S-Bahnhöfe im Landkreis:Von Barrierefreiheit weit entfernt

Die Behindertenbeauftragte Petra Mittelberg begutachtet bei einer Tour durch den Landkreis die Barrierefreiheit der S-Bahnhöfe. Ihr Fazit: Für die Bahn und die Gemeinden gibt es noch viel zu tun.

Von Max Nahrhaft, Ebersberg

- Bei leichten Minusgraden pfeift der Wind über den Bahnsteig in Baldham. Die meisten ankommenden Menschen steigen hier nur schnell aus und eilen weiter zu ihrem nächsten Ziel. Bahnhöfe dienen für die meisten nicht zum Aufenthalt, sondern als Durchgangsstation. Petra Mittelberg hält sich gezwungenermaßen schon länger hier auf. Sie sitzt aufgrund einer Glasknochenkrankheit im Rollstuhl und weiß nicht, wie sie über die Treppen nach unten kommen soll. Der vorhandene Fahrstuhl funktioniert schon länger nicht mehr.

Barrierefrei, wie Mittelberg einen Bahnhof bräuchte, sind nicht alle im Landkreis, einige sind sogar in einem desolaten Zustand. "Weder in Grafing-Bahnhof noch in Markt Schwaben haben Gehbehinderte, Rollstuhlfahrer oder Eltern mit Kinderwagen ohne fremde Hilfe die Möglichkeit, zu den Bahnsteigen zu gelangen. Das ist alarmierend", sagt Petra Mittelberg über eines ihrer großen politischen Themen: Sie ist ehrenamtliche Behindertenbeauftragte im Landkreis Ebersberg.

"In Grafing Bahnhof hat man zwar noch Zugang zum Nahverkehr, doch zu den Fernverkehrszügen kommt man nicht barrierefrei. Aber genau der Fernverkehr wird jeden Tag von sehr vielen Pendlern genutzt ", sagt auch der Landtagsabgeordnete Thomas Huber (CSU), der mit Petra Mittelberg, Thomas John vom Seniorenbeirat in Ebersberg, Monika Samii-Pichlmeier, Behindertenbeauftragte in Ebersberg, und Werner Voigt vom VdK Zorneding einige S-Bahnhöfe der Linien S2 und S4 im Landkreis abfährt.

Das Fazit der Rundreise ist ernüchternd; viele Bahnhöfe sind nicht barrierefrei

Mit ernüchterndem Ergebnis: In Grub ist die Stufe vom Bahnsteig in den Zug unüberwindbar hoch, und wer den Bahnsteig wechseln will, muss einen 600 Meter langen Umweg über die Bahnbrücke in Kauf nehmen. Auch in Poing gibt es ähnliche Probleme, die Einstiegshöhe passt nicht und es sind weite Wege zu bewältigen, wenn der Bahnsteig gewechselt werden muss.

Zornedingern, die nicht mobil sind, wird es nicht leichter gemacht: Es gibt weder einen Aufzug noch ein Behindertenleitsystem, zudem sind die Behindertenparkplätze mehr als 500 Meter vom Bahngleis entfernt. In Eglharting gibt es zwar einen barrierefreien Bahnsteig, aber es gibt keinen einzigen Behinderten-Parkplatz. "Die einzige Möglichkeit, hier von weiter weg zur Bahn zu kommen, ist mit dem Fahrrad - oder vielleicht auch mit dem Pferd", kritisiert Thomas John vom Seniorenbeirat der Stadt Ebersberg. Einen barrierenfreien Zugang hat zwar auch der Kirchseeoner Bahnhof, doch dazu müssen Betroffene eine 300 Meter lange Rampe überwinden. Mittelberg dazu: "Ich möchte mich nicht über die Länge der Wege beschweren, manchmal geht es eben nicht anders. Wichtig ist nur, dass sie nicht zu steil und im Winter von Schnee und Eis befreit sind."

Allein die Bahnhöfe in Vaterstetten, Baldham, Grafing-Stadt und Ebersberg sind völlig barrierefrei für Behinderte nutzbar - wenn denn die Aufzüge funktionieren. "Über den Uringestank in den Aufzügen brauche ich nichts mehr sagen, der gehört fast dazu", so Mittelberg.

Das Bewusstsein für Behinderung wird aber stärker

Ein Großteil der Hindernisse falle den Menschen gar nicht auf, wenn sie keine Behinderung oder sonstige Beeinträchtigung hätten. Die Ebersberger Behindertenbeauftragte Monika Samii-Pichlmeier lobt aber auch: "In den letzten Jahren ist ein echtes Bewusstsein für Behinderung entstanden. Das verdient Anerkennung."

Werner Voigt vom VdK fügt hinzu: "Wir müssen weiterhin daran arbeiten, Barrieren in den Köpfen der Menschen abzubauen." Es gebe nicht nur Gehbehinderungen, sondern viele weitere Einschränkungen. Menschen, die schlecht sehen oder schlecht hören oder nicht lesen können. Es gibt keine sprechenden Kartenautomaten und an vielen Bahnhöfen keine schriftlichen Anzeigen oder gesprochenen Durchsagen. "In dieser Hinsicht sind wir noch weit davon entfernt, von einer völligen Barrierefreiheit sprechen zu können", stellt Petra Mittelberg fest.

Barrierefreiheit scheitert aber nicht am fehlenden Willen, sondern an der Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Freistaat und Deutscher Bahn, die sich häufig die Besitzverhältnisse an Bahnhöfen teilen. "Da die Gleise, Bahnsteige, Wege und Parkplätze viele verschiedene Besitzer haben, ist es häufig schwer, zu bestimmen, wer zuständig ist", sagt John.

Auch wenn man sich einig ist, dauerte es oft Monate und Jahre, bis die Beschlüsse umgesetzt werden. Für Petra Mittelberg ein Ärgernis. "Ich muss mich jedes Mal aufs Neue fremden Personen anvertrauen. An manchen Bahnhöfen kann es abseits der Stoßzeiten aber auch mal sein, dass niemand hier ist. Alleine bin ich dann aufgeschmissen", klagt sie. In solchen Fällen gibt es weder eine Notrufnummer der Deutschen Bahn noch Hilfspersonal, das weiterhelfen könnte.

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