Dorf für Kinder und Tiere:Nachts in der Jurte

Im Dorf für Kinder und Tiere in Herrmannsdorf können Schulklassen eine Woche im Einklang mit der Natur verbringen. Weil der Verein sein Angebot ausweiten will, sucht er nach privaten Kleininvestoren.

Von Alexandra Leuthner, Glonn

GlonnKein Handy, kein Computer. Ein Zehn- oder Elfjähriger kann das als beinahe schon existenzielles Problem empfinden. Im Herrmannsdorfer "Dorf für Kinder und Tiere" müssen die Teilnehmer gänzlich ohne beides auskommen. Und nicht nur das: Auch Supermarkt, I-Pod oder Spülmaschine gehören für die Schüler der vierten bis sechsten Klassen, die sich hier jeweils für eine Woche während der Monate Mai bis Juli einmieten können, für fünf Tage zu einer anderen Welt. Mal abgesehen davon, dass die jugendlichen Teilnehmer der Camps auf dem Gelände des Herrmannsdorfer Ökobetriebs auch ihre Mutter nicht dabei haben, die das Ein- und Ausräumen des Geschirrspülers für sie übernehmen könnte.

Seit sieben Jahren gibt es das Dorf für Kinder und Tiere. Demokratisches Miteinander, solidarische Selbstversorgung und die unmittelbare Nähe zur Natur sollen die Kinder hier erfahren und lernen. Ins Leben gerufen hat das Projekt der Gründer der Hermannsdorfer Landwerkstätten Karl-Ludwig Schweisfurth, und den Kindern soll hier ein fühlbarer Bezug vermittelt werden - zur Natur, zu Tieren und zur Landwirtschaft. Zur ökologischen Landwirtschaft, versteht sich, schließlich liegt das Dorf in den zum Gut Herrmannsdorf gehörenden Wiesen. Hier wird auf vier Hektar symbiotische Landwirtschaft betrieben. Zwischen Obstbäumen und Sonnenblumen, Gemüsebeeten, Hecken und Wiesen leben 20 Schweine, dazu Hühner, Schafe, Gänse und zwei Esel in enger Gemeinschaft. Hier werden auf einem Holzpodest im Mai die vier Zelte aufgebaut. Ein Tipi, eine Jurte und ein Beduinenzelt sind darunter, "alles Originalzelte", wie Vereinsgeschäftsführerin Claudia Weisser erklärt. Statt Fieberglasgestänge und atmungsaktivem Polyethylen also Holzstäbe und Stoffbespannung - schon der Aufbau ist eine Herausforderung. Aber die Kinder bekommen so ein Gefühl dafür, wie es ist, mitten in der Natur zu leben, von der sie leben. Zumal sie, wenn nach einem langen Tag im Dorf in ihrem Lagerbett einschlafen, die Stimmen der Tiere noch im Ohr haben, deren Versorgung zu ihren Aufgaben gehört.

Die Kinder machen hier alles selbst: Sie füttern, suchen Hühnereier zusammen, sie ernten Salate oder Gemüse für das Essen, pflücken Beeren für den Nachtisch. Sie backen ihr Brot selbst und rühren Milch zu Käse. Ein Pädagoge, eine Köchin, ein Gärtner und ein Metzger stehen ihnen zur Seite. Die Landwirtin Franziska Weber, die sich außerhalb der Camp-Wochen um die symbiotische Landwirtschaft kümmert, ist ebenfalls für die Schüler da. Jeden Tag dürfen sich die Kinder für einen anderen Beruf entscheiden, so dass sie das Leben und Wirtschaften auf dem Bauernhof vom Ursprung der Lebensmittel bis zu ihrer letzten Station auf dem Teller hautnah mitbekommen. Nur das Fleisch für die Würste, die sie gemeinsam mit einem Metzger herstellen, bringt der selber mit.

Allerdings können die Kinder bei der Führung durch die Herrmannsdorfer Werkstätten, die fest zu jeder Campwoche gehört, auch einen Blick in den Geflügelschlachtraum zu werfen: "Kinder machen sich da weit weniger Gedanken als wir." Zum Aufenthalt im Camp gehört auch, dass sich die Kinder jeden Tag zum Dorfrat versammeln. Unter einer großen Plane auf einer Art Marktplatz zwischen den Zelten wird diskutiert und organisiert, Aufgaben müssen verteilt und gelegentlich auch mal Streit geschlichtet werden. "Wenn keiner das Kochen übernehmen will, gibt's halt nichts zu essen", sagt Weisser, "aber das ist bis jetzt noch nicht vorgekommen." Die Notwendigkeit, zusammenzuarbeiten, das demokratische Abstimmen, "der Dorfgedanke" eben, das steht hinter unserem Konzept. "Jede Aufgabe ist wichtig, das sollen die Kinder erfahren", sagt Weiser.

Bis zu 42 Kinder gleichzeitig können in den Zelten untergebracht werden. Schulklassen aus ganz Bayern und sogar eine aus Bremen waren bereits zu Besuch - "und die meisten wollen immer wieder kommen". Weil man in Herrmannsdorf auch den Inklusionsgedanken unterstützen will, kommt eine Klasse der Gehörlosenschule in München in diesem Jahr schon zum wiederholten Mal zu Besuch. Nach sieben Jahren seines Bestehens will der Verein nun sein Angebot erweitern, Blockhütten bauen, so dass auch in den kühleren Monaten Kinder hier übernachten können. "Wir würden gerne auch Ferienprogramme anbieten", sagt die Geschäftsführerin. Und wenn das gut läuft, könne man sich vorstellen, in der Nähe anderer Städte solche Dörfer einzurichten. Maximal 150 Euro soll eine Woche pro Kind kosten, um den Aufenthalt nicht für Kinder aus Geringverdiener- Familien völlig unmöglich zu machen - ein Zuschussgeschäft. Bei etwa 250 Euro pro Woche liegen die tatsächlichen Kosten.

Um an Kapital zu kommen, möchte der Verein nun Dorfpatenschaften vergeben. Ein Crowdfunding-Modell soll helfen, unter www.startkapital-online.de können private Sponsoren zu Mikroinvestoren werden, die, je nach Höhe der Einlage, mit einer Dorf-Paten-Urkunde, einer Spendenquittung, unterschiedlich großen Lebensmittelpäckchen aus den Landwerkstätten oder einem einmaligen 50-Prozent-Rabatt auf alle Herrmannsdorf-Lebensmittel belohnt werden. Wer 125 Euro einzahlt, wird zum Ehrenbürger des Dorfs ernannt und darf mit seiner Familie einen ganzen Tag im Dorf verbringen. Vermutlich aber nur, wenn er sein Handy zu Hause lässt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: