Ebersberg:Stammbuch der Heimat

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Der Landkreis unterhält eine für Bayern einzigartige Dokumentationsstelle mit einer Fülle an Quellen und Literatur zur Geschichte Ebersbergs.

Wieland Bögel

"Wir haben kein Archiv", so lautet die eindeutige Antwort, die man von Norbert Neugebauer erhält, wenn man den Büroleiter des Landrats nach dem Archiv des Landkreises Ebersberg fragt. Doch Geschichtsinteressierte sollten nicht zu früh aufgeben, denn das bedeutet nicht, dass der Landkreis kein "Gedächtnis" hat. Dieses existiert durchaus, darf aber aus verwaltungsrechtlichen Gründen nicht Archiv heißen, erklärt Neugebauer. Denn nur die Gemeinden dürfen und müssen Archive unterhalten, weshalb es im Landratsamt stattdessen eine Kreisdokumentation genannte Einrichtung gibt.

Dieses Kreisgedächtnis ist äußerst umfangreich. Derzeit seien 11 000 Dokumente erfasst, zahlreiche weitere warten noch auf ihre Katalogisierung, erklärt Monika Riederer, die seit zwölf Jahren in der Kreisdokumentation arbeitet und sie seit diesem Jahr leitet. Besonders Schüler und Studenten, aber auch Heimatverbände nutzen die Kreisdokumentation. Doch dessen Bestände stehen allen interessierten Bürgern zur Verfügung. Da die im Nebengebäude des Landratsamtes beheimatete Einrichtung nicht jeden Tag geöffnet ist, sollte man sich allerdings vorher anmelden. Dann allerdings gibt es für Geschichtsinteressierte einiges zu sehen und zu entdecken. Den Kern bildet das Zeitungsarchiv. Sämtliche im Landkreis erschienenen Zeitungen seit 1886 sind dort entweder als Mikrofilm, in gebundener, oder in digitaler Form gesammelt. Als "besonderes Schmankerl" bietet die Dokumentation die Geburtstagszeitung, gegen eine kleine Gebühr kann man sich die Ereignisse am Tage seines Wiegenfestes ausdrucken lassen.

Aber die historischen Zeitungen sind gewissermaßen nur das Kurzzeitgedächtnis des Landkreises, die Kreisdokumentation umfasst weit mehr. Auf vielen Regalmetern lagern historische Schätze aus mehreren Jahrhunderten, das älteste, allerdings nur als Kopie vorhandene Dokument sind die "Annales Eberspergensis". Dieses listet die Äbte des Ebersberger Klosters und deren Vita auf, der erste Eintrag stammt aus dem Jahr 888. Doch auch das älteste Original ist mehrere Jahrhunderte alt: ein Steuerbuch, eine sogenannte Tax-Ordnung, von 1735. Diese Schätze lagern die meiste Zeit in einem Tresor, der selbst schon musealen Charakter hat. Dort finden sich neben der Taxordnung auch Mikrofilme zweier Steuerbücher des Landgerichtes Schwaben, die Originale wurden im Jahr 1417 und 1612 angefertigt.

Daneben gibt es auch viele Zeugnisse der Alltagsgeschichte, sei es ein historisches Plakat, das die vielen Attraktionen der Bezirkstierschau von 1894 anpreist, oder zahlreiche Postkarten, welche die Sommerfrischler vergangener Jahrzehnte erwarben. Einige der über 100 Jahre alten "Grüße aus Ebersberg" zeigen noch den ersten, den hölzernen Aussichtsturm, andere den beschaulichen Marktflecken Ebersberg, die "Perle des Münchner Ostens", um die Jahrhundertwende. Auch viele historische Fotografien sind gesammelt und ermöglichen einen Blick in die Vergangenheit des Landkreises. Ein ganz besonderes Dokument ist dabei die Fotoserie, welche gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Eglharting entstanden ist. Sie öffnet gewissermaßen ein Fenster in die frühen 1890er Jahre und zeigt dem Betrachter den durch die Raupenplage schwer zerstörten Forst und den Alltag der damals zu Hunderten angeheuerten Waldarbeiter, welche die Schäden im Forst beseitigten.

Auch über andere Katastrophen kann man in der Kreisdokumentation etwas erfahren. Es finden sich dort zahlreiche Quellen, die über den Alltag in Kriegszeiten berichten, etwa Fotos von Kirchenglocken, die, schon mit Inventarnummern der Armee versehen, auf das Einschmelzen und den anschließenden Einsatz als Kriegsgerät warten. Amtsblätter des Landratsamtes, in denen Lebensmittelrationierungen und Einberufungen bekanntgegeben werden, kann man ebenso einsehen wie Totenbücher, die an die Gefallenen der Weltkriege erinnern. Ein interessanter Teil der Landkreisgeschichte fehlt allerdings, und das liegt an der besonderen Natur der Kreisdokumentation. Da Akten aller Art, sobald das Landratsamt diese nicht mehr benötigt, nach München ans Staatsarchiv abgegeben werden müssen, sind die Entnazifizierungsakten aus dem Landkreis ebenfalls nur in der Landeshauptstadt einzusehen.

Außer den Quellen gibt es in der Kreisdokumentation auch eine Präsenzbibliothek, in der sehr viel Literatur zur Geschichte gesammelt ist. Standardwerke wie das Handbuch der bayerischen Geschichte oder die gesammelten Ausgaben der Zeitschrift für Landesgeschichte finden sich dort ebenso wie die Werke von Kreisheimatpfleger Markus Krammer und Kreisarchivar Bernhard Schäfer. Auch der Historische Verein hat seine Literaturbestände in der Kreisdokumentation untergebracht.

Besonders um diese Sammlung verdient gemacht hat sich Ingrid Golanski, die die Dokumentation über 15 Jahre lang betreut hat. Sie übernahm die Leitung der Dokumentation im Jahr 1995, mehr aus einer Notlage heraus. "Keiner wollte es machen, und ich habe es gerne genommen, weil ich mich schon immer für Geschichte interessiert habe." Spricht man mit ihr, erfährt man, dass die Geschichte des Archivs, das nicht so heißen darf, nicht weniger spannend ist als dessen Inhalt. Sie beginnt in den 1970er Jahren mit dem Ebersberger Landrat Hermann Beham. Dieser hatte eine Initiative für Landkreisarchive gestartet, der Vorschlag wurde sogar im Landtag diskutiert. Doch die Abgeordneten verwarfen Behams Idee, auch weiterhin sollten alle Akten der bayerischen Landkreisbehörden zentral im Münchner Staatsarchiv aufbewahrt werden.

Damit wäre die Geschichte des Landkreisgedächtnisses eigentlich schon zu Ende gewesen, bevor sie richtig begonnen hätte. Doch Beham gab nicht so schnell auf: Zwar gehen die nicht mehr benötigten Akten des Landratsamtes wie vorgeschrieben nach München, doch seit 1986 wird in der Kreisdokumentation "alles gesammelt, was Landkreisbezug hat". Eine solche Stelle ist eine Rarität, weiß Golanski. Nur ganz wenige bayerische Landkreise unterhalten etwas ähnliches. Gar nicht schlecht für ein Archiv, das es eigentlich gar nicht gibt.

© SZ vom 03.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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