Brauchtum:Leonhards Segen

39 Gespanne ziehen bei der Grafinger Leonhardifahrt durch die Gassen zwischen Kirche und Marktplatz. Mit liebevoll gestalteten Wagen und in Festtagstracht feiern die Menschen den Heiligen Patron der Nutztiere.

Von Luisa Seeling

"Sie kommen!" Der kleine Junge breitet die Arme aus, als wolle er dem Heiligen Leonhard persönlich dafür danken, dass es losgeht. Endlich biegt das erste Gespann um die Ecke. Begeistert klatscht der Kleine in die Hände. Seine Mutter muss kräftig zulangen, damit er ihr nicht von den Schultern kippt. Per Lautsprecher wird die erste Kutsche mit ihren Insassen angekündigt: Rupert Frania, Stadtpfarrer von Bad Tölz und Festprediger der Grafinger Leonhardifahrt, Adalbert Mischlewski, Ehrenbürger der Stadt, sowie Bürgermeister Rudolf Heiler mit seiner Frau Ingrid. Das Hufgetrappel wird lauter, über den Marktplatz weht der süß-säuerliche Geruch von Pferdeschweiß, vermischt mit dem betörenden Aroma frisch gebrannter Mandeln. Die Menschen haben sich am Straßenrand aufgestellt, manche in Festtracht, manche in Jeans, und warten auf die Ankunft der prächtig geschmückten Pferdegespanne von Trachtenvereinen aus Grafing und Umgebung.

Etwas früher am Vormittag, während des Festgottesdienstes vor der Leonhardikirche, hatte es noch so ausgesehen, als könne es Regen geben, so tief und launisch hatten die Wolken über der Stadt gehangen. Der Wind zerrt an den Baumkronen, Laub regnet herab. "Heilig, heilig, heilig ist der Herr", singen die Besucher, während sich an der Münchener Straße die Ehrengespanne aufstellen. Mitten auf der Straße steht ein stattlicher Rappe, unruhig tänzelt er auf der Stelle. "Justy" machen die Funkgeräte der Helfer von der Freiwilligen Feuerwehr nervös, erzählt seine Halterin, "natürlich ist es immer eine Aufregung für die Tiere". Einmal sei ein Gespann fast im Urtelbach gelandet, weil die Pferde gescheut hätten. Bei der Umfahrt, die gegen elf Uhr beginnt, geht dann aber alles glatt - vielleicht auch dank des Segens, den sich die Gespanne an der Leonhardikirche abgeholt haben. Nur einmal gibt es einen Zwischenfall: Ein Pferd bockt und schlägt aus. Seine Reiterin hebt es dabei fast aus dem Sattel, doch sie krallt sich fest und bringt das Tier wieder unter Kontrolle.

Der kleine Junge thront immer noch auf den Schultern der Mutter. Mit offenem Mund beobachtet er, wie schwere Kaltblüter einen Holznachbau der Leonhardskirche über den Marktplatz ziehen, die Festwagen der Trachtenvereine und den historische Spritzenwagen der Freiwilligen Feuerwehr. Auf Wagen Nummer 14 musiziert die Glonner Musi, die Ebersberger Jagdhornbläser spielen auf Nummer 27. Und auf Nummer 28 stellt Helmut Diewald mit ernster Miene, Hut und langem Rauschebart den Heiligen Hubertus dar, den Schutzpatron der Jäger, mit Tannengrün und Jagdhund zu seinen Füßen. Insgesamt nehmen 39 Wagen an der traditionsreichen Wallfahrt mit Pferdesegnung teil, die es schon seit 300 Jahren zum Geburtstag des Heiligen Leonhard gibt. In Grafing findet sie seit einigen Jahren eine Woche vor dem Gedenktag statt, damit sie nicht mit der Leonhardifahrt in Bad Tölz zusammenfällt. Denn viele der Gespanne, die heute in Grafing zu sehen sind, werden nächstes Wochenende im Einsatz sein. Dann heißt es wieder: Mähnen flechten, Geschirr polieren und das Fell striegeln, bis es in der Sonne glänzt wie eine polierte Kastanie.

Eine ältere Zuschauerin aus Wasserburg winkt ihrer Enkelin zu, die auf dem Leonhardkirchwagen knieend vorbeifährt. Ihr Schwiegersohn, erzählt sie, ist heute auch dabei, er spielt auf einem anderen Gespann das Tenorhorn; die Tochter sitzt bei den Atteltaler Trachtlern, die Haare hochgesteckt. Die ganze Familie ist über den Umzug verteilt, was der Großvater trocken kommentiert: "Wenn schon, denn schon!" Die Stimmung ist gelöst, und als ein kleines Mädchen auf einem winzigen Pony vorbeitrippelt, brandet spontaner Applaus auf. Die Ebersberger Siebenbürger mit ihren weißen Trachten fahren gerade vorbei, da bricht die Sonne durch die Wolken, es wird richtig warm - anders als im vergangenen Jahr, als die Zuschauer bei extremer Kälte ausharren mussten. Jetzt drängen sie sich an den Süßwarenständen und dem Verkaufstisch der Nussbauern aus Saint Marcellin, Grafings französischer Partnerstadt. Hier gibt es Spezialitäten wie Nussöl, Nusslikör und Käse. Die Karawane wird noch zwei weitere Male den Marktplatz umrunden, anschließend spielen die Glonner Musi und die Stadtkapelle. Doch die Wasserburgerin verabschiedet sich: "Wir gehen jetzt heim, und ich mache schon mal die Weißwurscht warm."

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