Boxkampf:Im Dreiminutentakt

Beim Olympischen Boxen im Grafinger Festzelt siegt der DJK Bavaria Rosenheim nach Punkten über die Sportler des TV Kempten 1856. Die jungen Burschen beider Vereine zeigen, dass sie hart im Nehmen sind.

Von Alexandra Leuthner, Grafing

Fünfzehn Sekunden, eine rechte Gerade - oder war es eine linke? - und alles ist vorbei. "Meine Herrn! So schnell kannst' ja gar net schau'n." Der Kellner, der gerade einen Krug auf dem Biertisch abstellt, hat sich nur für einen Augenblick gebückt. Als er sich wieder zum Ring dreht, liegt der junge Mann im blauen Boxshirt schon am Boden. K.O. in der ersten Runde werden die Ringrichter gleich entscheiden, doch jetzt kniet erst einmal eine Betreuerin neben Sadiq, Gewichtsklasse L für leicht, sie tätschelt ihm die Wange.

Das Gesicht unter den schwarzen Haaren ist blass, die Augen sind geschlossen, er ist ohnmächtig - doch ein Grund zur Aufregung ist das keiner. An den Biertischen, die rund um den Boxring im Festzelt stehen, gehen die Unterhaltungen weiter. Und tatsächlich, genauso schnell wie er zu Boden gegangen ist, steht der Boxer schon wieder, die Betreuerin bugsiert ihn in seine blaue Ecke. Als der Ringrichter Sadiq und seinen Gegner zu sich holt und den Sieger verkündet - Jakob Ibrahimi von der DJK Bavaria Rosenheim - da grinst Sadiq.

Boxen ist nicht der gefährlichste Sport

In den Verletzungsstatistiken rangiere das Boxen hinter den ersten zwanzig Sportarten, erklärt Günter Ziegler, Chef des Rosenheimer Vereins. Die acht Boxer seines Clubs, die im Hendldampf des Bierzeltes antreten, um sich mit dem Nachwuchs des TV Kempten 1856 zu messen, dürfen am Ende als Sieger nach Hause fahren. Unter ihnen ist auch Fawad Sadeque, der den letzten Kampf bestreiten soll. Ziegler, der den Sprecher macht und auch nicht versäumt, den wenigen Damen, die beim Grafinger Boxen nie Eintritt zahlen müssen, zum Muttertag zu gratulieren, sagt Fawad voraus, dass er gewinnen werde.

Fawad ist ein afghanischer Flüchtling, der erst seit kurzer Zeit hier ist. Er hat vorher nie geboxt, kommt aber jetzt drei mal die Woche ins Rosenheimer Trainingszentrum. Ziegler merkt man den Stolz auf den jungen Mann an. "Wir versuchen immer, für die Asylanten was zu tun." Und Fawad ist einer von ihnen. "Neben dem Boxen trainiert er auch noch; er joggt, hält sich fit. Seine Laktatwerte sind glänzend." Der 22-Jährige soll an diesem Tag zum ersten Mal in den Ring.

Junge Burschen zeigen, dass sie harte Männer sind

Vorher aber müssen noch ein paar andere junge Burschen zeigen, dass sie harte Männer sind. Kari Osman hat gerade noch seinem Trainer im Barbereich des Zeltes gegenübergestanden, der für die Sportler reserviert ist. Immer wieder hat er sich unter langen Schlägen weggeduckt und der Faust, die auf sein Gesicht zuschnellte und kurz vor seiner Nase in der Luft verharrte, standgehalten. Jetzt steht er oben im Ring. Sein Trainer, ein dunkelhaariger Kerl im blauen Trainingsanzug, sitzt unten, hängt mit den schwarzen Augen an jeder Bewegung seines Schützlings. Kari tänzelt, taucht unter den Schlägen von Alex Hope hindurch, dann muss er einstecken.

Ein älteres Paar sitzt an einem Tisch direkt am Ring, vor einem Spezi und einer Maß. Sie verfolgen gebannt, wie Kari sich jetzt wieder befreit. Beide sehen aus, als plagten sie Phantomschmerzen als Kari selbst zwei Treffer am Kopf des Gegners landet. Sein Trainer jubelt hingerissen: "Jaaa, jaaa" und "schööön", wobei der Melodiebogen in der zweiten Worthälfte immer nach unten driftet, als ließe er sich hinein fallen in seine Begeisterung. Dann, nach drei Minuten, lässt Ziegler den Holzhammer, mit dem er auch den Gong schlägt, dreimal schwer auf den Biertisch vor sich fallen. Das Zeichen, das gleich der Gong ertönen und den Spielern eine kurze Pause nach der ersten Dreiminutenrunde bescheren wird.

Einen Hang zum Risiko muss man haben

Das Anklopfen, erklärt Ziegler, sei neu im Boxsport und werde nicht nur beim Amateur-, oder wie es inzwischen heißt, beim Olympischen Boxen verwendet, sondern auch bei den Profis. Neu sei auch, dass die Handschuhe zehn bis zwölf Unzen statt früher acht wiegen und weicher sind. Das mache Schläge langsamer und etwas weniger unangenehm. Aber einen gewissen Hang zum Risiko müsse man trotzdem haben, wenn man sein Gesicht in den Ring hält, das gibt er schon zu. Er selber war nie aktiv, obwohl er den Verein seit 30 Jahren leitet. Sein Vater habe ihn zum Boxen mitgenommen, erzählt er, und zeigt auf den bronzenen Gong: Die Jahreszahl 1958 ist eingraviert. "Selber boxen durfte ich nie, das haben meine Eltern nicht erlaubt."

Kari Osman hat seine Aufgabe im Ring inzwischen erfüllt: Sieger nach Punkten nach drei Runden. Er grüßt nach allen Seiten, als er lachend von der Bühne hüpft. Günter Ziegler heizt das Publikum noch einmal an, das sich zwischendurch mehr fürs Bier als für die Boxer zu interessieren scheint. Und dann kommt Fawad.

Schwarzhaarig, braun gebrannt. Pure Muskelkraft verteilt auf nicht mehr als die 69 Kilo, die es beim Weltergewicht sein dürfen. Er brennt. Er explodiert. Er geht auf seinen armen Gegner los wie ein Stier. Der hat kaum Zeit, überrascht zu sein. Fawads Sieg durch technischen K.o. ist da, kaum dass der Kemptener Boxer die Arme heben kann. Zu den elf zu fünf Punkten, mit denen Rosenheim nach Hause fährt, hat Fawad das Seine beigetragen. Günter Ziegler schimpft trotzdem ein bisschen. "Mir ist es gar nicht recht, wenn er so schnell vorangeht; die Leute wollen ja was sehen". Dass er beinahe platzt vor Stolz, kann er aber nicht verbergen.

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