Ebersberg:Ein ziemliches Theater

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In die Grafinger Turmstube führt nur eine lange Treppe. In der Stadthalle hingegen gibt es einen Aufzug, eine Rampe und extra Toiletten für Rollstuhlfahrer. (Foto: Christian Endt)

Wer sich mit dem Gehen schwer tut, findet nur mit Mühe barrierefreie Kulturveranstaltungen

Von Rita Baedeker, Ebersberg

"Und wie kommen wir jetzt in den Saal?" Der Mann, leise Ungeduld in der Stimme, wendet sich an Barbara Lux vom Verein Altes Kino, die eine halbe Stunde vor Beginn des Konzerts hinter der Theke im Foyer des Alten Speichers steht und gerade alle Hände voll zu tun hat. Er deutet auf die Frau neben ihm im Rollstuhl. Lux bedeutet ihm freundlich, einen Moment zu warten, dann holt sie einen Schlüssel und bittet das Paar, ihr zu einem Aufzug zu folgen, der in den ersten Stock fährt.

Für Menschen auf zwei gesunden Beinen ist es ganz selbstverständlich, jederzeit ins Theater, in ein Konzert, in Ausstellungen und Museen gehen zu können. Für Rollstuhlfahrer und andere, die Mühe mit der Mobilität haben, sowie deren Begleitung ist der Besuch einer Kulturveranstaltung indes oft ein nerviger Hürdenlauf. Schaut man sich Eingänge, Zuschauerräume, Parkplätze und Gehwege genauer an, dann entdeckt man überall Treppen, Schwellen, holperige Beläge. Doch schon kleine Unebenheiten können zum großen Hindernis werden. Rollstuhlfahrer empfinden den dauernden Kampf gegen die mannigfachen Stolperfallen als erniedrigend und zermürbend.

Das Problem sind nicht nur fehlende Aufzüge

Artikel 30 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen fordert den Zugang zu "allen Ebenen und Inhalten kulturellen Materials". Damit sind nicht bloß Treppen gemeint, auch das Fehlen von Induktionsschleifen für Hörgeschädigte, von taktilen Bodenplatten für Sehbehinderte und von Informationen in einer Sprache, die auch Menschen mit geistigen Einschränkungen verstehen, wird moniert.

Mitte Februar hat Bayerns Sozialministerin Emilia Müller dem privaten Münchner Metropoltheater als erstem in Bayern das Signet "Bayern barrierefrei - Wir sind dabei!" verliehen. "Vom Behindertenparkplatz vor dem Theater über eine Rampe zum Haupteingang bis zum Drink an der Bar - Menschen mit Behinderung kommen in diesem Theater nicht nur ohne Barrieren zur Vorstellung. Sie können wie jeder andere Besucher auch am Geschehen teilnehmen - so stellen wir uns die inklusive Gesellschaft im Freistaat vor", erklärte Müller. Für den Abbau von Barrieren stelle Bayern in diesem und im nächsten Jahr mehr als 235 Millionen Euro zur Verfügung, sagte sie.

Auch im Landkreis leben behinderte Menschen, die am Kulturleben teilnehmen wollen. Im Alten Kino in Ebersberg können Besucher mit eingeschränkter Mobilität einen seitlichen Eingang neben der Bühne nutzen. Ein wenig bergauf geht es da allerdings schon. Im Alten Speicher müssen sich Rollstuhlfahrer und deren Begleitpersonen im Foyer melden und werden dann zum Aufzug begleitet. Allerdings, räumt Markus Bachmeier vom Verein Altes Kino ein, stellen die Treppenaufgänge "auch schon für Besucher, die zwar laufen können, aber ein wenig älter und nicht mehr so gut zu Fuß sind, schon eine Herausforderung dar".

Der Lift im Alten Speicher muss extra aufgesperrt werden

Christian Stalla, Abteilungsleiter Technik Hochbau im Rathaus Ebersberg, erklärt, dass beim Umbau des Alten Speichers noch die alte DIN gegolten habe, seit zwei Jahren gebe es weiter ausgedehnte Vorschriften, die bei Neubauten umgesetzt werden müssten. Schwellen etwa dürften maximal zwei Zentimeter hoch sein. "Der Alte Speicher galt als Bestandsgebäude und wurde dementsprechend behindertengerecht hergerichtet." Das Treppenhaus, in dem sich der Fahrstuhl befindet, ist auch Fluchtweg fürs Gebäude. Um den Lift zu bedienen, muss man eine Tür aufsperren und braucht Personal.

Doch nicht nur an Menschen mit körperlichen Gebrechen sei gedacht. "Wir haben Geräte mit Induktionsschleife, so dass Hörgeschädigte ein Konzert im Speicher miterleben können." Dass man eine Ausstellung in der Ebersberger Rathausgalerie auch als Rollstuhlfahrer besuchen kann, das zeigte im vergangenen Jahr, kurz vor seinem Tod, Max Mannheimer, als er eine Werkschau seines künstlerischen Schaffens eröffnete. Stalla bestätigt, dass der Fahrstuhl rollstuhlgerecht ist. Zudem habe man erst vor einer Woche die Eingangstür zum Marktplatz und die zum Treppenhaus auf Automatik umgestellt, so dass Rollstuhlfahrer nun auch ohne Hilfe ins Haus kommen. Zum Thema behindertengerechtes Bauen vertritt Stalla eine klare Meinung: "Man kann es nicht immer allen recht machen; zur gelingenden Integration gehört auch die Mithilfe anderer. Es gibt jedoch Menschen mit Behinderung, die sich nicht helfen lassen wollen und glauben, alles müsse von allein gehen, doch das würde utopische Kosten verursachen."

Zu den behindertenfreundlichen Spielorten gehört der Seniorenwohnpark Vaterstetten, "Ausweichquartier" der Rathauskonzerte, die wegen strenger Brandschutzauflagen nicht mehr ins Rathaus dürfen. Der Saal ist zwar akustisch kein Wunschobjekt, dafür aber barrierefrei. Das gleiche gilt für die zweite Dependance der Reihe, das Bürgerhaus Neukeferloh mit ebenerdigem Eingang und breiten Türen. Dort trifft sich regelmäßig die Arbeitsgruppe "Barrierefreies Grasbrunn".

In Grafing und Zorneding ist nur das Erdgeschoss barrierefrei

Keine Chance auf Zugang haben Behinderte hingegen in die (private) Glonner Schrottgalerie und die Turmstube in Grafing. In diesen Raum, wo seit Umzug aus dem Kastenwirt die Jazzinitiative ihr neues Zuhause gefunden hat, fährt kein Lift. Pläne, hier nachzurüsten, existieren laut Bürgermeisterin Angelika Obermayr bislang nicht. Die Grafinger Stadthalle nebenan jedoch verfüge über Aufzug, Rampe und eine Toilette für Rollstuhlfahrer, sagt Sebastian Schlagenhaufer, der künstlerische Leiter. "Hier findet regelmäßig auch der Ball des Betreuungszentrums Steinhöring statt, die Quote von Rollstuhlfahrern ist da ziemlich hoch". Vorgeschrieben im Saal seien mindestens zwei Rollstuhlplätze, aber je nach Bestuhlungsvariante können es auch mehr sein, fügt er hinzu. Ins Untergeschoss, wo sich Foyer und Garderobe befinden, gelangen Rollstuhlfahrer allerdings auch hier nicht, ergänzt Obermayr. Die Stadtbücherei Grafing, wo unter anderem Ausstellungen und Lesungen veranstaltet werden, ist über eine Rampe und einen Nebeneingang zugänglich. Der erste Stock bleibt Rollstuhlfahrern allerdings auch hier verschlossen. "Es gibt nur einen Lastenaufzug, keinen Personenlift", sagt Obermayr.

Der Martinstadl in Zorneding, wo der Kulturverein Zorneding-Baldham seine Kammermusikreihe veranstaltet, ist auch nur teilweise barrierefrei. Es gibt eine Rampe für Rollstuhlfahrer am Haupteingang, sagt Vorstandsmitglied Helmut Stocker, diese können also ungehindert den Saal erreichen. Garderobe und Toiletten sind dagegen nicht zugänglich, weil es dorthin weder einen Lift noch eine Rampe gibt. "An Konzertbesucher mit Rollstuhl kann ich mich nicht erinnern", erklärt Stocker, jedoch gibt es gehbehinderte Abonnenten und Besucher, denen wir bei Bedarf zur Seite stehen."

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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