Bodenfunde in Forstinning:Forschen mit der Spitzhacke

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Archäologen finden im neuen Baugebiet in Forstinning Überreste eines Brunnens und von Gebäuden wohl aus dem frühen Mittelalter - und vermuten noch weitere Denkmäler unter der Erde

Von Isabel Meixner, Forstinning

Ist die schwarze Erde freigelegt, wird die Fundstelle fotografiert, gezeichnet und vermessen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die kleinen Nuancen machen den Unterschied. Auf den ersten Blick ist auf dem Feld an der Graf-Sempt-Straße, auf dem im nächsten Jahr Einheimische ihr Häuschen bauen dürfen, Dreck mit Steinen zu sehen. Doch Ulrich Schlitzer ist es gewöhnt, genauer hinzuschauen. An einer Stelle ist die Erde schwarz, nicht braun - ein deutlicher Hinweis darauf, dass hier vor Jahrhunderten Holzpfähle gestanden haben, die inzwischen verrottet sind. Der Archäologe von der Münchner Ausgrabungsfirma Planateam geht in die Knie, fasst in die Erde und hält etwas Erdklumpiges in die Höhe: "Da haben wir schon eine Keramikscherbe."

Derartige Bodenverfärbungen finden sich einige auf dem Gelände, dessen oberste Schicht etwa 40 Zentimeter abgetragen worden ist. Sie sind Zeugen einer Zeit, in der Holzpfähle Außenwände von Geflecht und Lehm getragen haben. Welcher Zeit das genau ist? Schlitzer zieht kurz die Schultern hoch. "Wahrscheinlich frühes Mittelalter, also sechstes, siebtes Jahrhundert", sagt er dann.

Vermutlich standen hier einst Wirtschaftsgebäude

Er schlussfolgert das aus einem zwei mal drei Meter großen Rechteck, in dessen Ecken wieder schwarze Erde als Zeichen für verfallene Holzpfähle zu sehen ist. Ein Grubenhaus, in dem gewoben wurde, vermutet der Archäologe. Diese Gebäude, die typisch für das frühe Mittelalter sind, waren früher ein Stück in den Boden eingelassen, damit die Bodenfeuchtigkeit die Fäden nicht spröde werden ließ.

Bei ihren Grabungen sind die Archäologen auch auf einen Brunnen gestoßen. Aus welcher Zeit er stammt, ist fraglich. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Schlitzer glaubt, dass es sich bei der gefundenen Bebauung nicht um eine Siedlung, sondern um Wirtschaftsgebäude gehandelt hat. Auch hier argumentiert er wieder mit den Zeichen der Erde: Manche Pfostenbauten sind nur vielleicht vier, fünf Quadratmeter groß. Klar hätten die Menschen früher auf engem Raum zusammengelebt, sagt er, aber nicht so.

Beweise für diese Theorien hat Grabungsleiter Florian Rinser noch keine gefunden. Zu fünft ist das Team gerade dabei, andere Stellen auf dem Feld zu untersuchen. Den Brunnen etwa, der gleich in der Nähe der Straße entdeckt worden ist. Etwa mannshoch haben die Archäologen den Zeitzeugen schon ausgegraben, der durch eine Ansammlung von Steinen zu erkennen ist. Er soll die nächsten Tage weiter ausgegraben und schrittweise abgebaut werden. "Eigentlich ist das, was wir hier machen, eine kontrollierte wissenschaftliche Zerstörung", sagt Schlitzer und lacht. Er weiß, wie diese Aussage für Laienohren klingen mag. "Wenn wir fertig sind, ist hier nichts mehr außer Löchern und Dreckhaufen."

Erst wird dokumentiert, dann das Bodendenkmal abgetragen

Ulrich Schlitzer zeigt Bürgermeister Rupert Ostermair die Skizze eines Grubenhauses, das er auch meint, an der Graf-Sempt-Straße gefunden zu haben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Denn nicht das Bewahren steht bei archäologischen Voruntersuchungen zu Bauprojekten wie in Forstinning auf dem Plan, sondern das Sichern von Informationen über die Bodendenkmäler. Neben Grubenhaus und Brunnen sind noch drei Gebäude, mutmaßlich Lagerräume, und ein Haus entdeckt worden.

Ein paar Meter neben dem Brunnen sitzt ein Mitarbeiter in einem Loch, misst mit Lineal die Größen ab, fotografiert und zeichnet die Fundstelle, während ein anderer mit einer Spitzhacke zu Werke geht. Warum die Zerstörung? Die Archäologen hoffen, in der Erde etwas zu finden, das ihnen weitere Hinweise gibt auf Alter und Nutzung der Siedlung. Bisher sei die Befundlage dünn, sagt Ulrich Schlitzer. Webgewichte etwa, die seine Theorie des Grubenhauses beweisen würden, sind noch nicht aufgetaucht.

Mit großartigen Funden rechnen die Archäologen ohnehin nicht. Der Mineralboden hat wohl vieles schon verwittern lassen. Außerdem sind sensationelle Funde eine Seltenheit, sagt Schlitzer: Er selbst grabe seit 17 Jahren und habe erst einmal einen Goldflitter gefunden - "der war so groß wie mein kleiner Fingernagel".

"Es muss noch mehr geben"

Das Gebiet an der Graf-Sempt-Straße ist bei weitem nicht das einzige, auf dem die Archäologen in Forstinning bereits fündig geworden sind. Beim Bau des Sportparks sind Häuserreste aus dem 12. bis 8. Jahrhundert vor Christus ausgegraben worden. Doch das war weit vor der Zeit, der nun die Funde im neuen Baugebiet zugeordnet werden. Schlitzer deutet auf die nahe Hügelkette. Dort könnte die zu den Wirtschaftsgebäuden gehörige Wohnsiedlung gestanden haben. Die Häuser wurden nämlich nahe der Arbeitsstätten errichtet, und zwar bevorzugt auf Anhöhen.

Doch auch hier gilt: Beweise gibt es noch keine. Auch wo die Menschen bestattet worden sind, ist noch ein Rätsel. "Es muss noch mehr geben", ist sich Ulrich Schlitzer jedenfalls sicher. Gut möglich also, dass die nächsten Bauarbeiten in Forstinning noch weitere archäologische Funde hervorbringen.

© SZ vom 09.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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