Die Anfragen sind kaum zu stemmen:"Wie Fließbandarbeit"

Im Landkreis Ebersberg sind vier Asylsozialberater für die Betreuung von 1100 Flüchtlingen zuständig. Dabei sind die Anforderungen in diesem Bereich gewaltig, wie Teamleiter Thomas Krahe betont

Interview von Anselm Schindler

Bereits seit einigen Monaten hofft die Ebersberger Caritas auf zusätzliche Stellen in der Asylsozialberatung. Das Bayerische Sozialministerium hat inzwischen die Förderung von drei weiteren Stellen angekündigt, wann sie eingerichtet werden, ist aber noch unklar. Die eigentliche Aufgabe der Asylsozialberatung, Flüchtlinge in den Unterkünften in rechtlichen Fragen und bei der Bewältigung des Alltags zu unterstützen, kann die Caritas derzeit kaum noch stemmen - mehr Mitarbeiter seien deshalb dringend nötig, sagt Thomas Krahe, gemeinsam mit einem Kollegen leitet er die Ebersberger Asylsozialberatung. Sein Job fühle sich inzwischen wie "Fließbandarbeit" an - denn auf rund 1100 Geflüchtete kommen im Landkreis nur vier Asylsozialberater der Caritas.

SZ: Herr Krahe, eigentlich ist es ihre Aufgabe, möglichst nah an den Asylbewerbern dran zu sein. Funktioniert das derzeit überhaupt?

Thomas Krahe: Wir haben im Landkreis inzwischen vier Büros, in die Flüchtlinge zur Beratung kommen können. In Grafing, Zorneding, Poing und Ebersberg. Eigentlich ist das Ziel aber, dass wir wieder flexibler werden und regelmäßig in die Flüchtlingsunterkünfte fahren können. Dafür reichen unsere Kapazitäten gerade aber einfach nicht aus. Wir hoffen deshalb, dass wir die zusätzlichen Stellen möglichst bald bekommen. Der Bedarf dazu ist da, beispielsweise in der Unterkunft in Grub, wo ja künftig noch mal mehr Asylbewerber untergebracht werden sollen. Die aktuellen Stellen sind eigentlich nur für 600 Flüchtlinge gedacht. Damit beraten wir aber alle Flüchtlinge im Landkreis.

Kann man sich bei so vielen Klienten überhaupt noch auf Einzelfälle konzentrieren?

Das ist schon schwer, trotzdem ist es unser Anspruch und auch Voraussetzung, um diese Arbeit machen zu können. Gerade dann, wenn mehrere Problemlagen zusammenkommen. Ich denke da zum Beispiel an eine Asylbewerberin mit schwerer Depression. Der Vater arbeitet Schicht und hat einen Anfahrtsweg von knapp zwei Stunden, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Noch dazu lebt die Familie in einem von Schimmel befallenen Haus, und die Kinder müssen vom Jugendamt betreut werden. Die dortigen Helfer sind sehr engagiert und tragen eine große Last. Da muss man auch darauf achten, dass sie nicht völlig überfordert sind. Wir investieren deswegen auch viel Zeit in die Qualifizierung der Helferkreise. Wir haben die Helfer beispielsweise geschult, dass sie Asylbewerber für die Anhörungen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vorbereiten können. Insgesamt haben wir so um die 180 Flüchtlinge auf die Anhörung vorbereitet, was ganz schön viel Arbeit ist, wenn man bedenkt, dass man da pro Fall zwei bis drei Stunden rechnen muss.

Die Anfragen sind kaum zu stemmen: "Wir müssen uns sicher sein in dem, was wir empfehlen, davon hängt ja auch die Existenz der Betroffenen ab", sagt Berater Thomas Krahe.

"Wir müssen uns sicher sein in dem, was wir empfehlen, davon hängt ja auch die Existenz der Betroffenen ab", sagt Berater Thomas Krahe.

(Foto: Christian Endt)

Ist es in solchen Fällen überhaupt noch möglich, Job und Privates zu trennen?

Da ist es nötig, im Privatleben gut für sich zu sorgen. Letztens stand eine Flüchtlingsfamilie, die im Rahmen des Familiennachzuges in Deutschland ankam, an einem Samstagabend bei einer Asylsozialberaterin im Büro. Die Kollegin hat die Familie dann notfallmäßig erst einmal bei einer Freundin einquartiert, bis ein Platz in einer Unterkunft gefunden war.

Sie haben ja auch im Bereich Drogenhilfe und Obdachlosigkeit gearbeitet, wie unterscheidet sich das zu den Herausforderungen in der Asylsozialberatung?

Die Anforderungen, die in der Flüchtlingsarbeit gegeben sind, habe ich so sonst noch nirgends erlebt. Für die Asylsozialberatung sind allein über 30 verschiedene deutsche, europäische und internationale Gesetze und Verordnungen relevant. Das betrifft alle Lebensbereiche, von Ausbildung und Sprache über Wohnraum bis hin zum Familiennachzug. Und wir müssen uns auch sicher sein in dem, was wir empfehlen, davon hängt ja auch die Existenz der Betroffenen ab.

Entstehen bei den rechtlichen Fragen nicht auch Spannungen zwischen der Caritas und den Behörden?

Natürlich gibt es da auch einen Interessensgegensatz. Wir sagen ganz klar: Wir vertreten die Perspektive der Flüchtlinge. Und gerade im Bamf werden mehr und mehr Entscheidungen getroffen, die wir für rechtlich fragwürdig halten. An dieser Stelle sind wir dann gefragt: Wir erklären den Flüchtlingen, was sie gegen diese Entscheidungen tun können, und vermitteln Anwälte. Momentan geht es da gerade ganz viel um abgelehnte Asylanträge.

Asylsozialberatung

Die Mitarbeiter der Asylsozialberatung fungieren als professionelle Ansprechpartner, um Flüchtlinge im Asylverfahren zu begleiten und in rechtlichen Fragen Auskunft geben. Zudem unterstützen sie Asylbewerber bei der Integration und beim Alltag in den Unterkünften. Mit der Asylsozialberatung schaffen Sozialverbände wie die Caritas ein Angebot, das die Unterstützungsleistungen von Behörden, Ämtern und den ehrenamtlichen Helferkreisen ergänzt. Insgesamt fördert der Freistaat Bayern in der Asylsozialberatung derzeit 534 Vollzeitstellen. Dabei kommt der Freistaat für rund 80 Prozent der Kosten für die Asylsozialberatung auf, den Rest tragen Kommunen und die Caritas selbst. Im Jahr 2016 waren im bayerischen Haushalt für den Bereich rund 19 Millionen Euro an Fördermitteln eingeplant, im diesem Jahr stehen 23 Millionen Euro zur Verfügung.

Im Landkreis Ebersberg beschäftigt die Caritas vier Asylsozialberater. Sie sind für 1100 Flüchtlinge zuständig. Der Freistaat gibt eigentlich einen Schlüssel von einem Berater pro 150 Asylbewerber vor, im Landkreis sind es derzeit fast doppelt so viele. Geht alles nach Plan, dann soll der Landkreis gemäß dem Königsteiner Schlüssel künftig zusätzliche 200 Asylsuchende aufnehmen, damit kämen auf eine Beratungsstelle 325 Menschen. In anderen Landkreisen ist der Betreuungsschlüssel ähnlich schlecht, doch es gibt auch einige Kommunen und Landkreise, in denen es besser läuft. Das Caritaszentrum Mühldorf beispielsweise erreicht den geforderten Schlüssel von einer Betreuungsstelle pro 150 Asylbewerber. coco

Das Bamf muss sich an Richtlinien und Gesetze halten, wie kann es denn da sein, dass es nun, wie sie sagen, vermehrt zu rechtlichen Fehlentscheidungen kommt?

Man hat dort ab 2015 versucht, auf Biegen und Brechen mehr Mitarbeiter einzustellen. Da fehlt es dann einfach oft an den beruflichen Qualifikationen und auch an Kenntnissen über die Herkunftsländer und die rechtlichen Vorgaben. Wenn jemand beispielsweise die Situation der unterdrückten Hazara-Minderheit in Afghanistan nicht kennt, dann kann er die Situation eines Angehörigen dieser Minderheit natürlich auch nicht richtig einschätzen. Bei vielen Fällen, wo Asylbewerber vor einigen Jahren noch einen positiven Bescheid bekommen hätten, weist das Bamf heute Asylanträge ab. Teilweise werden für die Entscheidungen auch veraltete Daten und Analysen herangezogen.

Können Sie das konkreter machen?

Was Afghanistan betrifft, bezieht sich das Amt in seinen Urteilen auch auf die Lageeinschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR. Und verwendet die Daten von Ende vergangenen Jahres - und das, obwohl es einen neuen Bericht vom April 2017 gibt, der die Lage ganz anders bewertet. In dem neuen Bericht wird auch klar, dass es in Afghanistan inzwischen keine Gegenden gibt, die man als sicher bezeichnen kann. Da kommt das Bamf dann zu einer Einschätzung, die überhaupt nicht realistisch ist.

Ist das nur Überforderung oder auch Strategie?

Es gibt auch Anwälte und Richter, die sagen, dass das Bamf versucht, möglichst schnell viele Urteile zu produzieren und die Ausbesserung von Fehlern dann auf die Gerichte abzuwälzen. Aber da geht es um Menschenrechte, so was sollte sich das Bamf eigentlich nicht leisten dürfen. Allgemein stellen wir schon fest, dass der Druck durch Behörden auf bestimmte Menschengruppen zunimmt. Einige können dann irgendwann einfach nicht mehr und versuchen ihr Glück in einem anderen Land. Die Abwanderung findet Richtung Italien, Frankreich oder auch Spanien statt. Da ist zwar die Situation, was Unterkünfte betrifft, noch viel schlimmer, die Leute stehen dann in der Regel erst einmal auf der Straße. Dafür sind aber die Kontrollen nicht so streng, es ist einfacher, dort illegal zu leben, auch wenn man dann für 50 Cent in der Stunde Tomaten pflücken muss.

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