Ebersberg:Leider ausgeforscht

Seit mehr als 70 Jahren untersucht Grafings Ehrenbürger Adalbert Mischlewski den christlichen Antoniter-Orden. Nun, nach 27 Jahren, hat sich das von ihm zu dem Thema gegründete Wissenschaftsforum aufgelöst

Von Thorsten Rienth

Am Ende geht alles ganz schnell. Es ist ja alles besprochen, der Tagesordnungspunkt nur noch eine Formalie, notgedrungen: Das Antoniter-Forum beschließt seine Auflösung. Die Forschergemeinschaft war so etwas wie das wissenschaftliche Kind des Grafinger Ehrenbürgers Adalbert Mischlewski. "Natürlich schmerzt das", sagt der mittlerweile 98-Jährige. Wie auch nicht? Die Unmittelbarkeit der Versammlung ist schließlich nichts gegen die mehr als 70 Jahre, die Mischlewski die Geschichte des christlichen Hospitalordens erforschte. 27 Jahre davon in den Reihen des Antoniter-Forums, ganze 20 als dessen Vorsitzender.

Mit dem Forum führte Mischlewski fort, was mit einer List seinen Anfang nahm, und zwar 1945 in der heutigen Tschechischen Republik. Die Amerikaner sagen damals zu den gefangen genommenen deutschen Soldaten: Wessen Heimatort in der US-Zone liege, der bekomme sofort seine Entlassungspapiere. "Sie konnten doch kaum ihre eigenen Leute versorgen - was wollten sie dann mit uns anfangen?" Mischlewski kennt die Adresse eines Freundes aus Memmingen, nennt Straße und Hausnummer, ein paar Tage später ist er unterwegs ins Allgäu.

Bilder des Antonitermuseums (WISSEN)

Der Heilige Antonius, versehen mit Glöckchen, Terminierbuch und Antoniusschwein, den Markenzeichen des Ordens. Links im Bild ein Patient, die Flammen an der Hand symbolisieren die brennenden Schmerzen. Ausschnitt aus dem "Feldtbuch der Wundtartzney" von 1517.

(Foto: Antonitermuseum/oh)

Bald geht Mischlewski ins Memminger Stadtarchiv, "einfach, um mich umzusehen." Er liest vom Antoniter-Orden, der in Memmingen eine Generalpräzeptorei betrieb, man könnte sagen: ein regionales Verwaltungszentrum. Dem Orden, 1095 gegründet, ging es im Kern um die Pflege von am Antoniusfeuer Befallenen, einer durch einen Pilz hervorgerufenen, im Mittelalter in Europa weit verbreiteten Krankheit. Die Antoniter sammelten in der Bevölkerung Geld und Naturalien und versorgten damit die Kranken. Im 15. Jahrhundert unterhielt der Orden etwa 370 Spitale, das Netzwerk reichte über weite Teile Europas. Man könnte sagen: Es war eine der ersten europäische Ideen. "Mit dem Orden gab es schon damals etwas grenzüberschreitendes Europäisches, während sich die Territorien durch Erbfolge oder Kriege ständig verschoben", sagt Mischlewski. Als sich die Lebensbedingungen verbessern, geht die Krankheit zurück, der Orden verliert an Bedeutung. Erst inkorporiert Papst Pius VI die Antoniter in den Malteserorden, nach der Französischen Revolution verschwinden sie im Dunkel der Geschichte.

Seit 1945 durchkämmt Mischlewski die Archive nach Informationen über den einst wirkungsvollen Orden, in den 1960er Jahren promoviert er sogar über die Antoniter. 1991 gründet er zusammen mit anderen Interessierten das Forum, um das historische Erbe des Ordens zu pflegen und den Spuren dieser karitativ-sozialen Gemeinschaft nachzugehen. Außerdem lässt sich so die überschaubare Handvoll Wissenschaftler, die sich irgendwo auf dem Globus der Antoniter annehmen, besser koordinieren.

Ebersberg: Adalbert Mischlewski vor einem Gemälde des Antoniter Stammsitzes St. Antoine in der Nähe von St. Marcellin, Grafings Partnerstadt.

Adalbert Mischlewski vor einem Gemälde des Antoniter Stammsitzes St. Antoine in der Nähe von St. Marcellin, Grafings Partnerstadt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Faszinierende an diesem Projekt sei für viele Historiker die absolute Grundlagenforschung gewesen, sagt Mischlewski. Selbst Anfang 1990 gibt es noch nicht einmal ein Verzeichnis, wer in welcher Niederlassung wann als Leiter tätig war. "Dann sind da die unglaublich vielen Schnittstellen zu anderen Wissenschaften, vor allem zur Sozialwissenschaft und Medizin." Insgesamt 25 Bücher geben die Wissenschaftler heraus. Am Anfang sind es nur kleine Hefte, am Ende dicke Publikationen. Auch eine reine Quellenedition ist dabei. Doch nun fand sich einfach niemand mehr, der die Organisation des Vereins in die Hand nehmen wollte. So banal ist es manchmal.

Die große Welt mag vom Ende des Antoniter-Forums nicht viel Notiz nehmen. Fachkreise hingegen schon. Professor Hans-Ferdinand Angel vom Institut für Katechetik und Religionspädagogik der Grazer Universität etwa stellt fest: "Die Qualität der Beiträge ist beeindruckend und der Orden in seiner vielschichtigen, teils hellen und teils dunklen Geschichte heute viel bekannter." Oder Wolfram Aichinger, Dozent am Institut für Romanistik der Universität Wien: "Die Auflösung ist für uns alle betrüblich - das Thema Netzwerkforschung ist heute auf den Universitäten Mode, im Antoniter-Forum ging es immer um solche."

Zumindest eine Veröffentlichung werde es noch geben, kündigt Mischlewski an: Rotraut Acker, die ehemalige Leiterin des Grafinger Museums, erstellt gerade ein Registerband zur vollständigen Dokumentation von Themen, Schlagworten und Autoren der 25 Antoniter-Publikationen. "Diesen Index sollten wir künftigen Wissenschaftlern mindestens hinterlassen", sagt Mischlewski.

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