Beherbergungsprojekt:Heimat auf Zeit

Helmut F. und Elke R. haben jahrelang auf der Straße gelebt. Ein Beherbergungsprojekt der Diakonie in der Ebersberger Eberhardstraße gibt Menschen wie ihnen wieder Hoffnung

Von Barbara Mooser, Ebersberg

Vor der Tür von Helmut F. und Elke R., die in Wirklichkeit anders heißen, liegt eine ordentliche Fußmatte. Ein spielender Hund ist darauf zu sehen und ein freundliches "Welcome". Wer eintreten darf, kommt in eine gemütliche Stube. Es ist bullerwarm, auf dem Tisch liegt eine karierte Decke, bunte Flickenteppiche bedecken den Boden, in der Ecke haben die beiden Bewohner ein kleines Kästchen mit Teddybären liebevoll dekoriert. Besonders stolz ist Helmut F. aber auf die ausgestopften Tiere an der Wand: kleine Singvögel, ein Falke, auch zwei Eichhörnchen sind dabei. "150 Euro kostet so was, wenn man es kauft", sagt Elke R. stolz. Die beiden haben ihre Schätze aber bei einer Haushaltsauflösung ergattert, wie auch vieles andere, was ihre zwei Zimmer ein bisschen wohnlicher macht. Noch vor wenigen Monaten hatten die beiden keine Fußmatte, keine Möbel, schon gar keine Dekoration. Nicht einmal eine Tür, die sie hinter sich zumachen konnten.

Ihr Wohnzimmer waren Ebersbergs Plätze, ihre Schlafsäcke haben sie mal im Durchgang der Hypovereinsbank ausgerollt, mal in der Krankenhaustiefgarage, im Einkaufszentrum, in einem Abbruchhaus oder im Bushäuschen an der Ortsausfahrt. "Das ist jetzt abgerissen", sagt Elke R. Wenn es allzu nass war und alle Sachen durchweicht waren, suchten die beiden Unterschlupf in der Obdachlosenunterkunft in der Baldestraße. Nicht immer war ein Bett frei, dann campierten sie im Abfallraum. "Da ist als Zusatzbewohner ein Igel drin", erinnert sich Helmut F. Zwar sind beide sehr tierfreundlich, aber da war für sie eine Grenze erreicht: "Der war voller Läuse, das war kein Spaß."

Obdachlosenunterkunft Ebersberg Eberhardstrasse

Die Herberge in der Eberhardstraße, eine Zwischenstation für Obdachlose auf dem Weg zurück zu einer eigenen Wohnung. Doch viele bleiben länger.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Jetzt lässt Elke R. Besucher auch gern einen Blick ihr Schlafzimmer werfen, Doppelbett, Schrank, zwei große Fenster. Kuschelige Huskys aus Plüsch sitzen zwischen den Kissen. Bei der Frage, was ihr an ihrer neuen Unterkunft am besten gefällt, muss die 41-Jährige nicht lang überlegen: "Dass es hier warm ist und wir in einem Bett schlafen können!" Nach vielen Jahren auf der Straße haben die beiden zum ersten Mal wieder so etwas wie eine Heimat gefunden: im Wohnprojekt der Diakonie in der Ebersberger Eberhardstraße, das vor einem halben Jahr eröffnet wurde.

Insgesamt 15 Menschen leben hier momentan; um das Projekt zu finanzieren, haben sich die Gemeinden aus dem Landkreis zusammengetan. Denn wenn jemand auf der Straße steht, müssen sie für ein Dach über dem Kopf sorgen. Manchmal ist dann nicht viel mehr drin als ein Bett in einem Containerbau, manchmal mietet man für die Menschen in ihren Notlagen ein Zimmer in einer einfachen Pension an. Nur selten gelingt es, eine Sozialwohnung zu organisieren.

Obdachlosenunterkunft Ebersberg Eberhardstrasse

Helmut F. und Elke R. haben ihre Stube in dem rosa Haus mit Schätzen aus einer Haushaltsauflösung eingerichtet.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das ist auch das Problem bei der Herberge in der Eberhardstraße, wie Thomas Wicker erzählt. Der Sozialpädagoge kümmert sich um die Bewohner in dem rosafarbenen Haus, verteilt täglich die Post, hilft bei Behördengängen und vermittelt bei Problemen zwischen den Bewohnern. Eigentlich sollte für diese die Eberhardstraße nur eine Zwischenstation sein, für drei, vier oder auch mal sechs Monate, das Ziel wäre, dass die Menschen die Atempause hier nutzen, um sich eine richtige Wohnung zu besorgen. Doch woher nehmen? "Bezahlbarer Wohnraum ist äußerst rar bis nicht vorhanden", sagt Wicker. Seit im Sommer die Unterkunft eröffnet hat, zogen zwei Bewohner von dort aus ins Pflegeheim, zwei weitere ergatterten Sozialwohnungen. "Aber im Moment ist nicht absehbar, dass jemand auszieht", erzählt er.

Neben elf Männern wohnen jetzt in der Unterkunft auch drei Frauen, eine von ihnen ist alleinerziehend und teilt sich ihr Zimmer mit der 13-jährigen Tochter. Fünf der Bewohner sind Geflüchtete, vier von ihnen haben einen Aufenthaltstitel und könnten sich eine eigene Wohnung suchen - theoretisch. Manchmal geht Wicker mit einem der Bewohner zu einer Sammel-Wohnungsbesichtigung, das bringt zwar meist nicht viel, ist aber eine "realitätsbildende Maßnahme", wie es der 31-Jährige beschreibt: Es zeigt in aller Deutlichkeit, wie hoffnungslos die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist. Schon für diejenigen, die einen Job und ein regelmäßiges Einkommen und keine Lücken in der Biografie haben. Und ganz besonders für manche jener Menschen, die in der Herberge an der Ebersberger Einfallstraße gelandet sind.

Obdachlosenunterkunft Ebersberg Eberhardstrasse

Manche Bewohner des Beherbergungsprojekts teilen sich mit anderen ein Wohnzimmer.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wenn man ihn nach seinem Leben fragt, danach, was er gelernt und wo er gearbeitet hat, blickt Helmut F. auf den Boden. Aus der Nähe von Ingolstadt stammt der 62-Jährige eigentlich, dort hat er auch Spengler und Installateur gelernt - "Gas, Wasser, Scheiße", sagt er. "Das sagt man nicht", rüffelt ihn seine Partnerin. Als der Chef starb, verließ er das Unternehmen, war danach auf Baustellen, im Hochbau und im Tiefbau tätig. Dann nahm sein Leben noch einmal eine unerwartete Wendung: Er ging zum Zirkus. "Da habe ich meine Frau kennengelernt. Wir waren zwei Jahre verheiratet, dann ist sie gestorben. Seitdem lebe ich auf der Straße." Weiter mag F. gar nichts mehr sagen.

Für seine Freundin lief schon in der Kindheit vieles aus dem Ruder; von Pflegefamilien und Schlägen erzählt sie. "Ich bin immer weggelaufen, immer war jemand hinter mir her, das Jugendamt, die Polizei...", sagt sie. Zur Schule ging sie fast nie; zwei Schuljahre kämen maximal insgesamt zusammen, schätzt sie. Lesen, Schreiben, Rechnen, das könne sie aber, sagt sie.

Jetzt sind die beiden erst einmal froh, dass ihr Leben auch einmal eine gute Wendung genommen hat. Elke R. kümmert sich um das, was täglich so anfällt, geht einkaufen, hält die Wohnung ordentlich. Ihr Lebensgefährte könne nicht mehr so viel machen, erzählt sie. Gesundheitlich ist Helmut F. arg gebeutelt. Eine Leberzirrhose hat er hinter sich, auch das Herz arbeitet nicht so, wie es soll, sagt Elke R.: "Und mit dem Magen hat er es jetzt auch, sagt der Arzt." Immerhin hat er sich jetzt mal die Augen operieren lassen und sieht wieder wie ein Adler. Kein Wunder, sagt Elke R., dass er sie beim Dartspielen jetzt abhängt. Sie lächelt ihn liebevoll an. Eigentlich läuft ihr Vertrag für die kleine Wohnung am 31. Januar aus, wahrscheinlich können sie noch länger bleiben können. Und wenn nicht? Elke R. überlegt kurz: "Schaun wir mal."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: