Ebersberg:Alles für alle

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Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt spricht mit Vertretern sozialer Organisationen über das geplante Teilhabegesetz

Von Wieland Bögel, Ebersberg

"Besser jemanden fragen, der sich mit sowas auskennt." Dass der Spruch, mit dem einst für Handwerker geworben wurde, auch im Sozialbereich passt, zeigte ein Treffen von rund 30 Vertretern von Wohlfahrts- und Sozialverbänden am Montagnachmittag im Betreuungszentrum Steinhöring. Thema war das für 2017 geplante Bundesteilhabegesetz, welches die Inklusion Behinderter weiter fördern soll. Dazu war die frühere SPD-Gesunheitsministerin Ulla Schmidt einer einladung ihres Parteifreundes und Ebersberger Bundestagsabgeordneten Ewald Schurer gefolgt. Je näher das Gesetz komme, "desto besser ist es, eine Expertin aus dem politischen Berlin dazu einladen zu können", so Schurer.

Dass diese die Richtige ist, um das Gesetzesvorhaben zu diskutieren, betonte auch Gastgeberin Gertrud Hanslmeier-Prockl, seit fünf Jahren Leiterin des Einrichtungsverbundes Betreuungszentrum Steinhöring (BZ). Schließlich kann die Vizepräsidentin des deutschen Bundestages nicht nur auf ihre Erfahrungen als Gesundheitsministerin verweisen, sondern ist aktuell auch Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und hat vor ihrer politischen Karriere als Lehrerin für Sonderpädagogik gearbeitet. "Sie ist vom Fach", begrüßte Hanslmeier-Prockl die Besucherin.

Weniger Anerkennung als für Schmidt gab es von der BZ-Chefin für das geplante Teilhabegesetz. Dieses sehe man durchaus mit Sorge, "es ist nicht klar, was auf uns zukommt." Grundsätzlich sei es ja gut, wenn sich die Politik um mehr Teilhabe von Behinderten an der Gesellschaft bemühe, "wir sehen aber keine Verbesserung", sagte Hanslmeier-Prockl, eher im Gegenteil. Kritisch sieht die BZ-Chefin die im Gesetz formulierte Forderung, Behinderte möglichst auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Doch für Schwerbehinderte seien Werkstätten unverzichtbar. "Wir müssen aufpassen, dass diese Menschen nicht durchs Raster fallen, wenn es keine Werkstätten mehr gibt.

Um eine echte Teilhabe Behinderter am Alltagsleben zu ermöglichen, sei es nötig, "die Eingliederungshilfe aus der Fürsorge zu holen", so Ulla Schmidt, "wir wollen weg von der institutionellen und hin zu einer personenbezogenen Förderung". Entscheidend sei künftig "das Wunsch- und Wahlrecht", dieses dürfe "nicht der Sicherheit der Einrichtungen untergeordnet werden." Dennoch bedeute dies auf keinen Fall, dass Einrichtungen, wie Behindertenwerkstätten abgeschafft werden. Es sei wichtig, "die beschützenden Räume da zu lassen, wo sie notwendig sind". Aber das Ziel sei es eben, "durch ständiges Abreißen einer Barriere nach der anderen auch in der Privatwirtschaft" dort Beschäftigungsmöglichkeiten für alle zu schaffen. Natürlich sei eine Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt wichtig, betonte Sebastian Gruber, Leiter der Steinhöringer Werkstätten. Allerdings könne er aus Erfahrung sagen, dass die Vermittlungschancen immer schlechter würden, vielleicht weil die Arbeitswelt härter geworden ist.

Dass die Vermittlung oft nicht einfach sei, wollte auch Schmidt nicht leugnen, "manche Arbeitsplätze gibt es in den Betrieben nicht mehr oder sie sind ausgelagert etwa an Facility-Unternehmen." Dennoch sei es wichtig, "den Kreislauf zu durchbrechen aus Sonderkindergarten, Förderschule, Werkstatt und Heim", betonte Schmidt. Ein Rückkehrrecht in eine beschützende Einrichtung sei dabei unbedingt wünschenswert, auf keinen Fall dürften die Behinderten nach einer gescheiterten Karriere auf dem ersten Arbeitsmarkt sich selbst überlassen werden und in die Mühlen der Arbeitsamt- und Jobcenterbürokratie geraten: "Damit würden alles, wofür jahrelang hart gekämpft wurde, verloren gehen."

Schmidt machte aber auch klar, dass auch das neue Gesetz "keinen Idealzustand herstellen, sondern nur einen Rahmen geben" und auch nur ein Anfang sein kann. "Wir stehen vor einer riesigen Aufgabe, das wird Jahrzehnte dauern, aber wir haben die Chance eine Veränderung mitzugestalten.

© SZ vom 08.07.2015 / " - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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