Aufführung im Meta Theater Moosach:Der Schrei des Kindes ist wie Musik

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Mit einer Parabel über Machtmissbrauch übt Bulat Atabayev Kritik an der autoritären Politik Kasachstans.

Rita Baedeker

MoosachWäre die Angst nicht, könnte kein Diktator seine Willkür ausleben. Wäre die Angst nicht, würden Millionen aufstehen gegen Unterdrückung und Gewalt. Wäre die Angst nicht, ließen sich Menschen niemals auf derart aberwitzige Art manipulieren wie in dem Theaterstück "Die Lawine" beschrieben. In diesem Stück des türkischen Autors Tuncer Cücenoglu wird eine Farce erzählt, die sich in einem Bergdorf zugetragen haben soll: Neun Monate im Jahr müssen sich die Bewohner tot stellen. Lachen, Singen, Lieben und Gebären - all das ist verboten, angeblich weil schon das kleinste Geräusch eine Lawine auslösen könnte. Und doch wird ein Kind zur "Unzeit" geboren, sein Gebrüll zerreißt das Schweigen, und es geschieht - nichts. Es gab keine Lawine, es gab nur die Angst in den Köpfen, überall ist sie das Bindemittel im Zement der Macht.

Die 100 Jahre alte Geschichte von der Lawine dient jetzt als Parabel auf die nach außen zwar demokratische, in Wahrheit aber autoritäre Familienhierarchie in Kasachstan, dem Land zwischen dem Kaspischen Meer im Westen und dem Altai-Gebirge im Osten. "Die Lawine ist im Kopf, die Leute glauben daran, keiner stellt kritische Fragen", sagt der kasachische Regisseur Bulat Atabayev. Er sitzt im "Blauen Haus" der Kammerspiele in München und hofft, für die König Lear-Inszenierung von Johan Simons Karten für sich und sein Ensemble zu bekommen. Atabayev hat für deutschsprachiges Theater eine Menge übrig, er ist Mitbegründer des "Deutschen Theaters" in Almaty, der alten Hauptstadt Kasachstans. Etwa 170 000 deutschstämmige Bürger leben derzeit noch in dem zentralasiatischen Staat. Ihre Vorfahren waren nach Auflösung der Wolgadeutschen Republik 1941 durch Stalin zwangsumgesiedelt worden. Ihnen war es jedoch verboten worden, ihre Muttersprache öffentlich zu sprechen. Die meisten wanderten in den Achtzigern nach Deutschland aus.

"In den Schulen bei uns gibt es keinen Deutschunterricht mehr, nur im Theater werden ab und zu Stücke gezeigt, zum Beispiel von Bert Brecht, aber in schlechtem Deutsch", erzählt Atabayev. Er selbst stammt aus einer kasachischen Familie. "Unsere Nachbarn waren Deutsche, bei uns wurde geschwäbelt", erinnert sich der Regisseur und versucht lächelnd, die Klangfarbe des Dialekts zu imitieren. "Meine erste Liebe war ein deutsches Mädchen, aber ihre Großmutter hat mich gehasst", sagt er. Nur die Sprache ist geblieben von dieser schwäbischen Liebe. Im Deutschland des Westens vermisst er sie allerdings, die Schönheit der Sprache. Nirgendwo höre man altertümliche Worte wie "marode" oder "Waes", was Tante bedeutet.

Im vergangenen August, genau an Goethes Geburtstag, wurde Bulat Atabayev im Weimarer Schloss mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. In seiner Heimat war er kurz zuvor wegen seines öffentlichen Engagements für die Ölarbeiter verhaftet worden. 7000 haben friedlich für besseren Lohn gestreikt, 17 wurden einfach erschossen, darunter auch Frauen und Kinder, berichtet Atabayev. "Zwanzig Tage war ich eingesperrt. Am schlimmsten war die Deportation, 3400 Kilometer weit, bei 50 Grad Hitze in einem Viehwaggon mit 18 Häftlingen." Einen Prozess gab es bis heute nicht. Frei kam er aufgrund internationalen Drucks, der Regisseur Volker Schlöndorff und das ITI, das weltumspannende Theaternetzwerk unter Schirmherrschaft der Unesco, haben sich für ihn eingesetzt. Wenn er jedoch zurückkehre, drohe eine erneute Inhaftierung. Seit Februar dieses Jahres gebe es in Kasachstan keine freie Presse mehr, die Opposition bestehe aus Statisten der Machthaber.

In Deutschland steht er unter dem Schutz des Programms "Parlamentarier schützen Parlamentarier", seine "Patin" ist die Grünen-Abgeordnete Viola von Cramon. Im Kanzleramt dagegen habe man von den Zuständen in Kasachstan noch nie gehört, berichtet der Theatermann. "Sie reden immer von der Rohstoffpartnerschaft", sagt Atabayev, und wiederholt, jede Silbe betonend, das Wort: "Rohstoffpartnerschaft!" Nun steckt er in einer Zwickmühle. "Meine Enkel fragen, wann ich nach Hause komme, mein Sohn rät, in Deutschland zu bleiben."

Diese Woche wird seine Regiearbeit "Die Lawine" in kasachischer Sprache, mit deutscher Einführung, im Meta Theater in Moosach aufgeführt. "Die Musik, das ist der Schrei des Kindes", sagt Atabayev. "Das Baby lacht und löst doch eine Lawine aus, die Lawine der Veränderung."Auf die Frage, ob er Heimweh habe, antwortet er mit einem Gleichnis: "Das Leben ist wie ein Fluss, in dem ich täglich schwimme. Aber ich brauche auch ein Ufer. Für mich ist Deutschland das Ufer, an dem ich mich ausruhe, bevor ich weiter schwimme."

Am Donnerstag und Freitag, 14. und 15. März, wird das Theaterstück "Die Lawine" unter Regie von Bulat Atabayev in Kooperation mit dem Deutschen Theater "Aksaray" in Almaty und der Theaterakademie Köln im Meta Theater in Moosach gezeigt. Beginn ist um 20 Uhr. Kartentelefon: 08091/35 14.

© SZ vom 14.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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