Ausgebucht:Warten, bis der Arzt kommt

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Die Terminkalender der Fachpraxen im Landkreis sind voll, Patienten müssen sich oft monatelang gedulden. Trotzdem gilt Ebersberg als überversorgt

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

"Die Zeit ist der beste Arzt", sagt ein altes deutsches Sprichwort, auf dessen Bewahrheitung zu hoffen bleibt. Denn Zeit ist etwas, das vielen Fachärzten im Landkreis Ebersberg fehlt. Die Terminkalender sind voll, viele Praxen haben sogar bis auf Weiteres Aufnahmestopp. Wer beispielsweise als Neupatientin einen Termin beim Frauenarzt bekommen möchte, muss sich einen Termin "erwarten": Vier bis fünf Monate später erst gibt es die nächste Möglichkeit, den Arzt des Vertrauens zu konsultieren. In dringenden Fällen wird auf das Krankenhaus oder die Stadt München verwiesen, wo es deutlich entspannter zugeht in Sachen Terminvergabe. Noch extremer sei es bei anderen Fachrichtungen, sagt der Ebersberger Neurologe Werner Klein, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes. Auch er selbst müsse etwa Patienten warten lassen, "neue Termine kann ich erst wieder im Juni vergeben".

Das Paradoxe an der Situation: Offiziell ist der Landkreis in vielen Fachrichtungen überversorgt. Bei Frauenärzten beispielsweise liegt die Versorgung in der Region bei 112 Prozent, bei den Neurologen bei 176 Prozent und bei der Psychotherapie sogar bei 190 Prozent. "Aber versuchen Sie mal, einen Termin bei einem Psychotherapeuten zu bekommen", sagt Klein.

Grund für die deutliche Diskrepanz zwischen Realität und errechneter Wirklichkeit ist die bundesweite Bedarfsplanung für die ambulante medizinische Versorgung. Diese wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossen, also dem obersten Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Das Verhältnis, wie viele Ärzte bei wie vielen Einwohnern nötig sind, wurde in den 1990ern festgelegt und ist damit hoffnungslos veraltet. "Die letzte Reform der Bedarfsplanung gab es 2012", sagt Birgit Grain von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), "aber diese hat nur marginale Änderungen mit sich gebracht." Die alten Zahlen verhindern es auch bisher, das Problem etwa durch die Eröffnung neuer Praxen zu lösen: "Ab 110 Prozent statistischer Überversorgung darf sich kein neuer Arzt in der Region niederlassen", erklärt Birgit Grain.

Was hat sich so verändert, dass die Menschen immer mehr Ärzte brauchen? Der Druck auf niedergelassene Ärzte nehme ständig zu, heißt es in einem Papier der KVB: "Unter anderem durch die Auswirkungen der demografischen Entwicklung und das Plus an medizinischen Möglichkeiten steigen die Patientenzahlen und auch der Behandlungsaufwand wird größer." Gleichzeitig seien die Wartezeiten in Bayern im Vergleich zu anderen Gesundheitssystemen eher kurz als lang.

Dass die Planung jedoch längst nicht mehr den wirklichen Bedarf deckt, hat inzwischen auch die Politik erkannt. Im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, das im Juli 2015 in Kraft getreten ist, wurde dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Aufgabe erteilt, die Bedarfsplanung umfassend zu überarbeiten. Bei der Anpassung der Zahlen soll auch die Sozial- und Morbiditätsstruktur der Bevölkerung auf Bundesebene berücksichtigt werden. "In diesem Jahr sollen voraussichtlich neue Zahlen vom Gemeinsamen Bundesausschuss präsentiert werden, um den Versorgungsbedarf realitätsnäher zu darzustellen", gibt sich Birgit Grain von der KVB zuversichtlich.

Um den wartenden Patienten jetzt schon schnelle Hilfe zu leisten, wurde vor zwei Jahren in Bayern von der KVB eine Terminservicestelle eingerichtet. Hier kann anrufen, wer innerhalb von vier Wochen einen Termin bei einem Facharzt braucht. Voraussetzung ist eine ärztliche Überweisung; nur bei Frauen- und Augenärzten ist diese nicht notwendig. Die Servicestelle vermittelt "so wohnortnah wie möglich", so die KVB. Die Anfahrt zu Ärzten, die zur allgemeinen fachärztlichen Versorgung zählen wie Chirurgen, Hautärzte, Orthopäden, Frauen- oder Augenärzte, soll nicht länger als 30 Minuten dauern. Für Arztgruppen der spezialisierten Facharzt-Versorgung wie Kinder- und Jugendpsychiater, Anästhesisten oder Radiologen werden maximal 60 Minuten hinzugerechnet.

Im Jahr 2017 wurden über die Terminservicestelle von Januar bis November 1755 Termine bei Fachärzten vermittelt. Vor allem Termine bei Neurologen wurden dabei bayernweit angefragt, außerdem Psychotherapeuten und Psychiater. So schlimm, findet die KVB, kann es also gar nicht sein - "im Vergleich zu den 80 Millionen Behandlungsfällen, die jährlich in Bayern durchgeführt werden". Viele Patienten, die nicht sofort einen Termin bekommen, nehmen jedoch wahrscheinlich die Sache selbst in die Hand und telefonieren die Fachärzte in der Nähe ab - oder sie warten.

© SZ vom 23.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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