Ebersberg:Kritik der gläsernen Existenz

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Michael Altinger präsentiert im Alten Kino die Vorpremiere seines neuen Programms "Hell". Der Wasserburger wagt nicht nur ein Novum - er emanzipiert sich damit vom Klamauk früherer Jahre

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Es war im Frühjahr 2015, die Eheleute Altinger hatten für einen Ausflug nach Berlin ein Hotelzimmer gebucht, online, wie man das eben so macht heutzutage. Die Eigenheit des Hotels war, dass sich die Wände im Zimmer als durchsichtig erwiesen, und so kam Nicola Altinger kaum umhin, ihren Gatten beim Vollzug auf der Toilettenschüssel zu beobachten. Die meisten Menschen würden solche Erlebnisse unter Verschluss halten, wer kommt schon vom Urlaub zurück und erzählt so eine Geschichte. Michael Altinger aber entdeckte darin einen sozialkritischen Ansatzpunkt: Man muss es nicht übertreiben mit öffentlicher Bloßstellung - nicht im Leben, nicht im Internet, und auch nicht bei der Innengestaltung von Hotels.

Unter den 200 Gästen, die am Montagabend die Vorpremiere von Altingers neuem Programm "Hell" im Alten Kino sahen, saß auch seine Frau, "ein bisserl nervös", sei sie, klar, weniger wegen der Details aus dem Hotelzimmer, sondern weil es an diesem Abend um etwas ging: Die Vorpremiere ist für Kabarettisten so etwas wie die Generalprobe bei Theateraufführungen, ein erster Gradmesser, ob ein neu geschriebener Text beim Publikum ankommt oder nicht. Und obwohl Altinger vor drei Jahren zusammen mit Christian Springer die prestigeträchtige BR-Sendung "Schlachthof" übernommen hat und in 20 Jahren auf der Bühne viel erlebt hat, hatte dieser Abend eine gewisse Fallhöhe, schließlich war es der Auftakt zu einem Experiment.

Altinger hat sich erstmals eine Trilogie vorgenommen, die sich über sieben Jahre hinziehen soll - im deutschen Kabarett ist das höchst ungewöhnlich. Der erste Teil startet am Freitag in Garmisch mit der offiziellen Premiere, 2019 und 2022 sollen die beiden Fortsetzungen folgen. In "Hell" erzählt er wie gewohnt aus dem imaginären Ort Strunzenöd. Und auch mit 45 hat Altinger noch immer diesen einmaligen Gesichtsausdruck, den man von Buben kennt, die gerade dem Bauern die ungemähte Wiese zertreten haben. Alles wie immer, könnte man sagen, und doch ist etwas anders an diesem Altinger im Herbst 2016:

In "Hell, Teil eins" führt Altinger sein Publikum mit der scheinbaren Banalität eines Autounfalls in das Programm ein. "Ich glaube an Gott, aber a bisserl hätt' er mir schon helfen können beim Einparken". In dieser Pointe lässt er erstmals anklingen, dass es ihm nicht um Klamauk gehen soll, sondern um große Themen wie Gott und Moral, auch wenn das der Zuschauer zu diesem frühen Zeitpunkt vielleicht noch nicht bemerkt. Altinger greift den Crash in dem 100-minütigen Stück immer wieder auf, indem er mit seiner imaginären Versicherung telefoniert. Sein Schuldeingeständnis aus dem ersten Telefonat gerät dabei mit zunehmender Dauer immer mehr ins Wanken, am Ende bleibt nicht mehr viel übrig von der Opferbereitschaft für den Besitzer des anderen Autos. In diese Rahmengeschichte verzahnt er soziale Phänomene, etwa die einer neuen Elterngeneration, zu der er als Vater zweier Söhne selbst zählt. "Wir sind alle getrieben, davon dass aus unseren Kindern nix wird ohne Abitur", sagt er, "oder trotz Abitur".

Ganz verzichten will Altinger aber nicht auf seine überraschenden Halbsätze und schnell gesetzten Pointen. Mit der Feststellung, dass seine Putzfrau mit Substanzen hantiert, aus denen andere Leute Bomben fertigen, verzückte er das Ebersberger Publikum ebenso wie mit den Details aus dem Hotel, und worauf es auf der Kloschüssel ankommt, wenn ein anderer zuschaut. Ja, man kann sagen, Altingers neues Programm vermengt Tiefgang mit Witz, und das klappt schon ziemlich gut, auch wenn sich seine Frau beim Schildern der Kloszene kurz den Pulli vors Gesicht hielt.

Altinger, der vor 19 Jahren das erste Mal mit seinem Komikerkollegen Günther Grünwald in Ebersberg auftrat, kommt gerne hierher, immer wieder, auch wenn es Kleinkunstbühnen gibt, wo das Publikum enthusiastischer mitgeht. Am Ende gab es im Alten Kino Applaus, ordentlich, aber nicht überschwänglich. In "Hell" wagt Altinger etwas, das im deutschen Kabarett unüblich ist, nicht nur, weil das Stück unvollendet ist, als Auftakt zu einem Dreiteiler. Sondern auch, weil sich Altinger vom Klamauk hin zu einem philosophischen Verständnis von Kabarett entwickeln will.

"Ich glaube, dass die Leute diese Entwicklung gerne mit mir mitgehen wollen", sagt er hinter der Bühne, kurz nach dem er sein Hemd gewechselt hatte. Altinger will sich nicht nur ein neues Gewand verpassen, er will seinem Anspruch inhaltlich gerecht werden. Dafür hat er monatelang mit dem Kirchseeoner Kabarettisten Alex Liegl und dem Münchner Philosophen Thomas Lienenlüke, Singspiel-Autor des Nockherbergs, gearbeitet, Gespräche über den kategorischen Imperativ, den Glauben und Moralphilosophie geführt. Die Zeiten, in denen er für den Bayerischen Rundfunk als "Sepp Rotzlädschnbene" durchs Studio hopste, die wolle er endgültig hinter sich lassen, sagt er. In Ebersberg hakte es noch an einigen Stellen, mal vergaß Altinger den Text, mal der Gitarrist den Einsatz. Doch Altinger überspielt die Pannen nicht, sondern spielt mit ihnen. Vielleicht zieht er genau daraus seine Stärke.

© SZ vom 05.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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