Bei RTL 2:Prävention zur Prime Time

Bereits zum zweiten Mal besucht der ehemalige TV-Detektiv und Anti-Mobbing-Coach Carsten Stahl die Markt Schwabener Grafen-von-Sempt-Mittelschule. Der Grund: ein Dreh für sein neues TV-Format gegen Ausgrenzung

Von Viktoria Spinrad, Markt Schwaben

Als die Kameras ausgeschaltet sind und die Eingangshalle der Markt Schwabener Mittelschule wieder fast ganz leer ist, winkt Carsten Stahl einen 14-jährigen Schüler zu sich. Neben dem 115-Kilo Mann, früher TV-Detektiv, heute Anti-Mobbing-Coach, wirkt der Junge fast zerbrechlich. Und doch war der Schüler Teil des Mobbing-Teufelskreislaufs, der in der Grafen-von-Sempt-Mittelschule am Donnerstag zum Thema gemacht wurde. "Früher hat man mich ausgegrenzt", schildert er. Dann habe er den Spieß umgedreht, wurde vom Opfer zum Täter, schlug selber, beschimpfte gemeinsam mit anderen einen Mitschüler als "Fettsack", immer wieder. Jetzt, nach drei Tagen mit dem unkonventionellen Präventions-Coach aus Berlin-Neukölln schaut er betreten auf den Boden, knetet die Hände und sagt: "Jetzt muss ich auf die Schwachen aufpassen."

"Am besten lächeln!"

Zuvor durfte ein Kamerateam filmen, wie der Anti-Gewalt-Trainer mit 120 Schülern den Abschluss einer dreitägigen Anti-Mobbing-Einheit inszenierte. "Am besten lächeln!", so die Anweisung, bevor Stahl die Fünft- bis Neuntklässler mit einem dreifachen Schlachtruf ("Stop..." - "...Mobbing!) an den gemeinsamen Anti-Mobbing-Pakt erinnerte, während die Kameras TV-Sätze wie "Ihr könnt ein Zeichen setzen - hier in München!" einfingen. Anschließend bildeten die Schüler eine Menschenkette um das Atrium. Als symbolisches Band der Gemeinschaft hielten sie eine blaue Schnur, die Stahl und Schulleiter Rainer Elfinger als Zeichen für ihren Pakt verknoteten. Daran befestigt: Zettel mit den Wünschen der Schüler, an denen sich neben vielen Appellen wie "Mobbing muss aufhören" auch ganz normale Schülerwünsche finden wie "Ich will Ferien" oder "einen neuen Klassenlehrer".

Carsten Stahl - Stoppt Mobbing Mittelschule Markt Schwaben

Ein Kamerateam durfte filmen, wie der Anti-Gewalt-Trainer mit 120 Schülern den Abschluss einer dreitägigen Anti-Mobbing-Einheit inszenierte.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Zettel sind nicht die erste Anti-Mobbing-Bekundung der Schüler unter Anleitung von "Camp Stahl", so heißt die Initiative des Fernsehdarstellers. Bereits im vergangenen Sommer hatte Carsten Stahl, der die Initiative gegründet hatte, nachdem sein Sohn Opfer einer Mobbingkampagne geworden war, in Markt Schwaben Halt gemacht. In seiner physisch und akustisch raumfüllenden Art hatte er mit Hilfe von Erzählungen und Rollenspielen in der Turnhalle eindringlich vor den Gefahren von Mobbing gewarnt.

Carsten Stahl - Stoppt Mobbing Mittelschule Markt Schwaben

Die Kameras sind immer dabei, wenn Carsten Stahl den jungen Leuten wichtige Ratschläge mit auf den Weg gibt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Initiatorin dieses ersten Besuchs des ehemaligen RTL-2-Darstellers war die Sozialpädagogin der Schule gewesen: Durch Zufall hatte sie von dem Anti-Mobbing-Projekt des eindrucksvollen Muskelmanns mit Berliner Schnauze erfahren und ihn eingeladen.

Diesmal war Stahl selbst auf die Schule zugekommen, und er hat an diesem Donnerstagmorgen seine Kameras mitgebracht: Die Schüler werden in Stahls neuem TV-Format zur Gewaltprävention an Schulen zu sehen sein. Was genau die Markt Schwabener Schüler in den Workshops erlebt haben, ließ sich allerdings niemandem entlocken. Sie stehen allesamt unter Schweigepflicht. Fest steht aber, dass sie emotionale Tage hinter sich haben. Vom 9. April an läuft die TV-Reihe zur Prime Time montags auf RTL 2.

"Wenn ich etwas falsch darstelle, würde ich mich selber vernichten"

Das Tabuthema Mobbing auf großer Fernsehbühne: Die Teilnahme an der TV-Reihe ist ein Schritt in die Öffentlichkeit, mit dem Schulrektor Rainer Elfinger zunächst gehadert hatte. "Ich hatte Sorge, wie alles dargestellt wird", sagte Elfinger, dazu befragt - zumal Mobbing an seiner Schule kein größeres Thema als an anderen Schulen sei. "Aber ich will lieber offensiv verteidigen", erklärte er im Sportlerjargon, "auch wir dürfen uns dem Thema nicht verschließen." Eine Mentalität, die Stahl gut findet, schließlich hätten die Verantwortlichen an vielen anderen Schulen Angst um ihren guten Ruf, sobald sie das Thema Mobbing an die große Glocke hängen.

Carsten Stahl - Stoppt Mobbing Mittelschule Markt Schwaben

An einem blauen Band hängen Zettel mit den Wünschen der Schülerinnen und Schüler, auch künftig wird es im Foyer der Schule zu sehen sein.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Damit die Auseinandersetzung der Markt Schwabener Schüler mit systematischen Beleidigungen, Schubsen und Cybermobbing im Fernsehen nicht vereinfacht oder reißerisch rüberkommen, agiert Stahl nicht nur als Anti-Gewalt-Trainer, sondern kümmert sich auch als Exekutivproducer um das neue Format. "Wenn ich etwas falsch darstelle, würde ich mich selber vernichten", erklärt der Berliner, dem sie in Markt Schwaben ihr Vertrauen geschenkt haben.

Nun kann man es inszeniert finden, wenn die Schüler für die Kameras lächeln sollen oder der Coach die Schüler mit Sätzen wie "Wir haben Geschichte geschrieben" einschwört. Eines aber steht fest: Bei den jungen Leuten kommt Stahl gut an. So sehr, dass die Schule letztlich losen musste, welche Schüler mitmachen durften. Was hat dieser tätowierte Neuköllner an sich, das auch Teenager zum Nachdenken über ihr Verhalten gegenüber den Mitschülern bringt? "Er ist direkt", sagt die 13-jährige Ellen. Mit seiner Art berühre er selbst diejenigen Schüler, "die sonst nie weinen". Auch der 14-Jährige, der selber einen jüngeren Schüler gemobbt hat und nun Besserung gelobt, sagt: "Er redet wie wir." Stahl selbst sieht die professionelle Distanz, zu der Lehrer und Sozialpädagogen berufsbedingt verpflichtet sind, als das größte Hemmnis im Kampf gegen Mobbing, schließlich gehe es darum, die Schüler über die emotionale Schiene zu erreichen.

Eine Extradosis Coaching

Bleibt die Frage: Können Anti-Mobbing-Workshops wie das Camp Stahl das soziale Miteinander im Schulalltag bleibend verändern - oder werden sich die Credos zu mehr Miteinander wieder verflüchtigen? "Ich glaube, es wird zumindest nie mehr so sein, wie es jetzt manchmal war", sagt Ellen. So sei der ein oder andere auch mal wegen seiner Hautfarbe beleidigt worden. Und Tom will schon Veränderungen im Umgang bemerkt haben. "Viele versuchen, sich zu ändern", erzählt der 14-Jährige. Dass es nach dem Camp Stahl nun keinerlei Mobbing mehr an der Schule geben wird, glaubt auch Rektor Elfinger nicht. "Wir müssen Mobbing so weit reduzieren, wie wir können." Aber: "Stahl wird hier nachhaltig Spuren hinterlassen. Was er sagt, geht vom Herz ins Hirn."

Eine Extradosis Coaching gibt es in der kommenden Woche für 20 ausgewählte Schüler: Sie werden für weitere Anti-Mobbing-Einheiten für vier Tage ins Camp Stahl nach Berlin fahren. "Das wird unter die Haut gehen", verspricht der Trainer. Was auch danach definitiv bleiben wird, sind die auf Zettel geschriebenen Wünsche der Schüler. Zusammen mit dem "Camp Stahl"-Banner, das die Schülerinnen und Schüler bereits im Sommer unterschrieben hatten, hängt im Foyer der Schule nun das blaue Band mit den Zetteln: eine Mahnung - und zugleich wohl auch ein Versprechen.

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