Ebersberg:Nicht mal für den Christbaum reicht es

Altersarmut, 2015

Ein kaputter Kühlschrank oder eine Mieterhöhung, das würden die Schmidts nicht verkraften, denn von ihrer Grundsicherung bleibt kaum was übrig.

(Foto: Catherina Hess)

Die Schmidts haben ihr Vermögen einer unseriösen Geschäftsfrau anvertraut - und alles verloren. Nun lebt das betagte Paar von Grundsicherung. Dabei brauchen sie viele teure Medikamente.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Franz Schmidt, der eigentlich anders heißt, sitzt am Kopfende seines Esstisches, irgendwo in Ebersberg. Es ist ein großer Tisch, und trotzdem lassen die vielen Medikamente, die ordentlich auf dem Tisch aufgereiht sind, kaum noch freie Fläche. Ein paar Meter zu Franz Schmidts linker Seite sitzt seine Frau Evelyn, deren Name in Wahrheit auch anders lautet, auf dem Sofa und blättert in einer Zeitschrift. Vor ihr ein niedriger Couchtisch. Es ist dasselbe Bild: Die Tischplatte vor ihr kann man nur noch erahnen. "Dort drüben sind die Medikamente meiner Frau, hier stehen meine", sagt Franz Schmidt. Er ist 86 Jahre alt, seine Frau 81. Sie ist dement.

"Unsere aktuelle Situation ist nicht gut", gibt Franz Schmidt zu. Vor knapp 15 Jahren hatte er einen Herzinfarkt. Seitdem ist er täglich auf fünf verschiedene Medikamente angewiesen. Vor vier Jahren mussten ihm Ärzte in einer siebenstündigen Operation ein Aneurysma entfernt. Nach dem Eingriff war er auf viele weitere Medikamente mit starken Nebenwirkungen angewiesen. Mehrmals am Tag sei er da einfach zusammengeklappt und gestürzt. Bei einem dieser Stürze ist seine Bauchmuskulatur gerissen. Die Folgen davon sieht man noch heute. "Das macht einen schon sehr unglücklich, mein ganzes Kreuz ist irgendwie schief", sagt er und klopft sich auf den Bauch.

Voriges Jahr musste sich auch seine Frau Evelyn wegen eines Aneurysmas operieren lassen. Seitdem gehe es ihr sehr schlecht, sagt ihr Mann. Vor allem, was ihre Demenzkrankheit anbelangt. Manchmal hat sie lichte Momente, kocht sogar gelegentlich noch. "Geröstete Kartoffeln und Klöße", ergänzt Evelyn Schmidt vom Sofa. "Aber sie fragt mich auch in zehn Minuten 50 Mal, welchen Tag wir heute haben", sagt ihr Mann und sieht mit besorgtem Blick zu ihr rüber.

1954 hat er sie kennengelernt. "Eine Woche nach dem Endspiel der Fußballweltmeisterschaft Deutschland gegen Ungarn", sagt er. Noch hält sich die Pflege seiner Frau in Grenzen, sodass er alles alleine schafft; manchmal mit Unterstützung seiner Kinder. "Aber ihr Gesundheitszustand wird schlechter." Wie er das finanziell lösen soll, wenn die Demenz seiner Frau einmal ein Pflegeheim notwendig machen sollte, darauf hat Franz Schmidt keine Antwort.

Erst machte ihnen die Gesundheit zu schaffen, dann kamen die Finanzen hinzu

Die gesundheitlichen Probleme der beiden Senioren gehen einher mit ihrer finanziell schwierigen Lage. Das Ehepaar ist auf Grundsicherung angewiesen. Ab und an helfen die Kinder, so gut es eben geht. Aber die hätten selber nicht viel, sagt Schmidt. Dem Ehepaar fällt es schwer, von anderen Menschen Hilfe anzunehmen; und erst recht, wenn sie von den eigenen Kindern kommen soll. Darauf angesprochen, runzelt Franz Schmidt seine Stirn.

"Ich bin da sehr streng mit mir. Wenn man sich etwas nicht leisten kann, dann kauft man es sich eben einfach nicht." Ein bisschen mag die finanzielle Not auch der Grund dafür sein, dass sich der Alltag bei dem Ehepaar fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden abspielt. Dort spielt Franz Schmidt liebend gerne Kartenspiele an seinem Computer. "Um meine grauen Zellen auf Trab zu halten", erklärt er.

Eigentlich hatte Franz Schmidt einen absolut soliden Plan für die Altersvorsorge. Er arbeitete als Vermögensberater, während seine Frau seit ihrer Heirat zu Hause bei den Kindern blieb. "Damals habe ich recht gut verdient." Er entschied sich, nicht mehr in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, sondern privat im Rahmen einer Lebensversicherung vorzusorgen. "Damit waren wir sehr gut abgesichert."

Doch innerhalb weniger Jahre änderte sich alles. Anfang der Neunziger Jahre schloss die letzte Filiale der Bank, für die Schmidt als Vermögensberater tätig war. Eine neue Arbeit fand er nicht mehr; er war 61 Jahre alt. Deshalb stieg er mit in die Firma einer Bekannten ein und machte sich selbständig. All sein Geld investierte Schmidt in den Betrieb. Fragen stellte er keine. Er vertraute, man kannte sich schließlich schon seit Jahren sehr gut.

Dann machte Schmidt den entscheidenen Fehler

Das war ein Fehler. Mit mehreren 100 000 Euro war seine Geschäftspartnerin hoch verschuldet. Schmidt wusste davon nichts. Mit der gemeinsamen Firma ging es schnell bergab; das Eigenkapital war viel zu wenig. Um die Schulden abzubezahlen, musste Schmidt alle Ersparnisse aufwenden, die er eigentlich für das Alter vorgesehen hatte. Auch sein Haus verkaufte er und zog zusammen mit seiner Frau in eine günstige kleine Mietwohnung.

Heute ist das Ehepaar zwar schuldenfrei, aber auch ohne jegliche finanziellen Polster. "Wenn meine Bekannte ehrlich zu mir gewesen wäre, da wäre ich ja niemals mit eingestiegen", ist sich Schmidt sicher. Aber nun ist es so, sagt der 86-Jährige: "Bei uns ist es jeden Monat derart knapp, da bleibt einfach überhaupt nichts mehr übrig." Unvorhergesehene Dinge - der Kühlschrank gibt den Geist auf oder die Miete wird erhöht - dürfen da nicht passieren.

Franz Schmidt wird still. Er blickt nachdenklich auf die vielen Medikamente vor ihm. "Aber eigentlich bin ich doch zufrieden. Wir haben immerhin ein Dach über dem Kopf", sagt er, und dass es vielen Menschen noch schlechter geht. "Zum Beispiel den vielen Obdachlosen, die bei dieser Kälte draußen frieren müssen." Erst vor kurzem hat er mit seiner Frau im Fernsehen eine Spendengala für Kinder gesehen. "Da sitzt man da und ist völlig sprachlos über die Armut!" Schmidt schüttelt den Kopf. Wie gerne würde er da selber einmal etwas abgeben, "aber das ist leider einfach nicht drin."

Zu Weihnachten planen die Schmidts nichts. Seit Jahren schon gibt es keinen Christbaum mehr oder Geschenke, auch nicht für die Kinder oder Enkel. "Das ist im Laufe der Jahrzehnte so zur Routine geworden, sodass man es irgendwann einfach bleiben lässt." Aber ganz will das nicht zu dem hübsch verzierten Weihnachtsgesteck passen, das neben den Medikamenten auf dem Esstisch vor steht. Aber mangels Geld werden die beiden Senioren Weihnachten wohl auch dieses Jahr ausfallen lassen. Die Spenden aus dem SZ-Adventskalender könnten ihnen helfen, dass es noch eine Wende gibt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: