arbeitsalltag, dass der Fußball in Einzelfällen "männerbündische Elemente"entwickeln kann. Auch Neonazis spielten Fußball. Bei Koch klang es dann, als gebe man dem Fußball die Schuld an der Existenz von Neonazis, deshalb machte er klar: "Mit Neonazis haben wir Zero Tolerance."

Moderatorin Martina Eglauer staunte: "Also normalerweise lockt das Thema Integration nicht so viele hinter dem Ofen vor", sagte sie mit Blick in die vollen Reihen. Das Publikum war nicht nur sehr zahlreich, sondern auch mit einigen Ansprüchen erschienen. "Was ist denn nun die Lösung für all die Probleme in Eritrea?", wollte ein Herr von Alexes Feelmo wissen. Keine leichte Frage. Die Erinnerung an zu Hause, an die nicht enden wollende Angst, übermannte Feelmo dann mitten im Satz. Und Louisa Wagener, die in den letzten Monaten viel recherchiert und mit großer Sorgfalt darüber geschrieben hat, kam, so direkt gefragt, selber etwas ins Schwitzen.

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