Ebersberg:Karg, aber fröhlich

Beim ersten Weihnachtsfest nach dem Zweiten Weltkrieg fehlte es an vielem, dennoch gibt es schöne Erinnerungen aus dieser Zeit

Von Barbara Mooser, Ebersberg

Die funkelnden Stanniolwolken, die die Amerikaner in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs über Ebersberg abwarfen, sollten eigentlich nur eines bewirken: den Radar der Deutschen zu stören. Doch als endlich der Frieden im Land eingekehrt war, erlebten die Metallstreifen eine wunderschöne Wiederverwertung: Als glitzerndes Lametta zierten sie die Christbäume in vielen guten Stuben in der Region. Daran erinnert sich Markus Krammer noch gut. Acht Jahre alt war der Ebersberger, als er sein erstes Friedensweihnachten erlebte. "Karg runtergegangen" sei damals alles, sagt er, "aber für uns als Buben war das eine Zeit, die sehr interessant war".

Üppige Genüsse, großzügige Geschenke, feierlich dekorierte Schaufenster, all das, was heute mit der Weihnachtszeit verbunden wird, gab es damals nicht. Genügend Gründe zum Staunen hatten insbesondere Kinder dennoch. Endlich musste man die dunklen Winternächte nicht noch schwärzer machen, die verhasste Verdunklung gegen Fliegerangriffe gehörte der Vergangenheit an. In eine hellerleuchtete Kirche durfte man zur Christmette gehen, auch das hatten viele Kinder damals noch nicht erlebt. Überhaupt, sagt Werner Hubert, der damals neun Jahre alt war und sich an Zeiten ohne Krieg gar nicht mehr erinnern konnte: "Ich dachte mir immer: Wenn der Krieg vorbei ist, redet niemand mehr irgendwas. Denn damals hat man ja über nichts anderes geredet." Dass dennoch nicht die große Sprachlosigkeit ausbrach, als die Waffen schwiegen, erstaunte den jungen Langwieder sehr.

An das Weihnachten 1945 erinnert er sich auch deshalb noch sehr gut, weil es das letzte Fest mit seinem Großvater war, der einige Monate später starb. Es war ein schönes Fest mit der Großfamilie; Werner Hubert durfte länger aufbleiben und sogar Geschenke gab es. Allerdings lagen vor allem praktische Dinge unter dem Christbaum, erzählt Hubert: "Das waren in erster Linie Sachen zum Anziehen, für die kleineren Kinder ein bisschen Holzspielzeug." Gebrauchsgüter bekamen auch die Erwachsenen, so wurde etwa der Hausfrau ein Kochtopf zum Weihnachtsfest verehrt: "Das wäre heute die höchste Beleidigung", sagt Hubert und lacht.

Hochzufrieden war Markus Krammer mit dem Geschenk, das in der ersten Friedensweihnacht für ihn unter dem Christbaum lag: Es war eine hölzerne Mühle, in die man oben dünnen Schweißsand einfüllen konnte, der dann unten mehrere kleine Werkstätten antrieb. Neu sei die wohl nicht gewesen, glaubt Krammer, möglicherweise habe die Tante aus München sie spendiert, deren Kinder schon älter waren. Das habe aber der Begeisterung keinen Abbruch getan.

Auch in der Familie von Therese Neumayr aus Frauenneuharting erfreute man an jenem ersten Weihnachtsfest nach dem Krieg kleinere Kinder mit Spielsachen, für die andere zu groß geworden waren. Die kleinen Schwestern hätten damals Puppen bekommen, erzählt die 84-Jährige, für den dreijährigen Bruder aber stand sogar ein Schaukelpferd da, das der Schreiner extra angefertigt hatte. Für alle Kinder gab es einen bunten Teller mit "Guatln" und anderen feinen Dingen. Die jüngeren Geschwister wussten dabei gar nicht, was das runde gelbe Ding war, das da zwischen den Plätzchen lag. Therese Neumayr, mit 13 Jahren die Älteste, aber schon: "Jeder hat eine Orange bekommen, das war das Höchste."

Sogar in einer Zeit, in der man Lebensmittel nur auf Marken kaufen konnte und es oft selbst am Notwendigsten mangelte, versuchten die Menschen im Landkreis, an den Weihnachtstagen etwas Besonderes auf den Tisch zu bringen. Markus Krammers Mutter fabrizierte Plätzchen aus Maismehl, "ganz harte Zelten" seien das gewesen, erzählt der heute 78-Jährige, es habe ja an allem gefehlt, was man heute bei Plätzchen unverzichtbar findet. In der Schulspeisung wurde an jenem ersten Weihnachten Corned Beef serviert, auch das weiß er noch genau. In der Familie von Therese Neumayr wurde der Heilige Abend noch als Fastentag eingehalten, wie das früher üblich war: Zum Kaffee am Nachmittag gab es eine Schmalznudel, damit hatte es sich dann aber auch schon. Umso größer der Genuss, als nach dem Weihnachtsgottesdienst spät nachts die Mettenwürste serviert wurden, in diesem Fall eine deftige Leberwurst.

Auch der Christbaum stand in der guten Stube der Familie erst nach der Christmette, die drei kleinen Geschwister von Therese Neumayr waren auch überzeugt davon, dass niemand anders als das Christkind selbst für diese mit Kerzen und Lametta geschmückte Pracht auf dem Wohnzimmertischchen verantwortlich sein konnte. Die Kleinen waren aber auch der Grund dafür, dass der Baum mit seinen Wachskerzen nur an einem Abend in Festbeleuchtung erstrahlte. Damals hätte sonst auch keiner Zeit gehabt, jeden Abend wieder die brennenden Kerzen zu beaufsichtigen, erinnert sich die Frauenneuhartingerin.

Auf einen Christbaum hätte man auch in der Familie von Werner Hubert niemals verzichtet. Hilfreich bei der Beschaffung war dabei, dass der Großvater selbst ein Stück Wald besaß. Schmucklos gelassen hätte man die Stube aber auch nicht, wenn es anders gewesen wäre: "Dann hätte man eben einen gestohlen", sagt er trocken. Als Straftat galt das damals nicht, eher als vorweihnachtlicher Spaß mit ein bisschen Nervenkitzel. Dass schöne Kerzen an dem Baum prangten, beeindruckte auch den jungen Werner. "Wir waren dankbar für die kleinsten Sachen", sagt er. Während des Kriegs konnte man oft nicht einmal Kerzen für den Adventskranz auftreiben, damals improvisierte man dann eben und bastelte einfach aus Papierrollen Kerzen-Imitate. Nur anzünden durfte man die halt nicht.

Doch auch wenn der Krieg vorbei war und sich Kinder vor allem an ihre Abenteuer in den Nachkriegsmonaten erinnern - schwierig waren die Zeiten immer noch. Wie vieles andere war auch Wohnraum knapp; die Familie Krammer etwa lebte damals in zwei kleinen Zimmern. "Wir hatten ein gemeinsames Schlafzimmer und eine Küche mit zehn Quadratmetern. Da hat sich alles abgespielt", erinnert sich Markus Krammer. Und just an diesem besonderen Weihnachtsfest 1945 gab es einen Anlass, noch ein bisschen weiter zusammenzurücken: Am 21. Dezember wurde Markus Krammers kleines Brüderchen Josef geboren, damit war man nun zu fünft. Und hatte, bei aller Not und Enge, fast so etwas wie ein eigenes Christkind in der guten Stube.

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