Buchbesprechung:Gegen den Schweige-Schutt

Buchbesprechung: Johanna Mischlewski, ehemalige Deutschlehrerin, ist nicht nur belesen, sondern gießt auch ihre eigenen Gedanken seit Jahrzehnten in Lyrik.

Johanna Mischlewski, ehemalige Deutschlehrerin, ist nicht nur belesen, sondern gießt auch ihre eigenen Gedanken seit Jahrzehnten in Lyrik.

(Foto: Christian Endt)

Johanna Mischlewski veröffentlicht einen Band mit eigenen Gedichten aus vier Jahrzehnten

Von Thorsten Rienth, Grafing

Zu einer Gestalt geronnene Einsichten, Erfahrungen und Erinnerungen seien ihre Gedichte, sagt Johanna Mischlewski. Theoretisch-trockener lässt sich Lyrik wohl kaum beschreiben. Trotzdem entspringen die Gedichte der früheren Grafinger Gymnasiallehrerin dem prallen Leben: aufgeschrieben, um Krisen zu bewältigen, dem Staunen Ausdruck zu verleihen oder um bunte Details aus grauer Tristesse zu befreien. Dies ist der große Bogen, den sie in ihrem neuen Band mit Poesie aus vier Jahrzehnten spannt.

"Unterwegs" hat sie ihn betitelt, ganz wertfrei, nur nüchtern beschreibend. So, wie es mit dem Leben eben ist: heute mit Fröhlichkeit überladen und morgen vielleicht wie gelähmt vor lauter kräftezehrender Last. Wer weiß das schon?

Die Grafingerin macht daraus eine große semantische Spielerei, etwa mit neologistischen Komposita vom "Schweige-Schutt" bis zum "Groll-Geröll". Mit assoziierten Bedeutungen versehen und in neues Licht gerückt, mit schlagartigen Abbrüchen und manchmal schier rätselhaften Zuordnungen. Immerzu ausbrechend aus dem, was doch jetzt so naheliegend wäre, vom Reim her oder vom Rhythmus. So, dass das Auge des Lesers wieder zurückspringt, um erst noch eine neue Wortkomposition zu erfassen, dann den Satz und schließlich einen Sinn.

In dieser Lyrik setzt sich ein Ideal fort, dessen Ursprung im Anspruch einer ehemaligen Lehrerin für Deutsch, Englisch und Ethik liegt. "Es war eines meiner Ziele im Beruf", schreibt Mischlewski im Vorwort, "dass meine Schüler über ein oberflächliches Sehen und Lesen hinauskommen, als aufmerksame, wache Menschen durchs Leben gehen und sich den Fragen der Zeit stellen."

Egal ob auf Deutsch oder Englisch - der neue Gedichtband strotzt nur so von Bildern. Sonnen stehen für Wärme, Oasen für Rastplätze, Wolken und Vögel für Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Auch sie schwingen wieder hin und her zwischen den Klagemauern und Freudenplätzen des Alltags, gehen ins Märchenhafte und münden in den metaphysischen und alttestamentarischen Fragen, was dahintersteckt, hinter der Welt, hinter dem Umfeld, hinterm Leben, hinterm Tod - "Wer legt mir Kiesel aus/ im Mondenschein zu lesen/ Wer flüstert mir Listiges zu zum Überleben/ Wer hält das in Schach/ was mein Herzgemach bedroht?" Irgendwer muss es sein. "Denn ich bin davongekommen", mal mit Enttäuschungen, aber viel öfter mit ehrlicher Dankbarkeit. "Hänsel und Gretel (Variation)", lautet der Titel.

Der Auszug ist kein Einzelfall. Tatsächlich geht es auf den etwas mehr als hundert Seiten thematisch viel um die Nähe des Todes. Der Himmel, so schreibt Mischlewski, sei "ein Magnet, der alles Sterbliche anzieht". Ein Negativum sieht sie in ihm aber trotzdem nicht. "Ich brauche den Himmel nicht zu tragen/ Er trägt mich."

Johanna Mischlewski reibt sich daran, versucht lyrisch zu erfassen, was für das menschliche Gehirn schon ohne Reim- und Rhythmuswechsel oder Metaphern schwer zu erfassen ist. Aber wer hat auch gesagt, dass Lyrik einfach sein muss? "So wird sie zur Barriere gegen das Geschwätzige, Gleichgültige, Austauschbare", sagt die Autorin.

"Unterwegs" - Gedichte aus vier Jahrzehnten von Johanna Mischlewski, erhältlich in der Grafinger Bücherstube Slawik oder bei der Autorin unter (08092) 90 95 zum Preis von 19,90 Euro.

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