Ebersberg:Dickes Fell

Kürschner Rudolf Stadler junior fertigt Krachlederne genauso wie mondäne Pelzmäntel. Für ersteres wird er nicht nur zur Wiesn-Zeit geliebt, für letzteres gescholten. Dabei empfindet er seine Arbeit als Beitrag zur Nachhaltigkeit

Von Katharina Kutsche

Als hätte jemand Rudi Völlers WM-Frisur von 1990 verarbeitet. Blondes Haar fällt in mehreren Zentimeter langen Strähnen herab, oben am Reißverschluss glatt, die Enden korkenzieherartig eingedreht. Der Minipli galt in den 1980er Jahren als der beste Freund des Vokuhila. Heute schmückt er im Grafinger Pelz- und Modehaus Stadler ein Accessoire für Damen. "Tibet-Lamm", sagt Rudolf Stadler junior und hebt die Handtasche leicht an. Er ist Kürschnermeister in zweiter Generation und Designer der Tasche, das ist ein wesentlicher Teil seines Berufs, einem der ältesten, die es gibt.

Stadler - blaue Jeans, grüner Pullover mit gesticktem Krokodilslogo, schwarze Haferlschuhe - führt durch den Familienbetrieb in Grafing. Im Verkaufsbereich im Erdgeschoss bietet er Trachtenmode für Frauen und Männer an: Dirndl, Hosen und Jacken aus Hirsch-, Kalbs- oder Ziegenleder, Strickjacken aus der Wolle von Berchtesgadener Gebirgsschafen. Gegenüber die Pelze. Schwarze Jacken vom Breitschwanzpersianer, ein kurz geschorenes Fell mit ornamentartiger Kräuselung. Rotbraune Krägen vom bayerischen Rotfuchs, sehr weich unter den Händen.

Wie man eine Pelzweste mit Jeans und Bluse attraktiv kombiniert, zeigen Artikel aus Modezeitschriften - Stadler hat sie ausgeschnitten und an Regale und Spiegel geklebt. Die Modetrends bestimmen Stadlers Arbeit inzwischen sehr, auch wenn sich die Verarbeitungsmethoden der Kürschner wenig geändert haben. Trägt man wieder tailliert, sind eben auch die verarbeiteten Pelze auf Taille genäht. Stadler verfolgt die Entwicklungen unter anderem in Hochglanzmagazinen. Was getragen wird, gibt die Mode vor, und ab und zu ist eben Pelz wieder en vogue. "Die typische Pelzkundin gibt es heute nicht mehr", sagt der Kürschnermeister.

Schon die Menschen der Frühzeit kleideten sich in wärmende Tierhäute. Der bekannteste Fellträger aus der Jungsteinzeit ist eine 1991 in den Ötztaler Alpen gefundene Gletschermumie: Ötzi trug eine Jacke und Beinlinge aus Schaffell sowie einen Gürtel aus Kalbsleder. "Pelz und Leder ist das Gleiche, das ist vielen nicht bewusst, die nur auf Pelz verzichten", erklärt der 55-Jährige. "Reh, Hirsch, Dachs kann man nicht tragen. Diese Tiere haben Haar, das bricht". Deswegen bearbeiten Gerber die Felle eben so, dass am Ende nur ein glattes Leder bleibt, welches der Kürschner dann verarbeiten kann. Dieser ist vom Gerber abhängig, sagt Stadler: "Guter Gerber, gutes Leder".

Eine Treppe im Laden führt in das Atelier im Dachgeschoss des Modehauses. Die drei Pelznäherinnen und Schneiderinnen sind heute nicht da. Nur Familiendackel Bazi ist die Treppe mit hochgelaufen und trabt zu seinem Platz unter einem der Tische. Die Gerüche der Felle stören den Hund nicht, als Jägerdackel sei er das gewohnt, aber "einmal hat er schon einen Fuchs angefressen", sagt sein Herrchen.

Seine Felle bekommt der Kürschnermeister unter anderem aus dem Ebersberger Forst. Er verarbeitet heimische Rothirsche und Rotfüchse aus Bejagung, Bisam aus den Niederlanden, Zuchtkaninchen aus den Benelux-Staaten und Frankreich. Lederkleidung stellt er nicht mehr her, in Bayern fehlen ihm die Gerber. Stadler nimmt Lederwaren nur noch zur Ausbesserung und Reinigung an. Überhaupt machen Reparaturen und Pelz- und Lederpflege einen großen Bereich seiner Arbeit aus. Kundinnen erscheinen oft mit geerbten Pelzen und wünschen eine Größenanpassung oder die Umarbeitung einer Jacke in eine Weste. Der Profi muss das Fell sofort erkennen, damit er weiß, was er verarbeitet, zur Berufskunde gehört die Kenntnis von Fellbeschaffenheit und Provenienz. Für das Erweitern einer Pelzjacke müssen Stücke aus dem gleichen Pelz zurechtgeschnitten werden, die Natur hat die Felle schließlich den Tieren angepasst, nicht den Menschen.

Eine Standardmethode ist das Auslassen. Stadler nimmt dafür das Kürschnermesser, ein goldfarbenes, sichelförmiges Instrument mit eingesetzter Silberklinge, und schneidet vorsichtig ein Pelzstück auf der Lederseite in zwei Teile. Das Messer hat eine Industrieklinge, die einer Rasierklinge ähnelt und gefährlich scharf ist, erklärt er beim Schneiden, "man muss aufpassen, dass man mit der Spitze nicht zu tief in das Leder eintaucht". Dann geht er zu einer speziellen Kürschnernähmaschine und legt die zwei Teile an den Schnittkanten schräg aneinander, die Lederseite zeigt weiter nach oben. Ein Tritt auf das Pedal, und die Maschine arbeitet schnurrend und schnell. Gleichzeitig streicht der Kürschnermeister mit einer Art Spatel das Haar nach unten, damit es sich nicht in der Naht verfängt - Einstreichen nennt er das. Die so verbundenen Teile bürstet er auf der Pelzseite mit einer Haarkardätsche aus. Der Pelz fasst sich weich und glatt an, wie aus einem Stück. Die Naht ist zwischen den Tierhaaren nicht sichtbar. Stück um Stück, Naht um Naht erhält Stadler so einen länglichen Pelzstreifen, den er passgenau verarbeiten kann.

Hinter dem Arbeitstisch hängt ein grünes Plakat an einer Pinnwand: "Der Kürschner ist der Partner des Jägers". Stadler wirbt auf Jägermessen regelmäßig dafür, dass Jäger das Fell von geschossenem Wild so bearbeiten, dass es gegerbt werden kann. "Es ist doch Blödsinn, ich esse das Fleisch und verwerte das biologische Material nicht". Eine Verschwendung also, wenn Jäger den Fuchsbestand reduzieren, aber den Balg nicht abziehen, sondern die toten Tiere eingraben. So gesehen ist auch das Nutzen von Pelzen ein Aspekt nachhaltiger Lebensweise. Auf der Webseite der Kürschnerinnung heißt es dazu: "Umweltverträglichkeit, Wiederverwendbarkeit, Langlebigkeit, nachwachsender Rohstoff, Entsorgbarkeit - diese Anforderungen an ein Öko-Produkt hat das handwerkliche Erzeugnis Pelz auf seiner Seite".

So lange Menschen Tiere essen, fallen auch deren Häute an. Kürschner können daraus Kleidungsstücke herstellen, nach den Wünschen ihrer Kunden oder nach eigenen Ideen. Die Auswahl der Felle richtet sich nach Fellart, Zeichnung, Farbe und Struktur. Für die Schnittmuster und die Fellanordnung müssen die Felle in die richtige Form gebracht werden.

Wie das Stück eines schwarzen Persianers, das Stadler vergrößern und einer Schnittform anpassen möchte. Leder ist dehnbar; so kann er die Lederseite mit seinem "Spezialwässerchen" einstreichen, einer biologischen Lauge, aufgetragen mit einer breiten Bürste. Anschließend zieht er das Leder auseinander und legt es an die vorgezeichneten Linien eines Schnittmusters an. Schon durch die Handstreckung lässt sich das nasse Leder in Form ziehen: "Sehen Sie das, wie groß das wird?". Mit einem Tacker befestigt Stadler das gedehnte Stück auf dem Arbeitstisch. Das Fell muss nun 24 Stunden trocknen, dann ist es in Form gebracht und verliert sie auch bei der Weiterverarbeitung nicht mehr. Auf diese Art könne ein Lederfragment um ein Viertel seiner Fläche vergrößert werden, aber nur, wenn der Gerber gut gearbeitet hat, erklärt Stadler: "Früher sagte man, ein guter kräftiger Gerber macht aus einem kleinen Fell ein großes".

Früher, das war wohl, als Kürschnereien noch gut gehende Betriebe waren. Während des Wirtschaftswunders gab es einen Pelzboom, der zu vermehrter Farmhaltung und zur Bedrohung der Artenvielfalt von einigen wild lebenden Pelztieren führte. Den Tieren ging es an den Kragen, auch im direkten Sinn: sie wurden fast ausgerottet. Nach Protesten von Tierschutzverbänden wurden Artenschutzlisten eingeführt; auch heute noch beklagen Tierschützer unhaltbare Zustände auf Zuchtfarmen - Kritik, der sich auch die Kürschner stellen mussten und müssen. Denn Kürschnerbetriebe gibt es immer weniger, allein zwischen 2008 und 2012 ging ihre Zahl um ein Drittel zurück, für 2012 zählte das Statistische Bundesamt 356 Kürschnereien in Deutschland.

Das Pelzhaus Stadler besteht seit 1961. Rudolf Stadler junior steht vor der Frage, an wen er seinen Betrieb übergibt, wenn er in Rente geht. Er selbst war zuerst "halber Eishockeyprofi", bis er 1981 in die Kürschnerlehre ging. Und in nur eineinhalb Jahren absolvierte, schließlich hatte er im elterlichen Betrieb schon vieles gelernt. 1984 folgte die Meisterschule für Mode in München, Fortbildung in Schnitttechnik. In den vergangenen Jahren bildete der heutige Geschäftsinhaber zehn Lehrlinge aus, neun davon weiblich. Der modische Aspekt des Kürschnerns macht den Beruf für Frauen attraktiv. Inzwischen ist dieser jedoch vom Aussterben bedroht, ähnlich wie der des Gürtlers, des Täschners, der Schneiderin. Das liegt aber, so Stadler, eher daran, dass zwei Drittel der jungen Leute ins Studium gehen, was es dem Handwerk schwer macht. Nur in Modehauptstädten wie Hamburg oder Berlin seien Kürschner eher noch gefragt.

Dabei passt das Kürschnern in eine Zeit, in der Ökologie und Vegetarismus Lebensformen bestimmen. Jeder Kürschner muss im Rahmen seiner Ausbildung eine Artenschutzprüfung ablegen. Einen Schwarzmarkt in Deutschland gibt es nicht, erklärt Stadler, die Kontrollen seien zu eng. Und bei den verarbeiteten Pelzen handelt es sich um reine Naturprodukte. "Wenn Sie eine Pelzjacke auf den Müll werfen, ist die nach 100 Jahren auch verrottet", erklärt Stadler. "Ich habe einige Kunden, die eher grün gepolt sind, aber ausdrücklich etwas Natürliches tragen wollen und kein Plastikzeug". Der Kürschner zeigt eine große, schwarz eingefasste Decke, kuschelweich, mit Leoparden-Flecken. Die Decke ist aus Kaninchenfell gewebt, das Muster durch Färbung und Aufdruck entstanden. Ja, für die Decke sind Tiere gestorben, aber keine gefährdeten und alle haben einen Herkunftsnachweis. Und "Fake fur", also Kunstfell? Ist auch aus Plastik, sagt Stadler, und wird im Gegensatz zum Naturerzeugnis nicht warm.

Der ethische und nachhaltige Konsum, er bleibt also ein Problem.

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