Ebersberg:Ohne Dienstplan, aber mit Herz

Das Glonner Marienheim feiert an diesem Donnerstag seinen 50. Geburtstag. Seit seiner Gründung wurden mehrere Millionen Euro in Sanierung und Umbau des Altenheims investiert. An der Geschichte des Hauses lassen sich die generellen Veränderungen in der Pflege ablesen

Von Anja Blum

Stille, Gebrechlichkeit, Abschied: Man könnte meinen, in einem Altenpflegeheim zu arbeiten, sei eine deprimierende Arbeit. Doch es scheint auch eine ganz andere Seite zu geben, das vermitteln Mitarbeiter aus dem Glonner Marienheim, das an diesem Donnerstag sein 50-jähriges Bestehen feiert. Viele von ihnen sind erstaunlich lange dabei, erinnern sich nostalgisch, schauen aber auch nach vorne. Die Stimmung ist bestens, es wird gescherzt, gelacht und aus dem Nähkästchen geplaudert. Von Traurigkeit keine Spur, höchstens ein bisschen ernst darf es mal sein, und auch Hierarchien haben an dieser Tafel keinen Platz. Selbst Hubert Radan, der Leiter des Hauses, wird von seinen Untergebenen liebevoll geneckt. Stellen sie doch belustigt fest, dass er ausnahmsweise mal frisch rasiert ist - extra fürs Foto.

In all dem liegt eines der Geheimnisse des Marienheims, das in der Region einen guten Ruf genießt: Das Arbeitsklima ist offenbar so gut, dass viele Mitarbeiter dem Haus lange treu bleiben - was zu einer wohltuenden Stabilität für die Bewohner führt. Hilfreich dabei ist auch, dass das Marienheim seit Anbeginn von Schwestern des Dritten Ordens aus Split in Kroatien unterstützt wird. Auf die Frage nach möglichen Sprachbarrieren sagt Schwester Silvana: "Zuwendung braucht keine Sprache, das hat man doch an Mutter Theresa gesehen" - und lächelt. Allerdings könnte dieser Segensquell bald versiegen. Lebten und arbeiteten zwischenzeitlich 20 Nonnen in dem Glonner Heim, so sind es heute nur noch vier, und sie alle haben den 50. Geburtstag bereits hinter sich. Nachwuchs aber ist nicht in Sicht. "Keine Chance", sagt die Oberin Schwestern Luiza dazu nur.

Vermittelt hatte die Kooperation zwischen der Caritas und den Franziskanerinnen vom Dritten Orden damals, vor 50 Jahren, Kardinal Julius Döpfner. Doch er ist nicht der einzige, dem das Marienheim viel zu verdanken hat. Los geht die Liste der Unterstützer mit der Familie Lebsche - ohne deren "Willen und Stiftung" es in Glonn kein solches Haus gegeben hätte, wie Ortschronist Hans Obermair in der Festschrift zum Jubiläum schreibt. Denn damals sei für kleinere Kommunen an so eine Einrichtung eigentlich nicht zu denken gewesen. Aus dieser Zeit seien denn auch im Landkreis nur wenige Altenheime nachzuweisen: Grafing (1954), Kirchseeon (1955) und Markt Schwaben (1959).

Nachdem der Senior, Sanitätsrat Max Lebsche, 1941 verstorben war, fiel das Glonner Anwesen an der Feldkirchnerstraße letztlich Sohn Max, dem Professor, und Tochter Clara Lebsche zu. "Ursprünglich wollten die Geschwister dieses Erbe für ein Altenheim zur Verfügung stellen. Dieses Vorhaben erwies sich jedoch, wohl aus verschiedenen Gründen, als nicht durchführbar", so Obermair. Nach vielem Hin- und Her wird als Bauplatz ein Pfarreigrundstück an der Rotterstraße auserkoren - dem Projekt zugrunde liegt dann eine Spende der Familie Lebsche von 50 000 Mark. Ein gern gesehenes Zubrot bei 5,4 Millionen Mark, die der Bau damals kostete. Doch die Geschwister Lebsche seien ein gutes Beispiel dafür, was Engagement bewirken könne, schreibt Obermair. Eingeweiht wird das Marienheim 1967 und gilt damals mit seinen etwa 220 Betten als das modernste seiner Art in ganz Oberbayern.

Doch schon 20 Jahre später kann davon nicht mehr die Rede sein: "Als ich 1984 hier angefangen habe, war alles noch auf dem Stand der 60er Jahre", erzählt Fritz Kappelsberger, "sowohl baulich als auch administrativ". So gab es keine Einzelzimmer und keine Balkone, Toiletten und Bäder musste sich jede Etage teilen. Eine geschlossene Station musste erst geschaffen werden, die damals übliche räumliche Trennung von rüstigen Bewohnern und Pflegefällen hob man auf. Das hat bis heute den Vorteil, dass die Bewohner, deren Gesundheitszustand sich verschlechtert, nicht mehr das Zimmer wechseln müssen. Zuvor sei der Umzug als "sozialer Abstieg" stets wie ein Damoklesschwert über den Senioren gehangen, so Radan. Die Heimorganisation musste ebenfalls angepasst werden. "Es gab keinerlei Dokumentation, keinen Dienstplan", erzählt Kappelsberger. Trotzdem herrschte offenbar kein Chaos: "Es wurde einfach alles intern auf den Stationen abgesprochen und die Pflege war intuitiv", erinnert sich Schwester Silvana, die bereits seit 36 Jahren im Marienheim ist.

Kappelsberger, ein Kaufmann, ließ sich also auf das Experiment ein, das Marienheim als Chef auf Vordermann zu bringen. "Das war schon ein Kampf", sagt er heute, er habe sich in vielen Bereichen durchsetzen müssen. Etwa beim Personal, das ungern von Gewohnheiten abrückte, aber auch bei der Caritas, der Kirche und den Behörden. Denn der neue Leiter hatte große Pläne: Er modernisierte das Heim nicht nur, sondern baute es komplett um - letztlich kostete das Unterfangen fast neun Millionen Mark und dauerte fünf Jahre. Vor allem, weil bei laufendem Betrieb umgebaut wurde. "Während dieser Zeit lag in jeder Ecke ein Bewohner", erinnert sich Kappelsberger. Damit nicht genug: Kaum erstrahlte das Haus in neuem Glanz, drang der Chef darauf, nebenan Personalwohnungen zu bauen.

"Wir waren schon damals froh um jeden, der bei uns arbeiten wollte." Und die Rechnung ging auf. Vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien kamen viele Menschen ins Marienheim, um dort zu arbeiten. So wie Valentina Konrad und Zlate Naumoski. Die beiden fuhren vor 25 Jahren mit einem Taxi von München nach Glonn, weil sie nicht wussten, wie sie sonst dorthin gelangen sollten. Im Gepäck hatte Naumoski 400 Mark und viele Hoffnungen. "Aber schon das Taxi hat uns damals hundert Mark gekostet", erzählt er. Im Marienheim wusste erst einmal niemand von dem Vertrag mit der Caritas, den Naumoski daheim unterzeichnet hatte. Doch Arbeit gab es genug. "Dann bin ich geblieben", sagt er mit einem Grinsen. Er hat sich weitergebildet und in Glonn ein Haus gebaut, heute ist er Stationsleiter und obendrein Betriebsrat. "Ich bin sehr zufrieden."

Fragt man die Menschen, die das Marienheim schon lange mit Leben füllen, was sich verändert hat, so kristallisieren sich zwei wesentliche Punkte heraus. Der erste betrifft die Klientel: "Man ging jetzt nicht mehr vorrangig in ein Heim, weil man alt und allein war, sondern in der Regel erst dann, wenn man zudem Pflegebedarf hatte", konstatiert Obermair über die 80er Jahre. Seitdem nimmt der Anteil der Pflegebedürftigen deutlich zu, die Verweildauer im Gegenzug ab. "Früher gab es viel mehr Rüstige, die Beschäftigung suchten und deswegen mitgeholfen haben in Garten, Küche oder Wäscherei", erinnert sich Schwester Luiza, die seit 25 Jahren in Glonn ihren Dienst leistet. Ebenfalls stark dem Wandel unterworfen war auch die Organisation des Heimes. "Früher gab es kaum einheitliche Standards, jedes Heim hat es anders gemacht", sagt Radan, der aktuelle Leiter. Mittlerweile sei alles "rechtlich viel komplizierter", zum Beispiel gebe es viel differenziertere Berufsbilder, die verschiedenen Pflegestufen seien eine vergleichsweise neue Erfindung. "Alleingänge sind heute nur noch begrenzt möglich", sagt Radan mit Blick auf Kappelsberger und lacht.

Der zunehmende Verwaltungsaufwand hat auch die Situation der Ordensfrauen verändert: Leiteten sie früher sämtliche Stationen, so haben sie sich mittlerweile auf Pflege und Sterbehilfe beschränkt. "Bürokratie entspricht nicht unserer Berufung", sagt Schwester Silvana. Und das sehen die Bewohner offenbar genauso: "Unseren religiösen Schwerpunkt schätzen die Bewohner sehr", sagt Pflegedienstleiterin Susanne Mahn, seit 17 Jahren in Glonn. Außerdem sei es den Nonnen zu verdanken, dass das Marienheim Vorreitervei der Palliativ- und Hospizpflege gewesen sei. "Ich habe hier viele Veränderungen miterlebt", sagt Schwester Silvana, "aber seine Identität hat das Haus nie verloren. Der Mensch stand und steht hier im Mittelpunkt."

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