Ebersberg:An die Arbeit!

Bevor die Grafinger Gymnasiasten in die Ferien starten, schnuppern sie einen Tag lang ins Berufsleben. Ihren Lohn spenden sie an Bildungsprojekte auf dem Balkan und in Jordanien

Von Jessica Morof, Carolin Fries und Mariel Müller

Rasen mähen, Semmeln verkaufen, Bretter hobeln - an diesem Dienstag tauschen die Schüler des Gymnasiums Grafing die Schulbänke gegen Jobs und packen richtig mit an. Denn die Schule beteiligt sich wieder am Sozialen Tag, den der Verein "Schüler helfen leben" (SHL) bereits zum 15. Mal veranstaltet. Die Kinder und Jugendlichen verbringen dann nicht, wie sonst, den Tag in Klassenzimmern oder Turnhallen, sondern sind überall im Landkreis anzutreffen: Sie stehen hinter Verkaufstresen, hantieren in Werkstätten oder sitzen in Büros am Schreibtisch. Einige putzen auch Zuhause Fenster oder werkeln im Garten. Für ihre Leistungen verdienen die Schüler Geld, das sie an den SHL spenden.

In diesem Jahr fließen die Einnahmen zum einen in ein Projekt in Serbien. Dort sind viele Kinder und Jugendliche Opfer von Menschenhandel geworden. Mit verschiedenen Aktionen soll ihnen wieder ein Stück Kindheit zurückgegeben werden. Das zweite Projekt befindet sich in Jordanien, wo insbesondere Kinder syrischer Flüchtlingsfamilien zum Geldverdienen gezwungen sind. Das Projekt konzentriert sich auf Kurse und Workshops als Alternative zur Schulbildung.

Bundesweit machen 740 Schulen beim Sozialen Tag mit. Eine davon ist das Gymnasium Grafing. "Wir gehören zu den Topschulen", sagt Schülersprecher Fabian Hoppmann stolz. Er war gemeinsam mit den Schülersprecherinnen Sophie Steinhögl und Ronja Suhlig und der Schülermitverwaltung (SMV) für die Organisation des Sozialen Tags verantwortlich. Unterstützung haben sie vom Elternbeirat und von Schulleiter Paul Schötz bekommen. Beinahe 600 Schüler der fünften bis zehnten Klassen beteiligen sich an diesem Dienstag an der Spendenaktion; mehr als zwei Drittel dieser Jahrgänge. Dabei springt eine ganze Menge Geld heraus. "Wenn alles überwiesen ist, sind es etwa 17 000 Euro", sagt Sophie Steinhögl. "Das ist noch mal eine Steigerung zum letzten Jahr", freut sich die Elftklässlerin.

Dass so viele Schüler mitmachen, ist zu einem großen Teil den Organisatoren zu verdanken. Die SMV hat Klassen, Lehrer und Eltern informiert, die Schüler motiviert und dann den Projektträger über die Ergebnisse auf dem Laufenden gehalten. Außerdem durften die Schülersprecher bei einem Treffen in Berlin mitentscheiden, welche Hilfsprojekte gefördert werden sollen. Doch die wichtigste Rolle des Sozialen Tags spielen die Jungen und Mädchen, die mitarbeiten und spenden. Bei der Jobwahl sind die Jugendlichen teils sehr kreativ. Manche machen das Hobby zum Beruf; andere nutzen den Tag, um völlig neue Erfahrungen zu sammeln. Hier geben einige Schüler einen Einblick in die Berufe, die sie gewählt haben.

Gregor Vollherbst, 14 Jahre

Gregor Vollherbst hat am Dienstag keinen Chef. Er engagiert sich selbständig, und zwar als Straßenmusiker. Im Ebersberger Einkaufszentrum E-EinZ wird der 14-Jährige ein paar Stunden in der Passage sitzen, Gitarre und Ukulele spielen und dazu singen. Im vergangenen Jahr hat der Junge dort seine Premiere gefeiert, ebenfalls am sozialen Tag. "Beim Bäcker war schon alles voll und als Straßenmusikant habe ich keinen Arbeitgeber gebraucht", sagt er. Die Entscheidung war getroffen.

Dann kam die Aufregung und auch die Ungewissheit: Kann ich das, bekomme ich überhaupt ein paar Euro zusammen? "Am Morgen war mir schon unwohl", erzählt Gregor. Als er seinen Stuhl, Notenständer und Instrumente gegenüber des Eiscafés bereitstellte, verfluchte er sich insgeheim für seine Idee. Doch der Achtklässler zog das Ding durch, spielte und sang vier Stunden lang. Und wurde dafür von seinem Publikum gefeiert.

Die Gäste des Eiscafés - überwiegend ältere Personen - seien sofort aufgeschlossen und großzügig gewesen. Gregor spielte und sang seine Cover-Songs, "Knocking on heaven's door", "Let it be" oder "Somewhere over the rainbow", und war selig, dass es doch funktionierte. "Die Reaktionen waren eigentlich nur positiv", sagt Gregor, der privat Gitarrenunterricht nimmt. Am Ende seines Auftritts jedenfalls waren nicht nur die Passanten begeistert, sondern auch das Team des Eiscafés: Das Personal entlohnte den jungen Musiker mit den Trinkgeldeinnahmen des Vormittags. Insgesamt kamen 156 Euro zusammen, die Gregors Mutter an den gemeinnützigen Verein "Schüler helfen Leben" überwies. Eine stolze Summe, die Gregor beim Bäcker so schnell wohl nicht zusammengekriegt hätte. "Und cooler ist es als Straßenmusikant auch."

In diesem Jahr gibt es darum kaum Zweifel bei Gregor, höchstens ein bisschen Lampenfieber. "Ich habe viele neue Lieder gelernt", erzählt Gregor. "Klar find' ich es gut, dass ich nicht in die Schule muss", sagt er. "Erst recht, wenn ich damit auch noch anderen helfen kann."

Elisabeth Butz, 16 Jahre

Die Nähe zu ihrem Haus und der Spaß - das waren die ausschlaggebenden Kriterien, nach denen Elisabeth Butz sich für ihre eintägige Arbeitsstelle am Sozialen Tag entschied. Von 13 bis 19 Uhr wird sie bei ihrer Tante im Keramikstudio "Eigenart" in Ebersberg aushelfen. Kunden beraten, beim Bemalen und Glasieren der Keramikstücke helfen - das hat sie schon öfter gemacht. Das "Eigenart" bietet dem Laienkünstler fertig geformtes Geschirr in Rohkeramik, Designs und Hilfestellung. Die Kunden dürfen im Gegenzug nach Lust und Laune malen und glasieren.

Für den Tag, an dem Elisabeth arbeitet, hat sich eine Geburtstagsgesellschaft angekündigt. Viel zu tun also. "Ich glaube, dass meine Tante mich dann gut gebrauchen kann. Ich hoffe es zumindest", sagt Elisabeth. Der Umgang mit den Kunden liege ihr besonders. "Da lernt man was, wenn man mit anderen Menschen zu tun hat. Und hier in Ebersberg ist die Welt klein, da kennt jeder jeden."

Die 16-Jährige nimmt zum zweiten Mal am Sozialen Tag teil. Vergangenes Jahr hat sie im Café "Zimtblüte" 30 Euro verdient - dieses Jahr erwartet sie einen ähnlichen Betrag. Den zu spenden hält sie für eine sehr gute Idee. "Ich mache da mit, um etwas Gutes zu tun - auch für mich selbst." Prinzipiell schließt sie es nicht aus, sich später auch beruflich in die Richtung zu orientieren. Dafür fehle ihr aber das künstlerische Talent, gesteht sie.

Johanna Neuhäusler, 14 Jahre

Das Hobby zum Beruf macht Johanna Neuhäusler an diesem Dienstag. Denn die 14-Jährige hilft auf dem Pferdehof von Barbara Viehhauser in Tegernau mit. Dort steht auch Johannas Fjordpferd namens Samweis unter. Das Reittier besitzt die Jugendliche aus Jakobneuharting seit Oktober - doch für die Liebe zum Reiten besucht sie schon lange den Reiterhof im Nachbarort. Deshalb war für Johanna schnell klar, dass sie dort am Sozialen Tag mitarbeiten möchte.

Normalerweise muss Johanna sich gar nicht um die Stallarbeit kümmern. Doch an diesem Vormittag wird sie die Boxen ausmisten, Pferdeäpfel abtransportieren, Schubkarren schieben und Stallwände säubern. Dass sie kräftig mit anpacken muss und sich schmutzig machen wird, stört das Mädchen nicht. "Ich bin einfach gerne bei den Pferden", betont die Schülerin. "Und da gehört das eben mit dazu." Noch dazu sei die ganze Arbeit ja für einen guten Zweck. "Die Kinder brauchen das Geld ja wirklich", sagt Johanna. Noch dazu habe sich ihre Chefin an diesem Tag sehr über das Angebot gefreut. Darüber hinaus wird sie auch mit den Tieren zu tun haben, denn die Pferde wollen auch bewegt werden. Deshalb freut sich Johanna auch dieses Jahr auf den Sozialen Tag, an dem sie schon seit der fünften Klasse mitwirkt.

Nele Speidel, 11 Jahre

Kräftig mit anpacken darf auch Nele Speidel aus Baiern. Denn die Elfjährige hat sich entschieden, bei der Hofkäserei Stroblberg in Baiern mitzuhelfen. "Meine Mama kauft da immer Käse", erklärt Nele. "Und der ist sehr lecker." Doch das allein hat die Fünftklässlerin nicht dazu bewogen, sich als Hilfe bei der Käserei zu bewerben. Denn die Familie Neuner, die den Bauernhof beim Stroblberger führt, kennt Nele schon lange und gut. Nicht nur die Babykatzen auf dem Bauernhof ziehen das Mädchen magisch an. Auch die Aufgaben der Landwirtschaft interessieren sie. "Ich bin gerne auf dem Bauernhof und fühle mich draußen wohl."

Ihr Vorschlag, den Sozialen Tag in der Käserei zu verbringen, wurde sehr positiv aufgenommen. Die Familie Neuner habe sofort zugesagt. Von der Käseherstellung weiß die Gymnasialschülerin allerdings noch nicht sehr viel. Außer: "Der Bauernhof hat viele Kühe und aus der Milch macht man dann den Käse." Die Arbeit mit anderen Lebensmitteln hingegen ist Nele gar nicht fremd. Denn die Elfjährige kocht und backt gerne. Zu ihren Aufgaben in der Käserei wird vermutlich zählen, bei der Produktion und beim Verpacken zu unterstützen. Von 8 bis 14 Uhr wird Nele aushelfen; so hat sie es mit den Neuners besprochen und in der Arbeitsvereinbarung festgehalten.

Jonas Pohl, 12 Jahre

Menschen helfen, die Probleme haben - das findet Jonas Pohl "cool". Deshalb hat sich der Zwölfjährige entschlossen, in der Rechtsanwaltskanzlei Haenisch, Dr. Nießen und Haenisch in Grafing zu arbeiten. Dort ist auch sein Vater Rechtsanwalt. Deshalb weiß Jonas schon über den Beruf Bescheid. "Leute, die Probleme haben, die eine Straftat begangen haben oder etwas erben, kommen in die Kanzlei", erklärt der Schüler aus Steinhöring. "Und der Rechtsanwalt hilft ihnen dann."

Einige Male war Jonas nach der Schule bereits im Büro, aber mitgeholfen hat er noch nie. Der soziale Tag kommt ihm da zum Probearbeiten ganz recht. Den Vormittag über wird er vermutlich Unterlagen sortieren und ablegen. Und schreddern. Denn: "Die Akten müssen zehn Jahre aufgehoben und dann vernichtet werden", weiß der Zwölfjährige schon genau.

Im vergangenen Jahr hat Jonas im Tierheim geholfen. Dass er diesmal so viele Stunden im Büro verbringen muss, stört ihn gar nicht. "Ich finde es sehr interessant, wie man die Menschen unterstützen kann", sagt er. "Das stelle ich mir teilweise ziemlich kompliziert vor." Deshalb war Jonas in diesem Jahr auch schnell klar, wo er seinen sozialen Tag verbringen möchte. Er freut sich schon auf die Eindrücke. Ob das später auch mal ein Beruf für ihn sein könnte, kann Jonas jetzt natürlich noch nicht sagen. Aber nachgedacht hat er darüber auf jeden Fall schon einmal.

Viivi Emilia Fleischer, 15 Jahre

Hinter die Kulissen der Politik darf Viivi Emilia Fleischer schauen. Denn die 15-Jährige wird den Vormittag im Büro des Landtagsabgeordneten Thomas Huber verbringen. "Bisher habe ich ihn nur gesehen", sagt die Ebersbergerin. "Aber mit ihm gesprochen habe ich noch nie." Zu Viivi Emilias Aufgaben zählt, Einladungen zu kuvertieren, Ablagen zu sortieren, Briefe zu versenden. Da bleibt der Kontakt zum Politiker sicherlich nicht aus. Auf die Idee, den Sozialen Tag beim Landtagsabgeordneten zu verbringen, ist Viivi Emilia durch ihre Tante gekommen. Denn sie ist Leiterin des Abgeordnetenbüros. "Ich suche mir für den sozialen Tag gerne Berufe aus der Familie aus", erklärt Viivi Emilia. "Dann sieht man mal, was die Verwandten so machen." Im vergangenen Jahr hat sie ihren Vater begleitet und Kunden bei der Küchenplanung unterstützt.

Politisch engagiert ist Viivi Emilia noch nicht, aber es ist ihr wichtig, Bescheid zu wissen. "Ich lese Zeitung und schaue die Nachrichten, um mich darüber zu informieren, was in der Welt passiert", sagt die 15-Jährige. Und natürlich ist Thomas Huber ein Name, der ihr immer wieder in den Medien begegnet. Aufgeregt ist die Neuntklässlerin deswegen aber noch lange nicht. "Er ist schon prominent", gibt Viivi Emilia zu. "Aber ich bin ein sehr offener Mensch." Und der Abgeordnete mache einen total netten Eindruck.

Veronika Fischer, 18 Jahre

Für Veronika Fischer aus Ebersberg ist die Sache ganz einfach. "Ich will halt Menschen helfen", sagt sie. In den Ferien hat die Grafinger Gymnasiastin darum schon Einiges ausprobiert, eine Woche in einer psychiatrischen Tagesstätte gearbeitet oder zwei Wochen in einer Praxis für Ergotherapie. Dass sie einmal einen sozialen Beruf ergreifen will, ist klar. Am sozialen Tag wird sie heuer an der Korbinianschule im Betreuungszentrum Steinhöring fünf Stunden lang arbeiten. "Ich wollte unbedingt auch mal mit Behinderten arbeiten", sagt die Zehntklässlerin. Sie freut sich, auch wenn ihr noch nicht ganz klar ist, welche Tätigkeiten sie übernehmen wird. "Es gibt einen Kindergarten und eine Grundschule dort, wo genau ich sein werde, weiß ich noch nicht."

Für Veronika wird es der letzte soziale Tag sein. Sie wechselt zum neuen Schuljahr an die Fachoberschule nach Wasserburg - natürlich in den sozialen Zweig. "Auch deshalb war es mir wichtig, alle Richtungen mal anzuschauen", sagt sie."Es gibt so viele Vorurteile, da will ich mir ein eigenes Bild machen." Die soziale Ader liegt bei Veronika in der Familie: Die Eltern haben einen sozialen Beruf, der große Bruder studiert Physiotherapie. "Ich finde den sozialen Tag am Gymnasium gut, aber fast ein bisschen schade, dass es nur ein Tag ist", sagt Veronika. Aus der Berufswelt bekomme man da doch nur sehr wenig mit. Eine soziale Woche fände sie deshalb besser. "Man kriegt ja sonst nix mit und muss sich in der Schulzeit trotzdem beruflich orientieren."

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