Ausstellung:Metamorphosen

Malerei, Objekte und Fotografien von 30 Künstlern zeigt der Verein "Sonntagsidee" unter dem Titel "Prozesse" nun im Ebersberger Grundbuchamt

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Wenn eine ehemalige Amtsgerichtsdirektorin in den Räumen selbigen Amts durch eine Ausstellung führt, die den Titel "Prozesse" trägt, könnte man leicht auf den Gedanken kommen, hier würde Juristerei künstlerisch aufbereitet. Eigentlich eine reizvolle Idee. "Dieses Thema entstand tatsächlich in Anlehnung an meine frühere Tätigkeit", sagt Angela Felzmann-Gaibinger, "aber es ist ja auch in künstlerischer Hinsicht interessant." Prozesse finde man überall: in der Natur, in der Technik, in sozialen Systemen, heißt es in der Einladung zu einer vom Verein Sonntagsidee veranstalteten Ausstellung, die am Sonntag, 9. Oktober, im Grundbuchamt eröffnet wird.

Ebenso facetten- und beziehungsreich wie der Begriff sind auch die jurierten Werke von 30 Künstlern aus dem Landkreis und darüber hinaus. Im Obergeschoss des Grundbuchamtes sind Malerei, Bildhauerei und Fotografie großzügig und thematisch stimmig verteilt. "Es ist dieses Mal weniger Malerei dabei", sagt Felzmann-Gaibinger, "dafür ist viel am Boden."

Den Boden des Raums bespielt beispielsweise Kunstvereinsvorsitzender Andreas Mitterer, der sich wie gewohnt eines Gegenstands aus einer kunstfernen Sphäre bedient: Er hat aus einem alten Autoreifen gleichmäßig große Löcher gestanzt und jede Menge teerschwarzer Scheibchen auf dem Boden verteilt. Im porösen Reifenschlauch brennt nun eine LED-Leuchte und macht aus dem ollen Gummiteil ein geheimnisvoll-romantisches Objekt. Ein schöner und stimmiger Beitrag zum Thema. Hier hat eine Metamorphose stattgefunden, eine Verwandlung hin zu einer Umdeutung von Form, Material und Inhalt.

Ausstellung: So unterschiedlich Prozesse sein können, so facettenreich ist die neue Ausstellung im Ebersberger Grundbuchamt.

So unterschiedlich Prozesse sein können, so facettenreich ist die neue Ausstellung im Ebersberger Grundbuchamt.

(Foto: Christian Endt)

Eine weitere Boden-Installation ist die aus zahlreichen beschriebenen Blättern bestehende Arbeit "Seinen Namen finden" von Utta Kasparek. Einen Namen zu haben, bedeutet Identität, Zugehörigkeit. Wer mit Namen angesprochen wird, fühlt sich anerkannt. Namen können aber auch verstören, etwa die von ermordeten Juden, die Namen der NSU-Mordopfer, der ertrunkenen Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia, die keiner kennt. Namen zu lesen, unter denen sich vielleicht auch der eigene befindet, heißt, eine geistige und emotionale Verbindung zum Schicksal anderer zu knüpfen, sich zu fragen, zu wem die Namen Mohamed, Solomon oder Agostinho gehörten, sich ein Bild zu machen, dem Klang nachzuspüren.

Eine dritte Installation, die Arbeit "Erbstücke" von Hannelore Sahm erinnert an das Prozesshafte der Eitelkeit: Sie hat mehrere alte Fellmützen auf dem Boden ausgebreitet. Wer in die Kopfbedeckung hineinschaut, blickt in einen Spiegel, der überraschenderweise aber nicht das eigene Antlitz, sondern ein auf Folie gebanntes Gesicht zeigt; eine Erinnerung an die Mützenträger? Kleiner Dämpfer für diejenigen, die allzu oft in den Spiegel schauen?

Ausstellung: Die in Form eines großen Buchs gegossene Stahlskulptur "Evolution" von Ute Lechner und Hans Thurner.

Die in Form eines großen Buchs gegossene Stahlskulptur "Evolution" von Ute Lechner und Hans Thurner.

(Foto: Christian Endt)

Einen politischen Prozess hat auf spielerische Weise Petra Kilian mit ihrem Wandobjekt "United" thematisiert. Sie hat die Fahnen europäischer Nationen auseinandergeschnitten, die Streifen verknotet und zu Zöpfen geflochten. Ein bunter Wandteppich ist so entstanden, Symbol eines Prozesses europäischer Verbundenheit, sollte dieser denn eines Tages gelingen.

Das Bild "Mein Holocaust" wollte die Malerin und Tierärztin Daniela Appel-Wieland ursprünglich gar nicht ausstellen, berichtet Felzmann-Gaibinger, "es ist auch absolut unverkäuflich". Ihre farbige Collage aus Papier und Acryl auf Leinwand erzählt dicht gedrängt viele Geschichten. Da schimmern Fetzen eines in altertümlicher Handschrift eng beschriebenen Briefes durch die Farbe hindurch, Buchstaben von Namen wie Rosa Luxemburg und Albert Einstein schwimmen wie bunte Blätter auf der Malerei, irgendwo taucht als unheilvolles Omen der Davidsstern auf, im Dunkel eines tiefen Brauns entdeckt man ein vom Schrecken verzerrtes Gesicht, im linken Bildteil scheinen Flammen emporzuzüngeln. Das Bild atmet tiefe Hoffnungslosigkeit, den grausamen Prozess der Zerstörung des Lebens.

Hoffnungslosigkeit ist auch die Botschaft der fünfteiligen Arbeit "Paradise lost" von Stefan Heide (Öl und Pigment) aus Pullenhofen. Nicht Gewalt und Tod werden hier beschworen, aber "Verletzbarkeit, Verlorenheit und Unsicherheit des Menschen, seine Sehnsucht, die Trennung von sich und der Welt, dem anderen, aufzuheben", schreibt Heide zu dieser Arbeit.

Neben skizzenhaften Motiven wie Susanne Clevers "Umschichtung I und III", zwei verworfenen, neu bearbeiteten und äußerst reizvollen Werken aus Tusche, Klebestreifen und Papier, ragen aus der Ausstellung Maja Otts Hinterglasbilder heraus. Dieses Mal verdichtete sie ihre organisch-amorphen, an fantastische Mikroorganismen erinnernden Formen zum elementarsten Prozess der Welt: der Geburt.

Ausstellung: Den Prozess der Alterns beschreibt Alessandra Motta-Rees in ihrer Acryl- und Kohlezeichnung "Ieri, Oggi, Domani" (Gestern, Heute, Morgen).

Den Prozess der Alterns beschreibt Alessandra Motta-Rees in ihrer Acryl- und Kohlezeichnung "Ieri, Oggi, Domani" (Gestern, Heute, Morgen).

(Foto: Christian Endt)

Vom Lauf der Zeit und vom Altern handeln Peter Dubinas "Auszug der Jungfrauen", eine Collage aus ausgedienten Skizzen, davon handeln Barbara Dellers drei Fotoarbeiten welkender Blätter, von denen teilweise nur noch das Blattgerippe erkennbar ist. Den Prozess der Alterns beschreibt eindrucksvoll auch Alessandra Motta-Rees in ihrer Acryl- und Kohlezeichnung "Ieri, Oggi, Domani" (Gestern, Heute, Morgen). Hier verkörpern drei Frauengestalten Kindheit, Jugend und Alter.

Konkretester Ausdruck jenes Prozesses, der Leben heißt, ist die in Form eines großen Buchs gegossene Stahlskulptur "Evolution" von Ute Lechner und Hans Thurner mit dem bekannten Motiv der Entwicklung vom Urmenschen zum "homo sapiens". Die nur angedeuteten Seiten kann man allerdings nicht umblättern. Wie es also weiter geht mit dem Prozess der Menschwerdung, bleibt ungewiss.

Eröffnung der Ausstellung "Prozesse" ist am Sonntag, 9. Oktober, 11 Uhr, mit Verleihung der drei Preise statt. Die Juroren waren Elisabeth Merl, Severin Zebhauser, Hubert Maier und Christian Endt. Bis Sonntag, 30. Oktober, ist die Ausstellung jeweils sonntags in der Zeit von 11 bis 17 Uhr geöffnet.

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