Ebersberg:Politiker setzen sich schachmatt

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Am 12. Juli ist bei den Kommunalpolitikern im Landkreis ausnahmsweise einmal Schwarz-Weiß-Denken gefragt. An diesem Tag spielen sie mit in einer Lebend-Schach-Partie im Klosterbauhof Ebersberg

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Ein schwarzer Landespolitiker wirft sich mutig für ein Parteimitglied der Grünen in die Schlacht. Eine Abgeordnete der "Roten" stellt sich wiederum mit ihrer geballten Macht schützend vor einen schwarzen Rathauschef. Ein schönes Durcheinander ist das. Was soll da bloß der Wähler denken? Beim Lebend-Schach-Turnier am Sonntag, 12. Juli, im Klosterbauhof Ebersberg kooperieren Kommunalpolitiker nicht nur eng mit dem politischen Gegner, da ist auch stures Schwarz-Weiß-Denken gefragt, denn die "Front" verläuft ausnahmsweise einmal nicht zwischen Schwarz, Rot, Grün und so etwas wie Orange, sondern zwischen Grafing (schwarz) und Ebersberg (weiß).

Anlässlich der Feiern zum 50-jährigen Bestehen der Schachunion Ebersberg-Grafing hat deren Vorsitzender, der Schach-Aficionado Georg Schweiger, Politikern von CSU, SPD, den Grünen und den Freien Wählern so wichtige Positionen wie Turm, König und Dame angetragen. Bauern, Läufer und Pferde werden von Kindern und Jugendlichen dargestellt.

Anders als sonst, haben die Politiker dabei nichts zu melden, sie müssen sich vielmehr den Anweisungen der beiden Spieler fügen. Helmut Pfleger, Schachmeister, Zeitungs- und Fernsehkolumnist, sowie der tschechische Großmeister Vlastimil Hort dirigieren Bauern, Dame und Turm übers Feld, lassen Könige um ihr Leben bangen. Die Grafingerin Eva Behmer passt gerade die für die Aufführung vor zehn Jahren gefertigten Kostüme den diesjährigen Darstellern an, ändert Kleider und Fräcke, baut (turm)hohe Hüte und Pferdeköpfe aus Pappmaché und vereinbart Anprobetermine. "Zwei schwarze Türme muss ich neu zuschneiden", sagt sie. Die Partie, die jetzt in Ebersberg nachgespielt wird, wurde 1928 in Berlin zwischen dem polnischen Meister Akiba Rubinstein, der, wie Pfleger erzählt, eigentlich Rabbi hätte werden sollen, und dem genialen Kubaner José Raul Capablanca ausgetragen. Seit diesem Turnier in Berlin sei Schach auf Kuba Volkssport geworden, auch Fidel Castro habe mit Leidenschaft Schach gespielt.

Kostümbildnerin Eva Behmer nimmt Maß. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schach mit Menschen als Darsteller gab es vermutlich schon im maurischen Spanien. Literarisch bekannt wurde diese Spielform in dem 1564 entstandenen Roman "Gargantua und Pantagruel" von Rabelais. Dass man aus vielen historischen Partien gerade die Berliner auswählte, hat natürlich einen Grund: "Könige, Damen, Türme, die wichtigen Figuren, halten sich hier lange, bevor sie geschlagen werden. Schließlich sollen die Promis ja nicht gleich ausscheiden", sagt Pfleger." Es müssen also mal wieder die Bauern dran glauben, die Großkopferten werden geschont. Selbstverständlich wird Pfleger, wie es seine Art ist, die Protagonisten mit der einen oder anderen satirischen Spitze übers Feld führen.

Wie die Partie ausgeht, wer am Ende schachmatt dastehen wird, das bleibt vorerst sein Geheimnis. Daran gewöhnt zu führen, wird Landrat Robert Niedergesäß als weißer Turm sich damit begnügen müssen, nur Figur auf einem Brett zu sein. Doch das stört ihn nicht. "Der Turm liegt in der Mitte zwischen Bauer und König, und in der Mitte fühle ich mich wohl", sagt er. Für ihn als Nicht-Schachspieler stehe der Turm für Sichtbarkeit, Orientierung, Aussicht, Überblick und Standhaftigkeit. "Allerdings brauche er eine genaue Navigation. Nicht dass ich mich am Ende auf den 64 Feldern noch verlaufe", sagt er. An seiner Seite kämpft Toni Ried, Ebersbergs stellvertretender Bürgermeister (Freie Wähler), als zweiter Turm. Auch er ist kein Schachspieler, schwärmt jedoch für die kunstvoll geschnitzten Figuren aus Indien, dem Ursprungsland des Spiels. Dort wird etwa der Turm als Kriegselefant dargestellt. "Die Figur hat viel Bewegungsfreiheit. Ihm ist es vergönnt, großzügig zu sein und den König zu bewachen", sagt Ried.

Waltraud Gruber und Walter Brilmayer waren vor zehn Jahren mit dabei. (Foto: Renate Schmidt)

Ihren Monarchen zu beschützen, hat sich auch die SPD-Landtagsabgeordnete Doris Rauscher vorgenommen. Sie wird die Rolle der "weißen Dame" übernehmen. "Natürlich fühle ich mich geehrt. Die Dame ist die stärkste und beweglichste Figur im Spiel, mindestens so stark wie zwei Türme", sagt sie und lacht. Rauscher war bei der letzten Lebend-Schach-Aufführung vor zehn Jahren schon dabei und findet die Idee "total nett". Damals spielte sie die schwarze Dame. Damit ihr Kostüm, ein langes weißes Kleid, perfekt ist, muss sie Schuhe und einen Unterrock aus ihrem privaten Fundus beisteuern. "Ich nehme den von meinem Brautkleid, der hat einen Gummizug und passt noch", sagt sie.

Der weiße König, den Rauscher beschützen wird, ist im politischen Leben ein Schwarzer - Ebersbergs erster Bürgermeister Walter Brilmayer von der CSU. Auch er war vor zehn Jahren schon mal Schachkönig. Als Bub hat er oft gespielt, er kennt die Regeln und weiß, was da auf ihn zukommt. "Der König hat es gut. Er steht die ganze Zeit herum und muss sich darauf verlassen, dass die anderen gute Arbeit leisten." Eine angenehme Figur sei das. Außerdem freut es ihn, dass sein Kostüm, das er vor zehn Jahren getragen hat, ihm heute immer noch passt.

Helmut Pfleger moderiert. (Foto: privat)

Wie gut, dass er sich auf seine Dame verlassen kann, wo doch die schwarze Amtskollegin und Gegnerin beim Schach im richtigen Leben eine Grüne ist. Angelika Obermayr, Grafings Bürgermeisterin, hat mit dem Farbwechsel kein Problem. "Die Bürgermeister sind nun mal die Könige in dem Spiel", sagt sie und findet, dass diese Rolle genau zu ihr passt. "Die Ansagen beim Schach macht eigentlich die Dame, der König ist eher der vorsichtig agierende." Das Spiel der Könige beherrscht sie selber nicht, als König beim Lebendschach ist sie zum ersten Mal dabei und schon "sehr gespannt": "Ich nehme das als Gaudi." An ihrem Kostüm war nicht viel zu tun. "Wir mussten nur die Schultern schmäler machen."

Zufrieden mit Rolle und Kostüm ist auch die stellvertretende Landrätin Waltraud Gruber von den Grünen. Vor zehn Jahren spielte sie die weiße Dame, jetzt wechselt sie die Seiten. "Es freut mich, dass ich zum Grafinger Team von Angelika Obermayr gehöre", sagt sie. Die Dame sei eine der gewichtigsten Figuren, "sie kann mehr als alle anderen". Ihr Kostüm ist lang, mit Gold bestickt und sieht mit den langen, unten weiten Ärmeln mittelalterlich aus. Nur die kurzen Haare passen nicht zum Kleid. Also werde sie unter der Krone wieder ein Haarnetz tragen.

Der Unterrock stammt von ihrem Hochzeitskleid: Doris Rauscher ist mit ihrer Rolle als "weiße Dame" zufrieden. (Foto: privat)

Dem königlichen Paar stehen als Body Guards zwei stolze schwarze Türme zur Seite. Der eine, Landtagsabgeordneter Tom Huber, CSU, identifiziert sich ganz und gar mit der Figur: "Der Turm ist eine wertvolle Schutzmacht für den König, er kommt überallhin, er ist gradlinig und weiß, wohin er gehört, aber er springt über niemanden hinweg, er nimmt Rücksicht".

Sein Zwilling - natürlich nur in diesem Spiel - sieht seinen Job ein klein wenig anders. Ernst Böhm, Kreis- und Stadtrat, SPD, wirft sich vor allem für Grafing in die Schlacht. "Natürlich unterstütze ich als Grafinger meine Bürgermeisterin gegen Ebersberg", sagt er. Böhm ist aktives Mitglied im Schachclub und er weiß: "Ohne Turm kann man nichts gewinnen. Allerdings kommt der immer erst dann ins Spiel, wenn keine andere Figur mehr vor ihm steht. Um zu gewinnen, muss der andere Turm ihm zur Seite stehen". Aber natürlich, so fügt er ein wenig listig hinzu, könne es schon mal vorkommen, dass man den zweiten Turm im Team opfern müsse, um die Partie zu gewinnen.

Das klingt dann doch nach politischem Alltagsgeschäft. Böhm sieht da aber keine Parallelen. "Beim Schach ist man kreativ und denkt weit voraus. Bei der Politik kann ich das derzeit nicht feststellen, außer natürlich in Grafing."

Die Lebendschach-Aufführung der Schachunion Ebersberg-Grafing mit Kommunalpolitikern findet am Sonntag, 12. Juli, um 15 Uhr im Klosterbauhof Ebersberg statt, bei Regen im Alten Speicher. Dazu erklingt Musik des Schachmeisters und Komponisten François-André Danican Philidor.

© SZ vom 04.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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