Ebersberg:Die ewige Lust an der Verwandlung

Ebersberg: Schon 2006 spielte Michael Lieb den Urfaust in Grafing - nun wird er das Stück erneut aufführen, in Ebersberg und, zum 20-Jährigen, in Grafing.

Schon 2006 spielte Michael Lieb den Urfaust in Grafing - nun wird er das Stück erneut aufführen, in Ebersberg und, zum 20-Jährigen, in Grafing.

(Foto: Renate Schmidt)

Michael Jacques Lieb spielt Goethes "Urfaust" bereits seit 20 Jahren - in einer ganz persönlichen Einmann-Inszenierung. Am Freitag ist der Schauspieler in der Heilig-Geist-Kirche in Ebersberg zu sehen, im März dann in der Auferstehungskirche Grafing

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Wenn irgendetwas aus dem Lektüre-Pool des Deutschunterrichts in den Köpfen der Schüler hängen bleibt - dann ist es Goethes "Faust", jene Tragödie, die das ganze Drama des Menschseins umfasst. Man las die Verse mit verteilten Rollen, und jede(r) wollte Mephisto sein und Dinge sagen dürfen wie "ich bin der Geist, der stets verneint!" Denn exakt das will man doch als Jugendlicher fortwährend. Gretchen hingegen? Uncool. Zu brav, zu naiv. Wenn schon eine weibliche Rolle, dann wenigstens die der heimtückischen Frau Marthe. Jede Generation hat dabei ihre Faust-Vorbilder von Bühne und Film. Unübertroffen der aalglatte Gustaf Gründgens, der als Mephisto den tragischen Helden, den Will Quadflieg in der Titelrolle gab, aufs Glatteis führte.

Seit nunmehr zwanzig Jahren hat sich auch der Grafinger Schauspieler Michael Jacques Lieb den Goetheschen Stoff zu eigen gemacht - und zwar sämtliche Rollen. 1997 nämlich hat er sein Ein-Mann-Ensemble, das Theatro LieBido, gegründet, und quasi seit der ersten Stunde hat er den "Urfaust" im Repertoire. Seitdem zeigte Lieb seine ganz persönliche Inszenierung im In- und Ausland, in Kirchen, Büchereien oder an Schulen.

Der Urfaust, das war Goethes erster Entwurf für das spätere Drama. Als Volksbuch hatte der Dichter die Geschichte in einem Laden seiner Heimatstadt Frankfurt erstanden. Die Gestalt des Doktor Faustus kannte er da aber längst schon, englische Schauspieler hatten das Drama aus der Feder von Christopher Marlowe, dem Vorgänger Shakespeares, nach Deutschland gebracht, wo es zu einem Volksstück für die Puppenbühne umgestaltet wurde. Aus Goethes im Alter von 23 Jahren begonnener erster Bearbeitung wurde "Faust - ein Fragment", darauf basierte der "Urfaust" und darauf wiederum "Faust I" und "Faust II". Letzteren vollendete Goethe im Alter von 82 Jahren kurz vor seinem Tod.

Der Urfaust ist deutlich kürzer als der Faust. "Keine Schulklasse steht vier Stunden Aufführung durch", sagt der Schauspieler Lieb. Zum Vergleich: 22 Stunden hat der Faust-Marathon von Peter Stein bei der Expo 2000 in Hannover mit Bruno Ganz in der Titelrolle gedauert. Damals wurde dem Publikum wohl eine ziemliche Portion Sitzfleisch abverlangt. Liebs Fassung dauert 80 Minuten, das ist um einiges menschenfreundlicher.

"Die Idee hatte ich, als ich die Aufführung eines Mannes sah - es war Rolf Günther -, der den Faust eins und zwei komplett im Sitzen spielte, in schwarzer Kleidung, nur mithilfe von Mimik und Sprache", berichtet Lieb. 1997 hat er seine Idee zusammen mit einem Regisseur umgesetzt, sich von dem aber kurz darauf wieder getrennt. "Der wollte, dass der Faust als psychisch Kranker dargestellt wird, das aber wollte ich nicht", erzählt Lieb. "Er wollte auch die Szene in Auerbachs Keller streichen, das ist aber eine meiner Lieblingsszenen". Anlässlich einer Aufführung am Goethe-Gymnasium Wetzlar sei es dann zum offenen Streit gekommen.

Seither macht Lieb alles selbst. Er inszeniert und spielt alle Rollen, auch die Musik hat er an der Gitarre selbst gemacht. Gestrichen hat er das "Vorspiel auf dem Theater" und den "Osterspaziergang", aber diese beiden Szenen sind Lieb zufolge nicht ganz so wichtig. Im Laufe der Jahre wurde der Gelehrte, der seine Seele dem Teufel verkauft, auf deutschen Bühnen immer wieder neu erfunden, neu gedeutet. "Ich weiß eigentlich gar nicht so genau, wer dieser Faust ist", gesteht Lieb, "ich verstehe den manchmal selber nicht". Das Faszinosum an dem Drama ist für ihn, dass er damit seine Lust an der Verwandlung ausleben kann. "Es ist schon eine Herausforderung, mit 60, und dazu als Mann, das Gretchen zu spielen, es macht mir aber Spaß." Die Verwandlung der Figuren geschehe bei ihm manchmal fließend, etwa von der Gestalt des Faust zum Bösewicht Mephisto.

Von Regieeinfällen, in denen man die literarische Vorlage nicht mehr erkennt, hält der Grafinger nichts, aber ab und zu baut auch Lieb eigene Ideen ins Drama ein. Wenn er etwa in Trier, wo er geboren ist, den Urfaust gibt, dann integriert er gerne die Sage von der abgebrochenen Säule vor dem Dom in eine Szene. "Es heißt, der Teufel wollte dieses Trumm auf den Dom werfen, aus Ärger darüber, dass die Glocken läuteten. Da er aber schlecht zielte, knallte das Teil auf den Platz davor." Lieb lacht. "Das ist nicht Goethe, passt aber ganz gut zum Stück, und in Trier kennt das natürlich jeder, woanders lasse ich die Szene weg." Auch bezieht er gerne Zuschauer ins Stück mit ein. Zum Beispiel, indem er an eine Schülerin herantritt und die berühmte Frage stellt: "Schönes Fräulein, darf ich's wagen. . .? - Manchmal kennen die sogar den Text und antworten mit Goethe."

Michael Jacques Lieb kommt aus einer Trierer Schauspielerfamilie. Er besuchte die Schauspielschule und stand unter anderem bei den Salzburger Festspielen mit Ingmar Bergmann auf der Bühne. Sein erstes festes Engagement hatte er am Stadttheater Coburg. "Da habe ich mich dumm und dämlich gespielt, aber nach ein paar Jahren ging mir der Betrieb auf den Senkel, ich machte mich selbständig", erzählt er. "Aber ein freies Dasein ist schon schwer."

Neben dem Ein-Mann-Theater ist Lieb als "Schauspielpatient" an der TU München tätig: Als solcher bereitet er angehende Ärzte im Rollenspiel auf den Umgang mit künftigen Patienten vor. In Kliniken und Seniorenheimen gibt er den Clown und engagiert sich als Demenzhelfer. Michael Jacques Lieb spielt den Faust in allen Schattierungen, kennt ihn vermutlich besser als seinen besten Freund. Mephisto jedenfalls würde sich an ihm sicher die Reißzähne ausbeißen.

Am Freitag, 10. Februar, spielt Michael Jacques Lieb von Theatro "LieBido" den Urfaust im Evangelischen Gemeindehaus in Ebersberg, Beginn ist um 19.30 Uhr, Einlass um 19 Uhr. Karten kosten 15, ermäßigt acht Euro. Das Jubiläum "20 Jahre Urfaust" - die Premiere seiner Ein-Mann-Inszenierung war im März 1997 in einer Münchner Kirche zu sehen - feiert Lieb am Freitag, 17. März, um 20 Uhr in der Auferstehungskirche Grafing.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: