Ebersberg:Dem Bedarf hinterherbauen

Im Landkreis werden zwar verstärkt Sozialwohnungen errichtet, doch auch die Zahl der Bedürftigen steigt weiter an. Bislang nutzen die Gemeinden noch nicht alle Möglichkeiten, um mehr günstigen Wohnraum zu schaffen

Von Isabel Meixner, Ebersberg

Edith B. (Name geändert) ist auf der Suche. Nach Jahren muss sie aus ihrer Wohnung ausziehen, und zwar in eine Sozialwohnung, weil sie mit ihrer geringen Rente auf dem regulären Markt keine Chance hat. Die Rentnerin ist nicht die einzige, die auf der Liste des Landratsamts steht: 641 Menschen warten derzeit darauf, eine vergünstigte Wohnung zu erhalten. Das sind etwa 200 mehr als noch zu Beginn des Jahres. Was den Fall von Edith B. noch schwieriger macht: Wegen ihrer Lungenprobleme benötigt sie eine Bleibe im Erdgeschoss.

Derzeit gibt es im Landkreis 941 Wohnungen, die vom Staat gefördert werden. In diesem Jahr sind erst zwei Projekt der gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft (GWG) Ebersberg am Kurt-Rohde-Platz in Ebersberg und in der Bergfeldstraße in Poing fertig geworden; in Markt Schwaben und Kirchseeon entstehen bis nächstes Jahr weitere Wohnanlagen. Dass die GWG an vier Projekten gleichzeitig baue, "das hatten wir in den letzten 30 Jahren nicht", sagt Vorsitzender Ulrich Krapf. Er stellt fest: "Da tut sich was. Es geht in die richtige Richtung." Vor sieben, acht Jahren sei das Thema auch schon drückend gewesen, doch jetzt sei es erwünscht, dass mehr vergünstigter Wohnraum für Ärmere geschaffen wird.

Landrat Robert Niedergesäß hatte im vergangenen Jahr angekündigt, bis 2024 1000 neue Sozialwohnungen bauen lassen zu wollen. Bei Reden ist es nicht geblieben: Der Kreis hat für den sozialen Wohnungsbau einen Fördertopf eingerichtet, auf den die Genossenschaften und freie Investoren seit diesem Jahr zugreifen können. Ein Vorgehen, wofür Ebersberg von der Regierung von Oberbayern das Prädikat "Vorzeigelandkreis" bekam.

Dennoch: Die Nachfrage nach vergünstigtem Wohnraum ist da und wird mit dem zunehmenden Zuzug in den Landkreis steigen. Schon jetzt suchen auch Studenten in Grafing oder Markt Schwaben eine Bleibe in der Hoffnung, hier weniger Miete zahlen zu müssen. Und auch Asylbewerber werden ein Problem haben, nach ihrer Anerkennung bezahlbaren Wohnraum zu finden. Die 22 Wohnungen in Poing, die die GWG jüngst gebaut hat, seien alle bei Fertigstellung bereits vergriffen gewesen, sagt Krapf. Und dann ist da noch ein Problem: Sozialwohnungen fallen in der Regel nach 25 bis 30 Jahren aus der Mietpreisbindung, können also zu marktüblichen Mieten angeboten werden. Statt 5,80 Euro pro Quadratmeter zuzüglich Heizung und Betriebskosten, wie sie die GWG verlangt, können je nach Lage dann zehn Euro und mehr verlangt werden. Allein bei der GWG sind 257 Wohnungen betroffen. Die Folge: Obwohl Gemeinden und Landkreis Sozialwohnungen bauen lassen, steigt deren absolute Zahl nur langsam.

Ebersberg: Um günstigen Wohnraum zu schaffen, möchte Ernst Böhm, SPD-Kreisrat und Unternehmer in der Wohnungswirtschaft, Häuser an der S-Bahn-Strecke bauen.

Um günstigen Wohnraum zu schaffen, möchte Ernst Böhm, SPD-Kreisrat und Unternehmer in der Wohnungswirtschaft, Häuser an der S-Bahn-Strecke bauen.

(Foto: Christian Endt)

Was kann die Politik tun, damit sich auch in Zukunft Menschen mit geringem Einkommen eine Wohnung im immer teurer werdenden Landkreis Ebersberg leisten können? SPD-Kreisrat Ernst Böhm, der ein Unternehmen in der Wohnungswirtschaft leitet, hat vor ein paar Monaten mit dem Vorschlag aufgewartet, an der S-Bahn Häuser mit günstigen Wohnungen zu bauen. Er will diesen Vorschlag aber nicht nur auf Sozialempfänger begrenzt wissen: Auch in der Mittelschicht gebe es Fälle, in denen sich Menschen die ortsüblichen Mieten kaum mehr leisten können. Als Beispiel nennt er eine alleinerziehende Frau mit zwei Kindern, die nur halbtags arbeiten kann. "Die kann auch Studienrätin sein", sagt Böhm: Eine Miete von 1000 Euro pro Monat könne auch sie nicht oder nur schwer stemmen.

Böhm fordert, innerstädtische Potenziale zu nutzen. Etwa das ehemalige Bahnschwellenwerk mitten in Kirchseeon, das seit Jahren ungenutzt ist. Hochrechnungen zufolge könnten hier 1500 Menschen wohnen. Problem allerdings: Das Gelände ist verseucht. Doch dieses Argument will der Kreisrat nur teilweise gelten lassen. Man könne auch nur den unbelasteten Teil bebauen, "wenn mein Anspruch ist, gleich 100 Prozent des Gebiets zu nutzen, wird das nie etwas", findet er. "Wenn Wohnungsnot herrscht, wäre es an der Zeit, dieses Gebiet zu entwickeln." Doch auch bei innerörtlichen Flächen, die nicht verseucht sind, ist die Bebauung nicht immer einfach: Es muss in der Regel erst ein neuer Bebauungsplan verabschiedet und ausgelegt werden, was alleine eineinhalb Jahre dauern kann. Mit einer Bauzeit von ein bis eineinhalb Jahren vergehen schnell drei Jahre bis zum Einzug - wenn niemand gegen den Bebauungsplan klagt. In einem "Zeitalter des ausgeprägten Individualismus" passiere das aber leider häufig, so Böhm.

Eine weitere Möglichkeit für die Gemeinden, an Flächen für den sozialen Wohnungsbau zu kommen, ist es, bei einer Baulandausweisung Bedingungen zu stellen. In Poing etwa gilt seit 1996 die Regel, dass zehn Prozent von jedem Neubaugebiet verbilligt an Einheimische und weitere zehn Prozent umsonst an den sozialen Wohnungsbau gehen müssen. Die Nachbargemeinde Pliening orientiert sich in ihrem Vorgehen an dem Konzept der sozialgerechten Bodennutzung der Stadt München: Hier werden vom Grundstückeigentümer grundsätzlich 30 Prozent für den sozialen Wohnungsbau gefordert.

Sozialwohnungen

Sowohl in Berichten als auch im Sprachgebrauch ist von Sozialwohnungen die Rede, die Behörden hingegen verzichten inzwischen auf diesen Ausdruck. Denn seit der Jahrtausendwende werden sozial Bedürftige in drei Einkommensstufen eingeteilt. Sie erhalten je nach Stufe zwischen 1,50 Euro und 0,50 Euro pro Quadratmeter und Monat an Unterstützung. Einkommensorientierte Zusatzförderung (EOF) nennt sich das Ganze im Fachjargon. Die Grenze der EOF-Stufe eins liegt für eine Familie mit zwei Kindern etwa bei 27 200 Euro zu versteuerndes Bruttoeinkommen, bei 35 500 Euro in Stufe zwei und 44 000 Euro in Stufe drei. Diese Grenzen werden allerdings individuell berechnet. Sie sind zum Beispiel auch davon abhängig, ob die Familie zum Beispiel ein behindertes Kind großzieht. imei

Viele andere Kommunen sind bei diesem Thema dagegen vorsichtig. Denn rechtlich ist es umstritten, in welchem Maß eine Gemeinde bei einer Baulandausweisung Bedingungen stellen darf, GWG-Vorsitzender Krapf spricht von einem "Graubereich". Denn eine Kommune dürfe nicht den Eindruck erwecken, nur dann auszuweisen, wenn sie davon entsprechend profitiere, sagt Franz Dirnberger, Referent für Baurecht im Bayerischen Gemeindetag: "Das Gesetz sagt: Die Gemeinde soll Bauland dort ausweisen, wo es städtebaulich notwendig ist." Außerdem können Bedingungen wie in Poing erst gestellt werden, wenn das Baugebiet eine gewisse Größe hat, was in Poing in den vergangenen Jahren meist der Fall war. Vor allem in kleineren Gemeinden, in denen es oft nur um ein paar Häuser gehe, erscheint es unverhältnismäßig, einen Teil des Baulands für sozialen Wohnungsbau abzugreifen.

Kreisrat Böhm ist dennoch der Ansicht, dass viele Gemeinden die ihnen zur Verfügung gestellten Instrumente nicht in ausreichendem Maß nutzen. Er weist zudem noch auf eine weitere Problematik hin: "Das Baurecht ist kommunale Hoheit." Was sich erst einmal trocken anhört, birgt in der Tat etliche Probleme: In vielen Gemeinden herrscht eine große Wachstumsskepsis. Es wird generell wenig Bauland ausgewiesen, und wenn, dann ist es selten für Menschen mit wenig Einkommen gedacht. "Man müsste die Bereitschaft der Kommunen stärken, wachsen zu wollen", sagt Böhm. Wie? Der Kreisrat schlägt eine Infrastrukturabgabe vor, eine Förderung, die der Freistaat den Gemeinden für die Folgekosten wie Krippen- oder Straßenbau zahlt. Früher habe es Zuschüsse für die strukturschwachen Regionen gegeben, jetzt müsse man die Metropolregionen stärken. Böhm sagt: "Der Zuzug ist Fakt und wird noch zunehmen." Und mit ihm die Herausforderung für die Politik, Wohnraum für einkommensschwache Menschen wie Edith B. zu schaffen. Erste Schritte in die richtige Richtung hat der Landkreis bereits eingeleitet - weitere werden folgen müssen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: