Bomben-Alarm am Gymnasium Grafing:Eine Schule trotzt braunen Drohungen

Rechte Parolen, Hakenkreuze, SS-Symbole: Neonazis treiben seit einiger Zeit am Gymnasium im oberbayerischen Grafing ihr Unwesen. Zuletzt sorgten ein angedrohter Bombenanschlag und Morddrohungen gegen Lehrer für Angst. Doch die Schüler wollen sich nicht unterkriegen lassen.

Martin Mühlfenzl

Ruhig und besonnen tritt Harald Parigger vor die Vollversammlung seiner Schüler. Der Direktor des Grafinger Gymnasiums im Landkreis Ebersberg blickt dabei in fragende, angsterfüllte und angespannte Gesichter - die rund 1400 Schüler erhoffen sich Aufklärung, warum sie kurz zuvor binnen weniger Minuten ihre Klassenzimmer verlassen mussten und nun im Festsaal der angrenzenden Stadthalle auf engstem Raum ausharren sollen.

Gymnasium nach Bombendrohung evakuiert

Flagge zeigen: Schüler des Grafinger Gymnasiums bekennen sich per Unterschriftenlisten gegen Rassismus.

(Foto: dapd)

Als Harald Parigger in seinem Büro am Montagmorgen die Post öffnet und die wenigen Worte des maschinengeschriebenen Schriftstückes liest und deutet, fällt er binnen weniger Sekunden eine Entscheidung: Das Gymnasium muss umgehend evakuiert werden. "Am 19.12 wird hier Bombenstimmung herrschen", lautete der Satz. "Für mich war sofort klar: Wir haben es mit einer Bombendrohung zu tun", betont der Direktor am Tag danach. Seinen Schülern indes verschweigt er nach der Evakuierung das Wort "Bombe" - wohl auch, um eine nachfolgende Panik zu verhindern.

In der Folge spielen sich auf dem Gelände Szenen ab, die einem Actionthriller entnommen sein könnten: Eine Hundertschaft der Polizei riegelt gemeinsam mit Kräften der Feuerwehr das Areal ab; ein Sondereinsatzkommando aus der Landeshauptstadt sucht die drei Gebäudeflügel des Gymnasiums sowie die Turnhallen mit Spürhunden nach Sprengstoff ab. In der Zwischenzeit organisieren Schulleitung und Landratsamt Busse, um die Schüler sofort nach Hause zu transportieren und in Sicherheit bringen zu können.

Das Gefühl der Sicherheit will sich in Grafing unter den Lehrern und Schülern aber noch nicht einstellen. Der Schock sitzt tief und bekommt durch einen Umstand eine besondere Note: Bereits am Wochenende vor der Bombendrohung haben der Direktor und drei Schüler persönlich adressierte Morddrohungen erhalten. Plötzlich scheint eine bisher unbekannte Gefahr eine Schule in Oberbayern in einem bisher ebenso unbekanntem Ausmaß zu paralysieren.

Während sich die zuständigen Behörden auf die Suche nach den Tätern begeben, rätseln in Grafing das Direktorium, Lehrer und Schüler über die Gründe für die ungeheuerliche Aggression gegen ihre Bildungseinrichtung. Dass sie schnell fündig werden, überrascht sie indes nicht. Denn eine ganz normale Schule ist das Grafinger Gymnasium gewiss nicht.

Deutlich wird dies am 24. November, einem Donnerstag, als Lehrer und Schüler gleichermaßen schockiert den Eingangsbereich der Schule auf- und abgehen und immer wieder auf erschreckende Schmierereien an den Wänden blicken. "Tod den Moslems", steht dort zum Beispiel geschrieben. "Sterbt ihr Ausländer", prangt an der Wand. Flankiert werden die rechten Parolen von zahlreichen Hakenkreuzen und SS- und SA-Symbolen.

Anstatt die menschenverachtenden Phrasen und Symbole sofort zu überpinseln, entscheiden sich die Grafinger Schüler - mit Unterstützung ihres Direktors - für ein beeindruckendes, offenes Zeichen: Über 1400 Schüler ziehen mit in kürzester Zeit angefertigten, bunten Transparenten und Plakaten durch die Stadt und machen deutlich, was sie von braunen Schmierereien halten. "Nazis raus" kontern die Schüler bei ihrem Protestmarsch. "Engagieren statt beschmieren" ist auf zahlreichen Transparenten zu lesen. "Ein starkes Signal einer starken Schule", betont Direktor Harald Parigger angesichts des Spontandemo seiner Schule.

Häufiger Gast ist der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer

Der Kampf gegen Rechtsextremismus, gegen Intoleranz hat an der Grafinger Bildungseinrichtung Tradition. Seit Jahrzehnten engagieren sich Lehrer und Schüler in unzähligen Projekten für Mitmenschlichkeit - und suchen dabei nicht immer den Weg in die Öffentlichkeit. Die Schule engagiert sich etwa in dem europaweiten Projekt "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". "Vieles wirkt vielmehr nach innen", erläutert Franz Frey, ehemaliger Deutsch- und Geschichtslehrer. "Die demokratische Stilpflege aber hat Tradition."

Bomben-Alarm am Gymnasium Grafing: Ausnahmezustand: Im November demonstrierten alle Schüler, nachdem ihr Gymnasium mit Nazi-Parolen beschmiert worden war. Direktor Harald Parigger (Bildmitte) berät mit Einsatzkräften nach der Evakuierung.

Ausnahmezustand: Im November demonstrierten alle Schüler, nachdem ihr Gymnasium mit Nazi-Parolen beschmiert worden war. Direktor Harald Parigger (Bildmitte) berät mit Einsatzkräften nach der Evakuierung.

(Foto: Christian Endt)

Wohl auch, weil diese in der Vergangenheit in manchen Regionen des Landkreises gelitten hat. "Der braune Sumpf hat früher von Aßling bis Rosenheim gereicht - und ging bis in Polizeikreise hinauf", sagt Frey mit Blick auf die südliche Landkreisgemeinde, die immer wieder für Negativschlagzeilen in Bezug auf Aktivitäten rechtsextremer Jugendlicher und Aktivisten gesorgt hat. "Natürlich hat uns das dazu angehalten, für Toleranz einzustehen."

Eng verbunden ist diese Haltung mit einem Namen: Max Mannheimer. Seit 1985 ist der heute 91-Jährige regelmäßig in Grafing zu Gast, um als jüdischer Überlebender des Holocaust über die Schrecken des Nationalsozialismus und der Konzentrationslager zu berichten. Immer wieder flammen am Grafinger Gymnasium Diskussionen auf, ob die Schule künftig den Namen Mannheimers tragen solle und dürfe.

Diskussionen über den Namen treten dieser Tage in der Schule aber in den Hintergrund. Die Bedrohung durch den angekündigten - und glücklicherweise nicht erfolgten - Bombenanschlag sowie die Morddrohungen gegen den Schulleiter und drei im Schulleben aktive Schüler haben das Gymnasium in Angst versetzt. "Natürlich geht so etwas nicht spurlos an den Schülern vorbei", berichtet die ständige Vertreterin Pariggers, Nicole Storz. "Wir müssen mit dieser Angst umgehen und den Schülern Hilfe anbieten."

Ein Kriseninterventionsteam, das auf Initiative Storz' zusammen gekommen ist, kümmert sich um Schüler, die durch die Drohungen in Angst und Schrecken versetzt sind. Im Unterricht treten die Lehrer bewusst - in allen Altersstufen - mit den Schülern in einen Dialog. Die Bedrohung wird in Grafing nicht verschwiegen.

Am Tag nach der Bombendrohung herrscht an der Schule wieder - vermeintlich - der Alltag. Im Hintergrund ermittelt die Kriminalpolizei in Zusammenarbeit mit dem Staatsschutz, dessen Engagement tatsächlich auf einen rechtsextremen Hintergrund schließen lässt, den Direktor Parigger sofort nach der Evakuierung seiner Schule ins Spiel bringt. "Ich sehe natürlich einen Zusammenhang zwischen unseren Protesten nach den Schmierereien und den Drohbriefen", sagt er.

Davon dürfe sich seine Schule aber nicht beeinflussen lassen. "Ich bin wirklich stolz auf meine Schüler", betont der Direktor. Auf ihre Besonnenheit, ihr Engagement und ihren Mut.

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