Kreisklinik:Einschnitte bei Ebersberger Psychosomatik: Patienten und Fachleute sind bestürzt

Kreisklinik: Die psychosomatische Tagesklinik bleibt bestehen, über Nacht können die Patienten aber künftig nicht mehr bleiben.

Die psychosomatische Tagesklinik bleibt bestehen, über Nacht können die Patienten aber künftig nicht mehr bleiben.

(Foto: Christian Endt)

Der geplante Verzicht auf eine stationäre Behandlung an der Kreisklinik stößt auf herbe Kritik. Der Landrat und der Klinik-Chef verteidigen die Entscheidung.

Von Anja Blum, Ebersberg

Ein "schwerer Verlust", eine "krasse Fehlentscheidung": Dass die Kreisklinik die stationäre Behandlung psychosomatisch Erkrankter aufgeben will, stößt im Landkreis auf herbe Kritik. Mehrere Leserbriefe diesen Tenors haben die SZ-Redaktion erreicht, unter anderem von einem Diplomtherapeuten und einer niedergelassenen Fachärztin.

Auch Patienten der psychosomatischen Abteilung (PSO) haben sich nun an die Öffentlichkeit gewandt, haben einen offenen Brief mit 20 Unterschriften an den Landrat, Robert Niedergesäß (CSU), und den Geschäftsführer der Klinik, Stefan Huber, geschrieben. Darin tun die Patienten ihre "Bestürzung" kund. Die Adressaten verteidigen die Pläne des Krankenhauses: Insgesamt nämlich brächten diese eine Verbesserung der psychosomatischen Versorgung mit sich.

Grund für die Veränderungen ist die Platznot an der Klinik, die derart akut ist, dass gerade im Winter immer wieder Betten auf dem Gang aufgestellt werden müssen. Um derlei Engpässe künftig zu vermeiden, sollen nun die 19 Betten der PSO in 34 Plätze für somatische Krankheitsbilder umgewandelt werden. Ein Grund dafür ist, dass die Versorgung psychosomatisch Erkrankter eine freiwillige Leistung der Kreisklinik ist, eigentlich fällt dies in die Zuständigkeit des Bezirks Oberbayern.

Folgerichtig überträgt das Ebersberger Krankenhaus die stationäre psychosomatische Behandlung künftig an die Kliniken des Bezirks Oberbayern (KBO). Wer entsprechenden Bedarf hat, muss dann also nach Wasserburg oder Haar ausweichen. Die psychosomatische Tagesklinik in Ebersberg bleibt jedoch bestehen und soll langfristig - dann unter Federführung der KBO - um weitere Angebote ergänzt werden: Geplant ist, dass in Psychiatrie und Psychotherapie zwei weitere Fachgebiete hinzukommen, außerdem soll eine neue Ambulanz dafür sorgen, dass Patienten in akuten Krisen sofort geholfen werden kann - was bislang nicht der Fall ist.

Eine Patientin erzählt vom "Horror" in Haar

Die derzeitigen Patienten aber schätzen die PSO in Ebersberg genau so, wie sie ist - und halten den Verzicht auf deren stationäre Plätze für einen Fehler. Aus vielerlei Gründen. Der schwerwiegendste ist wohl eine tief sitzende Ablehnung der Kliniken in Haar und Gabersee, die sich teils aus Vermutungen, teils aus konkreten Erfahrungen speist. "Ich habe früher öfter jemanden in Haar besucht, das war immer der absolute Horror, diese Menschen, diese Schreie", erzählt Patientin Daniela P., "ich empfand das wirklich als Irrenanstalt".

Die Folgen dieses Rufs sind erheblich: "Hätte mein Hausarzt gesagt, ich solle nach Haar oder Gabersee, hätte ich definitiv keine Behandlung in Anspruch genommen", erklärt Stefan F., und seine Mitstreiterinnen nicken zustimmend. Klinik oder Anstalt? Drogensüchtige, Alkoholiker, Schizophrene - die KBO-Häuser werden mit den ganz schweren Fällen gleichgesetzt.

Mit einher geht damit die Furcht vor Stigmatisierung. "Wenn die Ebersberger Klinik die Krankmeldung ausstellt, ist das was ganz anderes, als wenn da Gabersee draufsteht", sagt PSO-Patientin Brigitte B. "In der Arbeit heißt es dann ja schnell mal: ,Ach, die war ja schon in der Klapse'."

Doch nicht nur das "normale Umfeld" gefällt den Patienten in Ebersberg, sondern das gesamte PSO-Konzept, vor allem die Verbindung von Station und Tagesklinik. Obwohl die vier Wortführer selbst gar nicht stationär untergebracht sind, setzen sie sich für die Beibehaltung der Betten ein. Schließlich gebe es derzeit schon einige Patienten, die so angeschlagen seien, dass man ihnen allein die Fahrten zwischen Klinik und Zuhause nicht zumuten könne.

Außerdem: "Die Flexibilität, bei Bedarf vor Ort von der einen in die andere Form gehen zu können, ohne die Therapeuten und Gruppen wechseln zu müssen, verleiht einem enorme Sicherheit", sagt Karen S. Den gesamten Tagesablauf und die Gruppentherapien nämlich absolvieren die PSO-Patienten in Ebersberg gemeinsam, egal, ob sie abends wieder nach Hause fahren oder in der Klinik bleiben.

Lob für die Ebersberger Psychosomatik

Station oder Tagesklinik? Diese Entscheidung fällt erst beim Aufnahmegespräch, ausschlaggebend ist freilich das Krankheitsbild, aber auch die persönliche Lebenssituation. Wer kleine Kinder hat oder pflegebedürftige Eltern, wird sich - so es sein Zustand zulässt - wohl eher für das ambulante Modell entscheiden. "Und trotzdem: Es ist gut zu wissen, dass man auch in der Klinik bleiben könnte, wenn einem daheim alles um die Ohren fliegt", sagt P.

Überhaupt sind die Patienten voll des Lobes für die Ebersberger PSO, besonders die gute Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten - ein "tolles Team" - sei geradezu verblüffend. Hier fühle man sich einfach gut aufgehoben und könne wunderbar genesen, so der Tenor. Umso größer aber ist die Sorge, dass mit dem Einzug der KBO-Institutionen die Qualität sinkt. "Das jetzige Konzept ist einzigartig, wer weiß, was passiert, wenn jemand anderes das Sagen hat", fasst B. die Bedenken zusammen.

Alles in allem sei die PSO also eine sehr wertvolle, erfolgreiche Station mit einem hervorragenden Ruf über die Landkreisgrenzen hinaus - "und die will man aufgeben für ein paar Betten mehr?", fragt B. Obwohl unzweifelhaft sei, dass psychosomatische Erkrankungen zunähmen und der Bedarf daher steige? "Das ist eine rein wirtschaftliche Entscheidung, und die Patienten bleiben auf der Strecke", klagt P.

Geschäftsführer Huber betont, dass sich niemand die Entscheidung leicht gemacht habe. "Wir haben alle Möglichkeiten geprüft, das war ein langer Prozess, in den alle Abteilungen und Chefärzte eingebunden waren", sagt er. Aber es gebe schlicht keine andere Lösung. Den Beschluss gefällt habe ohnehin nicht er selbst, "der böse Geschäftsführer", sondern der Aufsichtsrat der Klinik.

Dieser setzt sich zusammen aus dem Landrat als Vorsitzendem, Vertretern des Kreistags und externen Spezialisten aus dem Finanz- und Klinikwesen, die keine Verbindung zu Ebersberg haben. "Und auch der Aufsichtsrat hat sehr lange diskutiert und alle Aspekte abgewogen", so Huber. Letztendlich ist er jedoch überzeugt, dass die Entscheidung richtig ist, unter anderem, weil der Trend weg von der stationären Unterbringung hin zur Tagesklinik gehe.

Das Angebot war eine freiwillige Leistung der Klinik

Von den 19 PSO-Betten seien derzeit gerade mal neun belegt, von 2015 zu 16 habe man hier einen Rückgang von acht Prozent verzeichnet. Auch die geplante neue Kooperation sei von Vorteil: Huber bezeichnet die KBO-Kliniken als einen großen, höchst professionellen Partner, der Kontinuität und Qualität garantieren könne. "Außerdem ist geplant, wirklich eine Versorgung aus einer Hand anzubieten, wozu auch ein Austausch des Personals gehören soll. Das heißt: Wenn jemand zum Beispiel von der Station in Wasserburg in die Ebersberger Tagesklinik wechselt, kann er dort den gleichen Therapeuten treffen."

Insgesamt seien die Pläne also eher als ein Ausbau statt als ein Verzicht zu sehen, da die PSO langfristig eben zwei zusätzliche Fachgebiete sowie eine Ambulanz dazu gewinne. "Insofern bin ich schon enttäuscht von den negativen Reaktionen", sagt Huber, "denn meiner Meinung nach ist das eine tolle Sache". Den Patienten und Leserbriefschreibern will er antworten - und versuchen, die Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.

Ähnlich äußert sich Landrat Robert Niedergesäß als Vorsitzender des Klinikaufsichtsrates. Dass man von Oktober an die stationäre Psychosomatik in der Kreisklinik aufgibt, sei "sicherlich ein Einschnitt", welchen "der komplette Aufsichtsrat sehr bedauert". Allerdings, auch das macht Niedergesäß klar, sei das nun endende Angebot eben eine freiwillige Leistung der Klinik. Ganz im Gegensatz zur Versorgung somatischer Patienten. Für diese "Gangbetten benutzen zu müssen", widerspreche dem "Versorgungsauftrag" der Klinik und dem Anspruch, qualitativ hochwertige Leistungen für die Patienten zu erbringen.

Was die Zukunft der Psychosomatik in Ebersberg betrifft, ist Niedergesäß zuversichtlich: "Das Versorgungsangebot kann durch die Kliniken des Bezirks Oberbayern in einem wesentlich erweiterten Umfang angeboten werden, als das die Kreisklinik jemals hätte können und dürfen." Wie Huber betont auch der Landrat die geplante enge Verzahnung der Angebote in Ebersberg und Haar beziehungsweise Wasserburg: "Anstelle einer Konkurrenzsituation schafft man eine sinnvolle und auch ressourcenschonende Kooperation mit den eigentlich auch zuständigen Partnern."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: