Ebersberg:Land der Bayern, Land für Bayern

Zahlreiche Gemeinden geben verbilligten Baugrund an die eigenen Bürger ab, wenn diese bestimmte Kriterien erfüllen

Von Christoph Hollender

Wer in Poing ein Grundstück kaufen möchte, muss tief in die Tasche greifen. Bis zu 950 Euro kostet hier der Quadratmeter Bauland auf dem freien Markt. Beim Nachbarn Vaterstetten sind es noch einmal 20 Euro mehr: Rekord im Landkreis Ebersberg und mit an der Spitze im Münchner Umland. Es geht aber auch billiger, deutlich billiger um genau zu sein: 463 Euro. Die Gemeinde Poing verlangt für den Quadratmeter im Baugebiet Seewinkel 487 Euro. Die Sache hat jedoch einen Haken: nur wer schon länger in Poing wohnt und einige bestimmte Kriterien erfüllt, bekommt (vielleicht) ein Grundstück zu diesem Preis. Doch erst einmal heißt es: Hinten anstellen! Die Wartelisten für solche Grundstücke können sehr lange sein.

Und solche Listen gibt es einige im Landkreis Ebersberg. Wer in Gemeinden wie Poing, Kirchseeon oder Glonn ein gemeindliches Grundstück zu Sonderkonditionen kaufen möchte, muss aber nicht nur geduldig sein. Wer in den Genuss der günstigen Grundstücke kommen möchte - die bis zu 50 Prozent unter den Marktpreisen angeboten werden dürfen -, der muss einige Kriterien erfüllen: Welche, das regelt das sogenannte Einheimischenmodell. Das Wichtigste: Die Bewerber sollten "Einheimischer" sein, also bereits einige Zeit in ihrer Traumgemeinde gewohnt haben; ansonsten lohnt sich der Weg zum Rathaus nicht. Als Einheimischer gilt, wer mindestens bereits fünf Jahre in dem Ort wohnt; Stand 2015. Dieses Modell ist in Bayern weit verbreitet. Der Volksmund spricht auch von Einheimischenbauland, da schwingt schon mit, dass es dort Baurecht eben nur für Einheimische gibt. Hinter dieser Bevorzugung steckt eine Menge Zündstoff: Die Ortsansässigen freuen sich über den Vorteil - die Bewerber von außerhalb fühlen sich unfair behandelt. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass einige Gemeinden gar nicht wollen, dass Fremde zuziehen - früher war das nämlich der Sinn dieser Modelle.

Die Einheimischenmodelle stehen schon länger in der Kritik. Es gibt Gemeinden im Landkreis Ebersberg, in denen es schier unmöglich ist, gemeindlichen Grund zu kaufen, wenn man dort nicht seit einigen Jahren wohnt oder arbeitet. In Kirchseeon ist das beispielsweise der Fall. Bürgermeister Udo Ockel sagt, dass Bewerber von außerhalb keine Chance hätten. Erst würden ortsansässige Bewerber den Vorzug bekommen - ein Punktesystem entscheidet letztendlich, wer den Bauplatz bekommt. Das geschehe natürlich anonym, versichert Ockel. Punkte gibt es für die Zeit, die man in der Gemeinde wohnt, wie viel Kinder man hat oder ob man ehrenamtlich engagiert sei; letzteres ist jedoch umstritten.

Ebersberg: In Eglharting an der Bucher Straße entsteht ein neues Einheimischenbaugebiet. Einziehen werden dort wohl tatsächlich ausschließlich Ortsansässige.

In Eglharting an der Bucher Straße entsteht ein neues Einheimischenbaugebiet. Einziehen werden dort wohl tatsächlich ausschließlich Ortsansässige.

(Foto: Christian Endt)

Die Europäische Kommission sieht genau diese Voraussetzungen kritisch. Aus deren Sicht seien die bayerischen Modelle sehr bedenklich, da sie nicht zuletzt Prinzipien des europäischen Rechts, der Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit verletzen könnten. Konkret wird bemängelt, dass einige Städte und Gemeinden ihre ortsansässigen Bürger bevorzugen und diesen zu vergünstigten Konditionen Bauland angeboten werde. Die Europäische Kommission hat deswegen im vergangenen Jahr sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. "Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen", sagt Franz Dirnberger vom Bayerischen Gemeindetag. Der Sachstand habe sich in den letzten Monaten nicht verändert. "Wir raten den Gemeinden, mit angepassten Kriterien weiter so wie bisher zu machen." Der Anpassung der Modelle liegt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes von 2013 zu Grunde, in dem über ein belgisches "Einheimischendekret" entschieden wurde. Dieses sei den bayerischen Einheimischenmodellen ähnlich und verstößt aus Sicht des Gerichts gegen europäisches Recht. Das Urteil sei aber aus Sicht von Juristen sehr schwammig und unkonkret.

Für die Gemeinden in Ebersberg bedeutet das, dass die Kriterien ihrer Modelle verändert werden sowie bestimmter und genauer formuliert werden müssen. Etwa bei der Anzahl der Jahre, die jemand in der Gemeinde verbracht haben soll: fünf ist jetzt die oberste Grenze, wer schon länger Einheimischer ist, bekommt keinen höheren Bonus. Ein Kernziel dürfe bei den Modellen nicht vernachlässigt werden, mahnt der Gemeindetag, nämlich: die einkommensschwache Bevölkerung zu fördern - das sei aus heutiger Sicht die Grundidee der Modelle. Derzeit würden die Gemeinden angehend an das Urteil einen Kompromiss in den neuen Modellen formulieren, sagt Dirnberger weiter. In Poing wurde schon ein neues Einheimischenmodell entwickelt - dort pressiert es nämlich. Die Signale der EU-Kommission hatten das bisherige Modell zum Wackeln gebracht, weil die Ortsansässigkeit demnach keinesfalls ein K.-o.-Kriterium sein dürfe. Aufgrund "vieler Unsicherheiten" sei das alte Modell unterbrochen worden, sagt Bürgermeister Albert Hingerl. Sechs Monate habe die Verwaltung an einer Anpassung getüftelt, Gespräche mit dem Städte- und Gemeindetag, und der Bayerischen Staatsregierung geführt. Poing gilt im Landkreis Ebersberg als die Gemeinde, die aktuell am meisten Grundstücke in einem Einheimischenmodell zur Verfügung hat - nämlich 31 Parzellen im Baugebiet Seewinkel. Und diese sind hoch im Kurs - die Interessenten sitzen auf heißen Kohlen. Für viele, insbesondere junge Familien, ist es schier unmöglich in Poing ein Grundstück auf dem freien Markt zu erwerben; die Preise steigen nahezu ins Unbezahlbare. Deshalb bleibt für viele nur die Hoffnung, ein Grundstück im Einheimischenmodell zu ergattern.

Für viele Ortsansässige bietet das Einheimischenmodell eine willkommene Möglichkeit Bauland zu kaufen. Es gibt aber auch Stimmen, die behaupten, Gemeinden würden dieses Modell als Trick dazu nutzen, unter sich zu bleiben und um Zuzug "Fremder" zu verhindern. Josef Oswald ist Bürgermeister in Glonn und sagt: "Tricks machen wir gar nicht." Die Gemeinde hat in diesem Jahr zwei Grundstücke im Einheimischenmodell verkauft. Für Grundstücke bewerben könne sich jeder, sagt er; vorausgesetzt er wohne mindestens fünf Jahre in Glonn. Eben genau das bleibt wohl das K.-o.-Kriterium schlechthin. Zuzug von außerhalb sei schon gewollt. Es bleibe immer noch die Option Grundstücke auf dem freien Markt zu suchen, sagt Oswald. Nur der Preis sei dann eben höher. Das Einheimischenmodell soll jungen Glonnern eine Chance geben, hier zu bleiben, sagt der Bürgermeister. Deshalb versuche man Grundstücke erst an Bewerber aus der Gemeinde zu vergeben. Wenn das nicht klappe, was bereits vorgekommen sei, "verkaufen wir Grundstücke auch auf dem freien Markt".

Einheimischenmodell

Einheimischenmodelle gibt es in Bayern seit den 1970er Jahren. Sie dienen heute vorrangig dazu, der ortsansässigen Bevölkerung eine Möglichkeit zu geben, in der Gemeinde zu bauen. Ursprünglich sollten die Modelle Fremdenverkehrsgebiete oder Gemeinden mit hohem Zuzug regulieren - sprich: den tatsächlichen Zuzug von außerhalb einzuschränken. Heute ist die Idee, dass man junge Ortsansässige unterstützen möchte, auch finanziell. Dies wird durch eine Baulandpreisregelung gewährleistet. Nachdem die EU diese Modelle bereits seit einigen Jahren kritisiert, entwickelten Bund und Länder einen neuen Entwurf von Einheimischenmodellen. Die Zielsetzung bleibt im Grunde gleich: Darin heißt es, dass die Städte und Gemeinden ihr Modell frei gestalten können, wenn bestimmte Kriterien angepasst werden. Das Auswahlverfahren der Gemeinde läuft über ein Punktesystem, das vorwiegend soziale Gesichtspunkte bewertet. So darf das Jahreseinkommen eines Paares etwa nicht mehr als 90 000 Euro betragen, auch die Anzahl der Kinder oder die Pflege naher Verwandter fließen ein. Von einem Ehrenamts-Bonus wird zukünftig aber wohl abgesehen werden.

Nach Informationen des Landratsamtes Ebersberg gibt es in allen Kommunen des Landkreises derzeit Einheimischenmodelle, die sich allerdings in den Details unterscheiden. So geben manche Gemeinden das Land direkt an die Begünstigten ab, andere beauftragen eine Baufirma und verkaufen dann die fertigen Häuser an Einheimische. chol

Fabian Blomeyer von der Bayerischen Architektenkammer kennt und teilt die Kritik am Einheimischenmodell. Er sieht vor allem den Aspekt des Vorkaufsrechts der Gemeinden "juristisch auf dünnem Eis". Denn in vielen Gemeinden ist es geregelt, dass, sobald ein privates Grundstück als Bauland ausgewiesen werden soll, der Gemeinde ein Vorkaufsrecht einer bestimmten Fläche zugestanden werde muss. Das kann bis zu einem Drittel der Gesamtfläche sein. Der Preis dafür wird von einem Gutachter bestimmt, liegt aber meist zwischen 30 bis 50 Prozent unter dem späteren Marktpreis. In der Gemeinde Aßling wird das beispielsweise so gemacht. Das Einheimischenmodell habe einen hohen Wert, betont Bürgermeister Hans Fent. Deshalb habe man ein Modell entwickelt, dass einen gewissen "Eigenbedarf" sichert. "Die Gemeinde hat derzeit keine eigenen Flächen", sagt Fent. Wenn neue Baugebiete auf Privatgrund ausgewiesen werden, muss deshalb ein Drittel der Fläche an die Gemeinde verkauft werden. Davon werde ein Teil in das Einheimischenmodell aufgenommen, der andere für den sozialen Wohnungsbau genutzt. Fent betont, es sei ein Ziel, dass Aßling in den nächsten Jahren moderat wachse; ein solches Modell könne das unterstützen. Problematisch werde es sicherlich, gesteht Fent ein, wenn Eigentümer von Bauland nicht mitmachten. Dieses Risiko sieht auch Blomeyer. Denn wer mit den Regelungen in den Modellen nicht konform geht, habe die Möglichkeit dagegen zu klagen. Dass die Gemeinden zur Methode Vorkaufsrecht gegen Baulandausweisung greifen, kann Blomeyer zwar durchaus verstehen. Schließlich könne sich die Grundstückspreise im Umland von München auf dem freien Markt eben fast niemand mehr leisten. Dennoch, so Blomeyer bleibe diese Modellregelung des Vorkaufsrechts juristisch fragwürdig.

Auch in Hohenlinden werden den Interessenten Grundstücke mit niedrigen Preisen schmackhaft gemacht. Bis zu 50 Prozent billiger ist hier der Quadratmeter im Vergleich zum freien Markt. Das wären derzeit nur 185 anstelle von 370 Euro. Wer die Grundstücke zu diesen Konditionen bekommt, ist wiederum in einem gemeindeeigenen Modell geregelt. Seit mehr als 20 Jahren gebe es dieses, sagt Bürgermeister Ludwig Maurer. Lange musste man in Hohenlinden zehn Jahre ortsansässig sein, um sich bewerben zu dürfen. Derzeit gebe es einen "Durchhänger", was das Modell betreffe, sagt Maurer. Denn es sei nicht sicher, welche Vorgaben die EU machen werde. Er fände es aber gerecht, "wenn sich auch welche bewerben dürfen, die noch nicht so lange hier wohnen". Jedoch wünsche man sich grundsätzlich, dass Ortsansässige als erstes zum Zuge kommen. Das habe aber nichts damit zu tun, unter sich bleiben zu wollen. 2016 soll es voraussichtlich ein neues Modell in der Gemeinde geben - ob es dann noch so große Preisnachlässe geben wird, lässt Maurer offen.

Wie es mit dem Einheimischenmodell im Landkreis Ebersberg weitergehen soll kann und darf, darüber muss nun die EU entscheiden. Dass die verbilligten Grundverkäufe komplett gekippt werden, gilt zumindest als unwahrscheinlich. Möglich also, dass auch die nächste Generation noch Bauland unter dem Marktpreis von ihrer Kommune kaufen darf - wenn man denn die nötige Geduld dafür hat. Denn egal wie die neuen Regeln für Einheimischenbauland auch aussehen werden, als sicher kann gelten, dass es auch dafür wieder lange Wartelisten geben wird.

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