Ausstellung:Malerisches Gleichgewicht

Das Wirtshaus Taglaching zeigt die außergewöhnliche Sammlung eines Stammgasts: kunstvolle japanische Holzschnittbilder, genannt Ukiyo-e

Von Alexandra Leuthner

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Die Kunst der Ukiyo-e hat ihre Ursprünge im Japan des 17. bis 19. Jahrhunderts

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Landluft ist betörend und dringt durch jede Ritze. Ein, zwei Fliegen haben sich in den Gastraum des Wirtshauses Taglaching verirrt und surren den Gästen, die an den Holztischen sitzen, vor der Nase herum. Es ist wenig los an diesem Nachmittag in der rustikalen Stube. Eine Gewitterfront hat den Ort gerade noch so verschont, die Luft ist mild, und Wirtin Maria hat gesagt: "Wenn'st no was brauchst, i bin draußen im Garten." Dort sitzt sie jetzt und schält Obst, während der angesprochene Gast einen großen, flachen Gegenstand auf den Tisch hievt, der sorgsam in ein Laken eingewickelt ist.

Ein dreiteiliges Bild ist es, das zum Vorschein kommt, als Akira Katayama den Stoff zurück schlägt, ein Ukiyo-e, ein japanischer Farbholzschnitt. Zusammengesetzt aus feinsten Linien und Schraffuren, in zartem Blau und Beige, Grau und Schwarz gehalten, zeigt es eine idealisierte Szene unter Kirschblüten. Eine edel gekleidete Dame mit einem Fächer sitzt umgeben von weiteren Frauen, die Gesichter holzschnittartig stilisiert, auf einer Art Floß an einem Fluss. Auch im Hintergrund Grüppchen von Damen, pagodenartige Gebäude, eine märchenhaft schöne gepflegte Landschaft. Aus dem Jahr 1860 stamme das Bild, erklärt Katayama mit einer gewissen Ehrfurcht, bevor er die Kostbarkeit wieder verstaut. Für die sehr öffentlichen Wände des Taglachinger Wirtshauses ist sie vielleicht zu wertvoll, auf jeden Fall aber zu groß, wie er erklärt. Die zwölf weiteren Ukiyo-e, die er für eine Dauerausstellung zur Verfügung gestellt hat und die einen ganz eigenartigen Kontrast zur rustikalen Gasthauseinrichtung bilden, haben allesamt kleinere Formate.

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Pure Künstlichkeit: Die in den Ukiyo-e abgebildete Natur scheint gebändigt und gestaltet.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Katayama ist Stammgast hier, seit er mit seiner Frau nach Moosach gezogen ist. Er hat fast ebenso viele Jahre in Bayern gelebt wie in seinem Heimatland Japan, hat Anfang der 1960er Jahre in Tübingen studiert, später dann bei der Hamburger Niederlassung einer japanischen Handelsfirma gearbeitet und sich vor 30 Jahren in Pforzheim selbständig gemacht. Über Ismaning kam er dann 2014 nach Moosach. Und jetzt hat er beschlossen, nach all den Jahren auf der anderen Seite der Welt, ein Stückchen seines Mutterlands ins Herz Bayerns zu bringen.

Die Kunst der Ukiyo-e hat ihre Ursprünge im Japan des 17. bis 19. Jahrhunderts, wirklich international bekannt und begehrt aber wurden die Holzschnitte erst durch die Europäer: Die Weltausstellung in Paris 1867 machte die japanische Kunstform populär, weil die europäischen Kunstliebhaber - und Künstler wie Van Gogh, Manet oder Cezanne - sich nicht an der vermeintlich niederen Herkunft der Exponate störten. Der Einfluss der Ukiyo-e findet sich deshalb als Spiegelung in so manchem europäischem Werk wieder.

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Frisuren und Kleider der "liebreizenden Damen".

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit dem Holzdruck, von Künstlern aus der unteren Schicht der japanischen Gesellschaft verwendet, wurde Kunst erstmals auch den Angehörigen dieser Schicht zugänglich, erklärt Katayama. Sie war relativ billig und konnte über die Verwendung von Druckplatten ohne großen Aufwand produziert werden. "Für die Menschen damals war das etwas ganz Neues, es hat für sie einen Aufbruch bedeutet" schwärmt der Japaner, der seit Jahrzehnten Ukiyo-e sammelt und viele der Stücke, die er jetzt in Taglaching ausstellt, von seinem Vater geerbt hat. Sie seien alle in den 1960er Jahren reproduziert, erzählt er, gehen aber auf alte Motive zurück - was heißt, dass sogar die Stempel der Zensurbehörde auf ihnen zu sehen sind. Denn die Regeln für die Künstler waren streng.

Vom Schlaraffenland erzählen durften sie zwar in ihren Bildern - im Japan des ausgehenden 17. Jahrhunderts bedeuteten die Wörter Ukiyo-e so viel wie "Lebe und genieße jetzt" - aber wehe sie gingen ins naturalistische Detail. Pornografie und allzu sinnliche Darstellungen waren streng verboten. An "liebreizenden Damen" aber sparten die Künstler wie Katsushika Hokusai oder Utagawa Toyokuni dennoch nicht, wenn sie auch der detailgenauen Darstellung der teuren Stoffe, den eleganten Faltenwürfen oder kunstvollen Hochsteckfrisuren der Damen ihr Hauptaugenmerk schenkten. "Jeder Künstler hatte einen eigenen Stempel", den man auch auf den Bildern sehen könne, direkt neben dem der Zensur, erklärt Katayama. Stempeln durfte übrigens nur der Maler der Vorlage. Deren Schnitzer und Drucker, beide waren für jedes Bild vonnöten, galten lediglich als zuarbeitende Handwerker.

Wirthaus Taglaching - japanische Ausstellung

Akira Katayama ist Stammgast im Wirtshaus Taglaching, seit er mit seiner Frau nach Moosach gezogen ist.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Theaterstücke und schöne Landschaften waren andere Hauptmotive der Ukiyo-e, was eine weitere Übersetzung des Begriffs erklärt. Die "Bilder der fließenden Welt" erzählten von allem, was der arme Mann gerne sehen und von dem er Jahrhunderte lang nur träumen konnte. Künstler wie Hokusai, von dem auch in Taglaching Bilder hängen, sind mit ihren Werken berühmt geworden. So hat Hokusai "Die große Welle vor Kanagawa" geschaffen. Originalabzüge des Holzschnitts werden in verschiedenen großen Museen in den USA und Europa gezeigt. Wie auch "Die große Welle" leben die Landschaftsbilder des Ukiyo-e von der Feinheit der durch den Holzdruck geschaffenen Strukturen und Oberflächen, aber auch dem ausbalancierten Spiel mit der Perspektive.

Nichts wird hier dem Zufall überlassen, es ist wie der Blick in einen japanischen Ziergarten. Jede Welle, jeder Grashalm sitzt an seinem Platz, als sei dieser unveränderlich und seit Jahrhunderten vorbestimmt. Als gleite er hinein in ein angenehmes, unabänderliches und ewiges Gleichgewicht, mag sich der Besucher im Wirtshaus Taglaching fühlen, wenn er lange genug vor einem Ukiyo-e gestanden hat. Vielleicht wird er mit einem ganz neuen Blick auf die malerischen Hügel rund um den Gasthof schauen, sicher aber wird er ihn mit der Erkenntnis verlassen, dass japanische Kunst und bayerisches Lebensgefühl gar nicht so schlecht zusammen passen.

Die Bilder sind - sagt die Wirtin Maria Michel - mindestens bis Mitte September im Wirtshaus Taglaching, Oberdorf 2, in Bruck-Taglaching zu sehen.

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