Sozialer Wohnungsbau:Den Hebel umlegen

Die SPD-Politiker Ernst Böhm und Albert Hingerl stellen in Grafing ein Modell vor, wie Gemeinden mit sozialem Wohnungsbau die Preisspirale im Münchner Umland aufbrechen können

Von Thorsten Rienth, Grafing

"Wer Wohnraum sät, wird ortsnahe Arbeitsplätze und Gewerbesteuer ernten." Mit pathetische Worten hatten die beiden SPD-Kreispolitiker Ernst Böhm und Albert Hingerl für den Mittwochabend nach Grafing eingeladen. Doch dem Bauunternehmer sowie Grafinger Stadtrat Böhm und Hingerl, Poinger Bürgermeister und Aufsichtsratschef der Ebersberger Wohnbaugenossenschaft, ging es nicht um Pathos. Sondern um einen ganz konkreten Weg aus der Wohnmarkt-Preisspirale im Münchner Umland.

Das Ziel klingt erst einmal wie ein schönes Versprechen: Nach dem Auszug bei den Eltern eine Mietwohnung. Zwischen 25 und 30 Jahren eine Eigentumswohnung. Mit 40 Jahren ein Haus. "Die Realisierung ist kein Hexenwerk", sagte Böhm im "Heckerbräu". "Das ist eine Frage des politischen Willens", sagte Hingerl.

Das setze aber einen Bruch mit klassischen Einheimischen-Modellen voraus. "Häufig kommt die Zielgruppe - jüngere ortsansässige Familien mit mittlerem Einkommen und ohne große Erbschaften - nicht zum Zug", heißt es im Maßnahmenpapier der beiden SPD-Politiker. Die Gemeinden müssten daher stärker eingreifen. Konkret bedeutet das: Bisher auf Grundstücke und Häuser beschränkte Steuerungsmöglichkeiten müssten auf den Geschosswohnungsbau ausgeweitet werden.

Sozialer Wohnungsbau: Wie junge Leute schneller zu Wohneigentum kommen könnten, erläutern Albert Hingerl (links) und Ernst Böhm.

Wie junge Leute schneller zu Wohneigentum kommen könnten, erläutern Albert Hingerl (links) und Ernst Böhm.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dass die Grafinger SPD ausgerechnet Hingerl einlud, war natürlich kein Zufall. In Poing passiert genau das schon seit Jahrzehnten. "Die Gemeinde schreibt vor, dass zehn Prozent der Grundfläche in Neubaugebieten auf den sozialen Wohnungsbau entfallen müssen", berichtete Hingerl. Solche regulativen Eingriffe setzen freilich einiges an gemeindlicher Durchsetzungskraft voraus. Trotzdem geht es nach Ansicht des Sozialdemokraten nur gemeinsam. "Das funktioniert nicht gegen, sondern nur mit den Grundstückseigentümern." Eigentümer könnten ihre verhältnismäßig wertlose Wiese zu wertvollem Bauland machen - aber eben zu den Bedingungen der Gemeinde. "Die Gemeinde kann zum Beispiel für einen Teil der Wohnungen Höchstpreise festlegen", erklärte Böhm. Wer bei den verbilligten Wohnungen zum Zuge komme, würde sie per Kriterienkatalog regeln. Anstelle eines Hauses ginge es dann um eine Wohnung. "Aber mit zwischen 150 000 und 240 000 Euro ist das Eigenheim dann auch für Leute finanzierbar, die darauf bislang keine Chance hatten."

Bei der Verantwortung für die Rahmenbedingungen verweisen Böhm und Hingerl klar auf die Gemeinden. Um die Preise zu senken, müsse sich auch das gesellschaftliche Anspruchsdenken wandeln. "Zeitgemäße Bescheidenheit", nannte Böhm als Stichwort. "Braucht man in Zeiten von Kindle und Tablets Platz für meterweise Bücher, CDs oder Schallplatten?" Gleichzeitig sei eine größere Akzeptanz der Fertigbauweise gefordert. "Das ist qualitativ inzwischen sogar besser, schlechter schaut es auch nicht mehr aus - und ist deutlich günstiger", erklärte Böhm.

Finanzierungsbeispiel

Für die Finanzierung der Zweizimmerwohnung mit 50 Quadratmetern (150 000 Euro) legen Böhm und Hingerl 30 000 Euro Eigen- und 120 000 Euro Fremdkapital zugrunde. Bei zwei Prozent Zinsen und drei Prozent Tilgung folge eine monatliche Belastung von 650 Euro. Sie setze sich zusammen aus 200 Euro für Zinsen, 300 Euro für die Tilgung sowie 150 Euro Betriebskosten. Die Darlehenslaufzeit sei etwa 22 Jahre. Die analoge Rechnung führe bei der Vierzimmerwohnung mit 80 Quadratmetern und etwas eingerechnetem Puffer zu einer monatlichen Belastung von etwa 1000 Euro. Gehe es beruflich und damit finanziell voran, ließe sich nach einigen Jahren bei weitgehend getilgtem Kredit die Eigenheim-Wohnung in ein Eigenheim-Haus "umtauschen". thri

Obwohl ein bewährtes Konzept, würde bei Planung und Bau noch viel zu selten auf Genossenschaften gesetzt, waren sich Böhm und Hingerl einig. Gemeinden sollten Wohnungsgenossenschaften künftig nicht mehr nur für Mietwohnungen, sondern auch für Eigentumswohnungen beauftragen. Bauwillige Bürger könnten sich zu eigenen Baugenossenschaften zusammenschließen. Denn anders als konventionelle Bauträger zielten Genossenschaften nicht auf große Renditen ab. "Wir reden von eineinhalb bis drei Prozent", ordnete Hingerl ein. "Und es gibt Zuschüsse vom Landkreis und dem bayerischen Wohnungsbauprogramm."

Ein Rechenbeispiel könnte Böhm zufolge folgendermaßen aussehen: Als Basis dient ein erschlossenes Grundstück mit 1000 Quadratmetern Grundfläche und Baurecht für 1000 Quadratmeter Wohnfläche, aufgeteilt in 14 Wohnungen. Lege die Gemeinde die Kosten für das erschlossene Grundstück auf 50 bis 70 Prozent des Bodenrichtwerts fest, seien für den Grund pro Quadratmeter 600 Euro zu kalkulieren - insgesamt also 600 000 Euro. Koste der Quadratmeter schlüsselfertiges Gebäude 2000 Euro, sind zwei Millionen Euro zu veranschlagen. 200 000 Euro für Außenanlagen und Stellplätze hinzugerechnet machten insgesamt 2,8 Millionen Euro. Bei 2800 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche kommt Böhm bei einer 50-Quadratmeter-Zweizimmerwohnung inklusive Erwerbskosten auf 150 000 Euro. Bei drei Zimmern mit 64 Quadratmetern wären es 180 000 Euro. Vier Zimmer mit 80 Quadratmetern kosteten 240 000 Euro. "Das ist auch für diejenigen in absehbarer Zeit finanzierbar, die keine Großverdiener sind", schlussfolgert Böhm.

Fest steht für ihn, dass Leute um die 30 Jahre besonders gefordert seien. "Die bekommen vielleicht einmal zwischen 1000 und 1400 Euro Rente pro Monat." Davon im Münchner Umland auch noch die Miete zu bezahlen, halte er für kaum möglich. Also müsste das Eigenheim bis dahin abgezahlt sein, sagte Böhm. Ob das Thema bei der jüngeren Generation indes von Interesse ist, steht auf einem anderen Blatt. Unter den gut 60 Zuhörern der Veranstaltung waren augenscheinlich nicht viele unter 40 Jahren.

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