Ebersberg:Tanz für das Leben

Beim Integrationstheater im Alten Kino gewähren Flüchtlinge spielerisch Einblicke in ihr Schicksal. Nun ist das Projekt für einen mit 50 000 Euro dotierten Preis nominiert

Von Carolin Schneider, Ebersberg

Sie tanzen, um ihre Situation zum Ausdruck zu bringen. Sie erzählen, um ihre Geschichte zu verdeutlichen. Sie spielen auf der Bühne, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Vor allem aber treten sie auf, um ihren Mitmenschen zu zeigen, was sie bewegt. Das Integrationstheater im Alten Kino verleiht Menschen mit Fluchthintergrund eine Stimme. Nun ist das Projekt nominiert für eine Initiative der Philip Morris GmbH mit dem Namen "The Power of the Arts", und in ihrem Rahmen sollen Projekte, die im Bereich Kunst und Kultur Integrationsarbeit leisten, gefördert werden. Doch es gehe um mehr, erklärt Sprecher Sören Zuppke. Zum einen sei klar, dass im Bereich Integration ein langfristiger Bedarf an Förderung besteht. "Außerdem wollen wir soziales Engagement sichtbar machen."

Für vier integrative Kunstprojekte wurde im Frühjahr die Förderung ausgeschrieben, "kurz nach den Auftritten unserer ersten Produktion", erzählt die Theaterpädagogin Friederike Wilhemi, künstlerische Leiterin des Integrationstheaters. Und weil die Aufführungen ein voller Erfolg gewesen seien - anstatt nur einem gab es drei ausverkaufte Auftritte, "haben wir uns gedacht: Wir sind gerade so erfolgreich, da bewerben wir uns jetzt einfach!" Der Verein "Altes Kino", der die Theatergruppe ins Leben gerufen hat, schickte also sein Bewerbungsformular ab - genauso wie Veranstalter von 150 anderen Integrationsprojekten in Deutschland.

IKO Integrationstheater altes kino ebe

Regisseurin Friederike Wilhelmi will das Projekt Integrationstheater auf alle Fälle fortführen nach dem die ersten Aufführungen auf große Resonanz stießen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Aus dieser Masse an Bewerbungen hat eine siebenköpfige Jury nun zehn Projekte ausgewählt. "Uns war es wichtig, eine möglichst diverse Jury zusammenzusetzen", erklärt Zuppke. Deshalb besteht die Jury aus Männern und Frauen unterschiedlichen Alters mit verschiedenen kulturellen Hintergründen, die sich in Kunst und Kultur auskennen. Nach mehreren Kriterien wurden von der Jury nun die Finalisten bestimmt. "Es geht unter anderem darum, wie die Geflüchteten gestärkt werden, ob das Projekt langfristig angelegt ist und wie kreativ es umgesetzt wird", so Zuppke. In einer zweiten Runde entscheidet die Jury sich nun für vier Gewinner, die dann die Förderung von jeweils 50 000 Euro erhalten.

Als Wilhelmi und ihr Team erfahren haben, dass sie unter den besten zehn Projekten sind, war die Freude groß - aber auch die Aufregung. "Wenn man die Liste der ausgewählten Projekte so anschaut, versucht man, die Hoffnung nicht zu verlieren", sagt Wilhelmi und lacht. Berlin, Hamburg, München, Köln liest man da. Neben einem Projekt aus Weissach in Baden-Württemberg ist das Integrationstheater in Ebersberg das einzige, das nicht in einer Großstadt verankert ist. Aber genau deshalb habe die Theatergruppe die Jury überzeugt, erklärte Zuppke. "Das Integrationstheater ist ein Paradebeispiel für das Engagement im ländlichen Raum." Vor allem, da in Ebersberg viele Menschen mit Fluchthintergrund auf wenige Einwohner treffen. "Es ist toll, wie Flüchtlinge und Einwohner sich beim Integrationstheater auf Augenhöhe begegnen", so Zuppke.

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Die Generalprobe für die Aufführung im Mai im Alten Kino.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Wir wollen den Ebersbergern die Möglichkeit geben, aus der Masse an Flüchtlingen einzelne Individuen kennenzulernen", erklärt Wilhelmi. Dass die Einwohner den Wunsch verspüren, etwas über die Flüchtlinge in ihrer Gemeinde zu erfahren, war nach den Auftritten der Theatergruppe im Mai klar: Die drei Termine waren schnell ausverkauft und die Zuschauer begeistert. Die Themen, die in den Einzelszenen behandelt werden, bestimmten die Flüchtlinge selbst. Die meisten wollten ihre Situation hierhumoristisch darstellen und die Zuschauer zum Lachen bringen. Es gehe um das Aufeinandertreffen von Kulturen, um Spezialitäten wie Schweinebraten und deutsche Pünktlichkeit. Letztere sei "immer ein Thema", sagt Wilhelmi. "Nicht nur in den Szenen, sondern auch während wir üben." Die Proben haben also integrativen Wert, der über die künstlerische Darbietung hinaus geht: "Wir verlassen uns auf die Teilnehmer und verlangen, dass sie pünktlich sind", erklärt die Münchnerin.

In der Gruppe im Mai gab es sogar einen Teilnehmer, der von seiner Flucht berichten wollte. Das sei ein ganz besonders emotionaler Moment gewesen. "Wir setzen solche Szenen aber nicht voraus", erklärt die Theaterpädagogin. "Wenn sich jemand an ein Thema wie Flucht oder Krieg wagen möchte, unterstützen wir ihn jedoch dabei." Wie das beim Auftritt im nächsten Jahr aussehen wird, weiß sie noch nicht. Nachdem einige Teilnehmer der Schauspieltruppe vorgeschlagen hatten, gemeinsam Schuhplatteln zu lernen, hat sie einen Lehrer organisiert, der ihnen die Grundschritte beibringt. "Je nachdem, was die Teilnehmer machen wollen, lade ich Dozenten, etwa Choreografen, Musiker oder Schauspieler, ein." So bekommt die Theatergruppe professionelle Hilfe. Noch professioneller würde es werden, wenn die Integrationstheatergruppe im September die Förderung von "The Power of the Arts" bekommen sollte: Dann würden sie sich technische Hilfsmittel wie Headsets anschaffen, kündigt Wilhelmi an. "Als erstes wollen wir aber den Flüchtlingen ein kleines Honorar bezahlen. Für die ganze Mühe, die sie sich machen."

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