Ebersberg:Alles außer Tomaten

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Auftritt mit der Mitbewohnerin: Eva Niedermeier (links) und das Duo Bella auf der Bühne in der Glonner Schrottgalerie. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Obwohl sie erst 19 Jahre alt ist, hat sich Eva Niedermeier in der Poetry-Slammer-Szene schon einen Namen gemacht

Von Sandra Langmann

Für einen besonderen Menschen würde Eva Niedermeier alles tun, sogar Tomaten essen - was mit das Schlimmste für sie ist. Ungeschminkt herum laufen, am Samstagvormittag bei Ikea einkaufen oder Betriebswirtschaft studieren, das kann sie sich ebenso wenig vorstellen.

Über solche Dinge spricht sie gerne, Dinge aus dem Alltag, Gedanken, wie sie jeder schon mal im Kopf für sich selbst formuliert - solche oder so ähnliche. So wie bei einem Auftritt in der Glonner Schrottgalerie im Juni zieht die 19-jährige Poetry-Slammerin ihr Publikum damit in ihren Bann, vom ersten Augenblick an, während Geschichten in Reimform nur so aus ihr heraussprudeln. Die Worte überschlagen sich beinahe. Sie erzählt von Alltagsdingen, aber auch von Liebe, Tod oder Alkoholsucht, mal in ganz leisen Tönen, dann wieder laut und wütend. "Melancholische und fiese Texte liegen mir am besten", erzählt sie, während sie gemütlich an ihrem Küchentisch sitzt. Die blonden Haare locker am Hinterkopf zusammengebunden, kauert sie auf einem Stuhl, schlürft ihren längst kalten Tee aus einer gemusterten Tasse. Zur Zeit lässt sie es etwas ruhiger angehen, sie nimmt ein Jahr Auszeit. Nach ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau tourte sie zwei Jahre durch Deutschland. So tritt sie seit 2015 auf Kleinkunstbühnen auf und besuchte Poetry Slams. "Am Anfang war ich sehr viel unterwegs. Das waren dann 25 Auftritte im Monat".

Dabei begann ihre Kariere in der Poetry-Slam-Szene fast zufällig. Mit elf Jahren spielte sie Gitarre, textete bereits ihre ersten Lieder. "Gedichte habe ich bereits früher geschrieben", erzählt sie. Irgendwann dann fiel ihr zu einem Text keine Melodie ein, da beschloss sie ihn einfach zu sprechen. "Das klang überraschenderweise sehr gut." Sie habe sowieso immer zu viel Text gehabt, erzählt die junge Frau, um diesen in ein Lied zu packen. Als 17-Jährige, im Januar 2015, meldete sie sich beim Isar-Slam. Sie habe einfach nur vortragen und erfahren wollen, wie ihr Text beim Publikum ankommt. Dass es sich dabei um einen Wettbewerb handelte, habe sie gar nicht gewusst. "Gott sei Dank kam ich nicht ins Finale. Ich hätte gar keinen zweiten Text dabei gehabt", sagt sie und lacht Wird man nämlich von der Publikums-Jury eine Runde weiter gewählt, muss man einen neuen Slam vortragen.

Immerhin erreichte sie die zweithöchste Punktzahl. Der Veranstalter wurde auf die Newcomerin aufmerksam und meldete sie zur Bayrischen U20 Meisterschaft an, die sie tatsächlich gewann. Dann lief es für sie. Eva Niedermeier bekam den Kleinkunstpreis 2015 der Stadt Bad Aibling verliehen und wurde nach Berlin eingeladen. Reich werde man von den Auftritten allerdings nicht, erzählt sie, für den Sieger gebe es eine Flasche Schnaps. "Es geht auch nicht darum zu gewinnen, und den Schnaps teilt man sowieso mit allen Teilnehmern", verrät sie. Es gehe vielmehr um den freundschaftlichen Kontakt und darum, sich auszutauschen.

Um der Slammer-Szene näher zu sein, hatte sie eine Weile überlegt, nach München zu ziehen. Doch als "richtiges Landei" entschied sie sich dagegen. "Ich bin sehr gerne in großen Städten unterwegs. Aber nach ein paar Tagen reicht es mir dann auch. Nach einem Auftritt komme ich gerne wieder nach Hause." Hier holt sie sich die Inspiration für ihre Texte. "Am besten funktioniert das bei einem Glas Wein und einer Zigarette im Wintergarten." Das Erdgeschoss des Hauses, in dem sie wohnt, teilt sie sich mit ihrem Freund, einem Klavierlehrer, der sie auch gerne bei Auftritten an seinem Instrument begleitet. Im ersten Stock wohnt auch eine Musikerin: Mit Hanna Specht und ihrer Band Bella ist Niedermeier vor kurzem gemeinsam in der Glonner Schrottgalerie aufgetreten, mit einer bunten Mischung aus Poetry Slam und Coversongs.

Im September wird es mit den Auftritten weniger, die Slammerin will zurück auf die Schulbank und den sozialen Zweig der FOS in Rosenheim besuchen - das heiße geregelter Alltag und Touren nur noch in den Ferien, erklärt sie. Eine Ausbildung zur Industriekauffrau hat sie bereits in der Tasche - und dabei bemerkt, dass ein Bürojob nicht das Richtige für sie ist. "Ich möchte einen anderen Weg einschlagen." Den Beruf einer Musikpädagogin könne sie sich gut vorstellen; neben ihren Auftritten leitet sie Schreibworkshops.

Bisher bereut es die Slammerin nicht, fernab der Großstadt zu leben. "Dort ist man einer von vielen" erklärt sie. Sie ist jetzt in Kolbermoor zu Hause, ihrem Heimatlandkreis also treu geblieben. In ihrem Heimatort Bad Aibling sei sogar der Bürgermeister zum Poetry Slam auf der Kleinkunstbühne gekommen. "Das hat mir viel bedeutet", gesteht sie.

Eva Niedermeier steht gerne auf der Bühne. Schulband, Showtanzen - "ich mag das Gefühl, auf die Bühne zu gehen. Da bin ich immer etwas nervös und es fühlt sich wie frisch verliebt sein an." Ihre Augen bekommen einen schwärmerischen Glanz. 20 Texte hat sie bislang für ihre Auftritte verfasst, doch geschrieben hat sie schon viel mehr. Bevor es auf eine große Bühne geht, probiert sie ihre Geschichten und Gedichte in kleinerem Rahmen aus. "Dann sehe ich auch, wie diese beim Publikum ankommen." Außerdem wachse der Text mit jedem neuen Vortrag, da sie mit jedem Auftritt textsicherer werde. Die Ideen schnappe sie bei den Gesprächen von Freunden auf und spinne sie dann weiter. "Es handelt sich bei mir nicht um einen reinen Seelen-Striptease". Von sich selbst gibt Eva Niedermeier auf der Bühne nur wenig preis. "Ich mische Lebensweisheiten mit ein wenig von mir."

© SZ vom 24.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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