Ebersberg:So klingt Weihnachten in der Küche

Die fünf Mitglieder der Grafinger Familie Augenstein pflegen eine gemeinsame Leidenschaft: Jeder von ihnen spielt ein Instrument und miteinander sind sie ein eingeschworenes Stubn-Orchester

Von Alexandra Leuthner, Grafing

Maxi konnte gar nicht anders. Als das jüngste Mitglied der Augensteins auf die Welt kam, war die Musik schon da. Er brauchte sich nur noch ein Instrument zu suchen und dann den fünften Platz im Grafinger Familienorchester zu besetzen. Inzwischen ist er dreizehn und scheint genau die Stimme gefunden zu haben, die ihm zusagt. Und so sitzt er jetzt halb versteckt hinter seinem gold-glänzenden Baritonhorn, die Finger spielbereit auf den Ventilen, und wartet auf seinen Einsatz. Vater Martin, der Chef am Tisch, singt ihm mit leisem "bambabam", den Ton seiner Tuba imitierend, die Melodie des Stücks noch einmal vor, das die Familie gleich zum Besten geben will.

Dem Fotografen zuliebe hat man sich in Tracht geworfen und um den großen Esstisch in der geräumigen bäuerlichen Küche versammelt. Ein Adventskranz steht in der Mitte, Magdalena und ihre Mutter heben die Klöppel über ihre Hackbretter, die 24-jährige Anna setzt sich hinter ihrer Harfe zurecht. Vater Martin gibt mit einem tiefen Schnaufen das Zeichen zum Einsatz, bevor er die Lippen an das Mundstück seiner Tuba setzt. Und dann füllt sich die Stube mit Klang.

Zuerst tragen die beiden Bläser die Melodie der "Oberlauser Festmusik", dann übernimmt Annas Harfe mit ihren zarten und doch kraftvollen Tönen, und wenn die Augensteins nicht schon vorher das Gefühl unbedingter Zusammengehörigkeit vermittelt hätten, dann wäre es jetzt soweit. Jeder für sich an seinem Instrument scheinen sie im Zusammenspiel zu einer Einheit zu verschmelzen. Und weil es gerade so schön ist, legen sie gleich noch eins nach. "Wä do" hat Martin Augenstein das filigran-konzertante Stück genannt, das er für seinen Freund Isidor zum Geburtstag geschrieben hat, und es heißt nicht nur so, weil der Isidor den Nachnamen Wäsler trägt, sondern weil er sich ganz gerne mal "wä duat" - weh tut also, erklärt die Familie lachend.

Ebersberg: Für die Seniorenmette wird daheim geübt.

Für die Seniorenmette wird daheim geübt.

(Foto: Christian Endt)

Freund und Kapellen-Kollege Wäsler bläst das Flügelhorn bei der Oberlauser Tanzlmusi, die Martin Augenstein schon vor 30 Jahren mit gegründet hat. Seine Frau Angelika spielt auch hier das Hackbrett, und die Oberlauser sind mit daran schuld, dass die Augensteinschen Kinder allesamt einen Narren an der Musik gefressen haben. "Als wir noch klein waren, saßen wir hier auf der Theke und haben beim Üben zugehört", erzählt Anna, die ältere der beiden Töchter. Wenn sie dann ins Bett mussten, hätten sie die Töne aus der Küche bis in den Schlaf begleitet. Unbewusste Konditionierung also.

Bei Anna hat sie so gut gewirkt, dass sie an der Musikhochschule in München Harfe studierte, nachdem sie schon als Grundschulkind beim Grafinger Jugendorchester begonnen hatte. "Wir hatten mal eine Harfenistin zu Besuch, als ich noch klein war", erzählt sie, "und seither wollte ich nichts anderes mehr spielen". Sie setzte sich durch, allen Gegenargumenten der Eltern zum Trotz - "alles hätte sie machen können, Akkordeon, Klavier", scherzt der Vater, "aber es hat die Harfe sein müssen". Heute ist Anna mit ihrem eleganten Instrument immer dabei, wenn die Familie oder Teile davon auftreten, manchmal spielt sie auch allein mit ihrem Vater, Stücke, die Martin Augenstein für die Besetzung Harfe und Tuba umgeschrieben hat, wie etwa das berühmte "Ave Maria" von Bach/Gounod.

Ebenso wie seine Frau Angelika hat Martin Augenstein die Musik durchs ganze Leben begleitet. "Er hat mit Flöte angefangen wie wir alle hier", erzählt die Mutter. Später dann ist er auf etwas mehr Tonvolumen umgestiegen, wenn er heute die Tuba anbläst, dann zittert die Luft. Das Komponieren und Setzen der Stücke, die er mit seiner Familie zusammen spielt, hat er sich selbst beigebracht - hat es zwangsläufig lernen müssen: "Für unsere Besetzung mit zwei Hackbrettern, Tuba, Bariton und Harfe gibt es keine Noten", stellt er fest. Also schreibt er um oder denkt sich selbst Stücke aus - ohne je einen Kompositionswettbewerb gewonnen zu haben, wie er scherzend bemerkt. Was Martin Augenstein, Bauingenieur von Beruf, aber nicht davon abhält, bei seinen Werken in die Vollen zu gehen, was den Anspruch an die Kunst seiner Familienmitglieder angeht.

Ebersberg: Sie verstehen sich nicht nur als Familie, sondern auch als Musikgruppe. Anna, Magdalena, Martin, Maxi und Angelika Augenstein spielen am 24. Dezember in der Grafinger Pfarrkirche.

Sie verstehen sich nicht nur als Familie, sondern auch als Musikgruppe. Anna, Magdalena, Martin, Maxi und Angelika Augenstein spielen am 24. Dezember in der Grafinger Pfarrkirche.

(Foto: Christian Endt)

Die Stimmung in der Küche steigt, als die Geschichte vom jüngsten runden Geburtstag der Mutter aufkommt. Das Stück, das der Gatte für sie komponiert und mit seinen Kindern eingeübt hatte, sei so schwer gewesen, dass Töchterchen Magdalena die ganze Nacht vor der Feier habe hinter ihrem Hackbrett sitzen müssen. Sie stichelt ein wenig: "Des sagen wir ihm dann scho, wenn er wieder mal entschärfen muss." Die so originell Beschenkte selbst lächelt immer noch, wenn sie sich an das einzigartige Geburtsgeschenk erinnert. Inzwischen kann sie selbst bei dem ihr gewidmeten Stück mitspielen. "Aber des geht so schnell, Sechzehntelläufe quer übers Hackbrett, da hab ich schon üben müssen."

Überhaupt müsse man sich anstrengen, wenn man mit den Kindern mithalten wolle. Die 22-jährige Magdalena lernt für ihren Beruf als Grundschullehrerin - im Sommer steht das Staatsexamen an - jetzt auch noch Gitarre, hat Hackbrettunterricht seit Kinderzeiten. Anna, die schon bei diversen Laien- und Profiorchestern wie den Münchner Symphonikern und dem Orchester der Musikhochschule München mitgespielt hat, auch bei "Jugend musiziert" mehrmals erfolgreich war, könnte gar eine Karriere als Profimusikerin anstreben. "Aber ich habe mein zweites Standbein". Sie hat zusätzlich Lehramt für Mathe und Musik am Gymnasium studiert. "Eine Stelle als Harfenistin wird in Deutschland etwa 1,1 mal im Jahr frei, und da gibt es Bewerber von überall her", erklärt sie. Das sei ihr zu unsicher. "Außerdem weiß ich nicht, ob ich Lust habe, in einem Orchester rumzusitzen und stundenlang Takte zu zählen, bis endlich mein Einsatz kommt." Und dann ist da noch der Junior Max, der so selbstverständlich im Kreis des Erwachsenen mitspielt. "Er hat schon mit drei Jahren mitmachen wollen", erinnert sich Magdalena, "damals mit seiner Trommel. Er hat sich kaum abhalten lassen und hat sie heimlich eingepackt." Jetzt ist er derjenige, der schon mal ein "dynamisches" Stück mit in die Runde bringt, das ein bisserl über das traditionelle Repertoire von Boarischen, Zwiefachen, Landlern aber auch klassischen Stücken hinaus geht. "Ich nehm' erst einmal alles an und schreib es für uns um", sagt der Chef. Beoncé, also moderne Popmusik, und solche Sachen auch? Da hebt er abwehrend die Hände hoch und spart sich jeden weiteren Kommentar.

An die zehn Auftritte im Jahr finden Eingang in den Augensteinschen Terminkalender; Kirchenmusik, Nikolausfeiern, Adventssingen, Hoagascht oder Familienfeiern. Viel mehr geht nicht, schließlich seien sie ja keine Profis, betont Angelika Augenstein, und für jeden Auftritt muss geübt werden. Schwierig könnte jetzt auch werden, wenn Anna zum Referendariat nach Erlangen muss, "vielleicht übernimmt dann schon mal Magdalena den Harfenpart mit der Gitarre". Am Heiligen Abend spielen die Augensteins um 14.30 Uhr bei der Seniorenmette in der Pfarrkirche in Grafing - anschließend werden die Instrumente erst einmal weggepackt. "Vor dem Christbaum, nein, da wird höchstens noch gesungen", sagen die Mädchen. "Ab und zu pressiert es uns auch mal."

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