Ebersberg:Kritiker der Digitalisierung

Ebersberg: "Gehirne machen keine Downloads, sondern werden benutzt und ändern sich dadurch! Und je mehr wir sie gebrauchen, desto mehr ändern sie sich - man nennt das Lernen!" Der Wissenschaftler Manfred Spitzer.

"Gehirne machen keine Downloads, sondern werden benutzt und ändern sich dadurch! Und je mehr wir sie gebrauchen, desto mehr ändern sie sich - man nennt das Lernen!" Der Wissenschaftler Manfred Spitzer.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer will mit einem Vortrag im Alten Speicher die Computerwelt entzaubern

Von Rita Baedeker, Ebersberg

"Professor Manfred Spitzer entzaubert die Computerwelt!" Unter dieses Motto stellt der Kulturkreis Ebersberg einen Vortrag des Wissenschaftlers am Mittwoch, 26. Oktober, 20 Uhr, im Alten Speicher Ebersberg. Mitveranstalter sind die Volkshochschulen Ebersberg und Vaterstetten, das Kreisbildungswerk und die Kolpingsfamilie Ebersberg, die Montessorischule Niederseeon sowie der Elternbeirat des Gymnasiums Grafing sowie die Landtagsabgeordneten Doris Rauscher (SPD) und Thomas Huber (CSU).

Manfred Spitzer ist seit 1998 ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, wo er das 2004 eröffnete Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen innehat. In der Öffentlichkeit hat sich Spitzer durch seine engagierten und kritischen Thesen zur Digitalisierung der Gesellschaft einen Namen sowie Freunde und Feinde gemacht. "Digitale Medien nehmen uns geistige Arbeit ab." Das berge immense Gefahren, argumentiert Spitzer. Das Gedächtnis lasse nach, Nervenzellen würden durch mangelnden Gebrauch sterben. Spitzer nennt diesen Effekt "Digitale Demenz", was auch Titel eines seiner Bücher ist, in dem der Wissenschaftler gegen Initiativen, Schulen digital aufzurüsten, zu Felde zieht. Lern- und Lesefähigkeit bei Kindern und Jugendlichen ließen durch die Beschäftigung mit der digitalen Welt drastisch nach. Der Mensch aber, so Spitzer, ist zum Lernen geboren, jede regelmäßig ausgeführte Handlung hinterlasse im Gehirn Spuren, umso mehr bei Kindern, die noch in einer Phase der Entwicklung stecken. Dass die ungefilterte Fülle von Daten im Netz, die man selektieren und gewichten muss, das Gehirn unter Umständen mehr herausfordern kann als ein Schulbuch, in dem man nur die richtige Seite aufschlagen muss, ändert laut Spitzer nichts am Befund. "Sie können richtig von falsch genau deswegen unterscheiden, weil Sie Vorwissen haben. Dieses Vorwissen brauchen Sie, sonst klappt es nicht. Und es muss irgendwie in den Kopf hinein. Nun machen Gehirne keine Downloads, sondern werden benutzt und ändern sich dadurch! Und je mehr wir sie gebrauchen, desto mehr ändern sie sich - man nennt das Lernen. Wenn wir also mit vorhandenem Vorwissen das Internet nutzen, dann lernen wir. Wenn wir ohne Vorwissen ins Netz gehen, lernen wir nicht. Da junge Leute erst Vorwissen erwerben müssen und das Netz dies nicht leistet, müssen sie geistig arbeiten. Je mehr, desto besser."

In seinem jüngsten Buch "Cyberkrank" beschreibt Spitzer, welche Folgen es haben kann, wenn digitale Medien die Kontrolle aller Lebensbereiche übernehmen. Er nennt Stress, Depressionen, Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen. Auf die Frage, ob er einen Zusammenhang erkennt zwischen der Verrohung im Netz und dem Konsum digitaler Medien, antwortet Spitzer: "Es ist schwer, hier Ursache und Wirkung zu trennen. Aber man weiß, dass Bildschirm-Medienkonsum bei jungen Menschen zu mangelnder Empathie führt. Zudem fördert die Anonymität des Internet nicht die guten Sitten. Nimmt man beides zusammen, ergeben sich auf jeden Fall Hinweise darauf." Doch plädiert der Wissenschaftler nicht für eine radikale Umkehr. "Niemand will zurück. Schließlich nutzen wir die neuen Werkzeuge zur Steigerung unserer Produktivität: Ich sitze gerade im Zug von Barcelona nach Madrid und beantworte Ihre Fragen - das ging früher nicht! Aber bedenkt man die Risiken und Nebenwirkungen digitaler Technik bei Kindern und Jugendlichen, so muss man sich fragen, ob das, was Erwachsenen beim Arbeiten hilft, die beste Freizeitgestaltung für Kinder ist. Und hier bin ich skeptisch."

"Von cyberkrank bis digital dement" lautet der Titel des Vortrags von Professor Manfred Spitzer am Mittwoch, 26. Oktober, 20 Uhr, im Alten Speicher Ebersberg. Kartentelefon: (08092) 255 92 05.

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