SZ-Serie: "Die schaffen das":"Manchmal ist es Zauberei"

Lesezeit: 2 min

Jede Woche mindestens zehn Überstunden: Für Marion Wolinski und ihre Kollegen ist das derzeit Alltag. (Foto: Christian Endt)

Marion Wolinski muss jede Woche 70 neue Flüchtlinge unterbringen. Bisher ist das immer gelungen - auch, weil sie über die Bürokratie hinaus tatkräftig mithilft: beim Bettenaufbau genauso wie beim Einkaufen

Von Christian Endt, Ebersberg

Sich um Menschen zu kümmern, die auf der Flucht vor einem Krieg Hilfe im Landkreis Ebersberg suchen, sind für Marion Wolinski nichts neues. Denn auch, wenn für die Mitarbeiterin im Landratsamt die hohen Flüchtlingszahlen gerade eine Ausnahmesituation darstellen, wecken sie doch Erinnerungen: Als Wolinski 1992 ihren Eid als künftige Beamtin des Freistaats Bayern schwor, war gerade Krieg in Jugoslawien, die Asylbewerberzahlen waren ähnlich hoch wie heute. "Wir waren damals schon kurz davor, Turnhallen mit Flüchtlingen zu belegen", erinnert sich die Grafingerin, "der Plan lag immer in der Schublade." Umgesetzt wurde er aber nicht. Die Lage am Wohnungsmarkt sei damals noch nicht ganz so angespannt gewesen, und auch die Flüchtlingslage sei "nicht so dramatisch" gewesen: "Der Druck ist jetzt größer."

Heute leitet die 46-Jährige, Kurzhaarschnitt, modische Brille, das Sachgebiet S2, zuständig für Sozialhilfeverwaltung. Ihr Büro liegt im ersten Stock des Landratsamts. An den Wänden hängen Fotos aus ihrer Anfangszeit und von einer USA-Reise 1993: Zu sehen sind der Bryce Canyon, die Golden Gate Bridge, Strände.

Mit Abteilungsleiterin Stefanie Geisler ist Marion Wolinski somit verantwortlich für die Unterbringung und Betreuung der Asylbewerber. Vor allem ist sie mit der Suche nach Unterkünften beschäftigt, sie spricht dazu viel mit Bürgermeistern und auch mit privaten Investoren. Dazu kommt die Öffentlichkeitsarbeit. Immer wieder erklären die Leute des Landratsamts auf Infoveranstaltungen die Flüchtlingssituation, häufig abends. Spricht der Landrat mit den Bürgermeistern über Asylpolitik, sitzt Wolinski als Fachfrau mit am Tisch.

Jede Woche kommen neue Asylbewerber im Landkreis an, entsprechend einer von der Regierung von Oberbayern festgelegten Quote. Die lag vor ein paar Wochen noch bei 41 Menschen, kürzlich wurde sie auf 51 erhöht, dann stand die nächste Erhöhung an, das Kontingent liegt dann bei um die 70 Flüchtlingen pro Woche. "Dann reicht unsere Planung nicht mehr für vier, sondern nur noch für drei Wochen." Immer schneller wird das Tempo, in dem Marion Wolinski und ihr Team neue Unterkünfte für die Hilfesuchenden auftreiben müssen. "Von Planung kann man da nicht wirklich sprechen", sagt die Beamtin. Der genaue Plan, wer wohin verteilt wird, stehe tatsächlich oft erst am Morgen des Ankunftstages: "Manchmal ist es wirklich Zauberei". Ihr Schreibtisch ist trotzdem aufgeräumt, die Akten liegen sauber gestapelt nebeneinander.

Zum allwöchentlichen Zauberwerk kommt in unregelmäßigen Abständen der Notfallplan der Regierung von Oberbayern: Wenn der in Kraft tritt, wird eine Turnhalle in Vaterstetten vorübergehend mit bis zu 200 Flüchtlingen belegt. Das ist zwar eine Unterkunft der Regierung von Oberbayern, für die praktische Durchführung ist aber das Landratsamt zuständig. "Da muss jeder ran", sagt Wolinski, auch sie helfe mit, beim Registrieren der Asylbewerber, beim Aufbauen der Feldbetten, beim Einkaufen, was eben zu tun ist.

Dementsprechend sammeln sich die Überstunden auf Wolinskis Arbeitszeitkonto: Mindestens zehn seien es pro Woche, das treffe auch auf alle Kollegen zu, "von der Sachgebietsleitung bis zur Teamassistenz." Dienst nach Vorschrift könne im Moment keiner machen. Zum Ausgleich macht Marion Wolinski, am liebsten Sport. Laufen, Radfahren, Fitnessstudio, Skifahren: "Einfach bewegen." Das beschränke sich allerdings derzeit auf die Wochenenden, denn "nach zehn oder zwölf Stunden Arbeit fehlt die Zeit".

Wolinski könnte jammern oder schimpfen, auf die Regierung etwa mit ihrer Flüchtlingspolitik. Kein Wort. Sie macht einfach ihre Arbeit. Wie sie das hinbekommt, verrät ein Zettel an der Wand in ihrem Büro, ein Zitat von Joachim Ringelnatz: "Humor ist der Knopf, der verhindert, dass einem der Kragen platzt."

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: