Aßling:Im Bohnenlabor

Aus Leidenschaft zum Kaffee haben Ralf Heincke und Peter Vit in Aßling eine kleine Rösterei gegründet. Sieben Jahre danach ist die Martermühle mittlerweile ein florierendes Unternehmen, bei dem die Qualität immer noch an erster Stelle steht

Von Anja Blum, Aßling

Mit bedeutungsvoller Miene hält Ralf Heincke einen gläsernen Krug in die Höhe, der fast randvoll ist mit Kieselsteinen, Schrauben und anderen Kleinteilen. "Wollen Sie das wirklich in Ihrem Kaffee? - Na eben." Ralf Heincke und sein Spezl Peter Vit sind die Gründer der "Martermühle", einer Kaffeerösterei in Aßling, die sich Qualität zum obersten Ziel gesetzt hat - und daher unter anderem penibel darauf achtet, dass sich keine Fremdkörper zwischen den Bohnen verstecken. Schließlich können diese den Tod eines jeden Vollautomaten bedeuten.

"Aus jeder Bohne das Beste herauszuholen, das treibt uns an", sagt Vit. Und seine strahlenden Augen verraten, dass das Feuer vom Anfang noch in ihm lodert. Denn pure Leidenschaft war es, die die beiden Freunde ins Kaffeegeschäft trieb. "Wir waren einfach fasziniert von diesem Thema, vor allem von der Herstellung, vom Handwerk", erzählt Vit. Gemeinsam hätten sie immer wieder eine kleine bayerische Rösterei besucht und sich vom Chef in deren Geheimnisse einweihen lassen. "Irgendwann hat Ralf dann gesagt, ,Komm, das machen wir auch', aber ich habe das nicht für möglich gehalten", erzählt Vit. Selbst als der mittlerweile befreundete Röster ihnen 2009 für 50 Euro seine Maschine verkaufte, habe er nicht geglaubt, dass daraus entstehen könnte, was die Martermühle heute ist: ein florierendes mittelständisches Unternehmen von exzellentem Ruf. Dessen Name übrigens von dem gleichlautenden Aßlinger Ortsteil stammt, in dem sich die Rösterei befindet - und mittlerweile eine geschützte Marke ist.

Der 51-jährige Vit, der ursprünglich aus Cham stammt und heute in Schalldorf wohnt, war einmal technischer Leiter bei der Filmfirma Arri, Sportwissenschaftler Heincke, 48, geboren im niedersächsischen Verden, lebt seit vielen Jahren in Aßling und hat einen turbulenten Lebenslauf zwischen Medien, Film und PR hinter sich. Als die beiden ihre erste Röstmaschine erstanden hatten, brachten sie diese per Pferdeanhänger in den Hof eines Bekannten in Aßling, wo sie zunächst zwei Räume in Beschlag nehmen durften. "Dahinter war noch ein Bandraum, so dass immer wieder Jungs durch unsere Rösterei gelaufen sind", erinnert sich Heincke und lacht. Doch die zwei Kaffeeliebhaber ließen sich nicht beirren und begannen "hobbymäßig" mit der Produktion. Heincke konnte sich als Selbständiger seine Zeit gut einteilen, Vit kam abends und am Wochenende in das neue Kaffeelabor. "Wir haben selbst geröstet, gemahlen, abgepackt, telefoniert und verschickt - aber die Leute haben auch einfach ans Fenster geklopft, wenn sie Kaffee kaufen wollten." Über einen Umsatz von 50 Euro an einem Samstag hätten sie sich damals sehr gefreut.

Richtig Fahrt aufgenommen hat das Projekt Martermühle nach einer Fernseh-Sendung über die Unterschiede kleiner und großer Produzenten, in der die Aßlinger Rösterei porträtiert wurde. "Danach ist unser Online-Shop regelrecht explodiert", sagt Vit. Ohne Kasse, ohne Kartons und ohne Personal seien sie damals von Interessenten förmlich überrannt worden. Doch die beiden Unternehmer ließen sich nicht aus der Ruhe bringen, erklärten ungeduldigen Kunden am Telefon, dass sie eben eine kleine Rösterei seien, die wirklich frischen Kaffee liefere, und Qualität nun mal ihre Zeit brauche. "Auch in dieser Situation haben wir nicht schneller geröstet", sagt Heincke - und man merkt ihm an, wie stolz er darauf ist.

Denn: Sich für die Kaffeeherstellung Zeit zu nehmen, ist bis heute das Markenzeichen der Martermühle. Etwa 20 Minuten bei 190 Grad werden die Bohnen in Aßling geröstet - anstatt zwei Minuten bei 400 Grad, wie es in der Industrie üblich ist. "Misshandlung" und "Schockröstung" nennt Heincke das automatisierte Schnellverfahren. In der Martermühle hingegen wird größten Wert auf eine schonende Behandlung des Rohstoffs gelegt, das kommt nicht nur dem Aroma zugute, sondern auch der Gesundheit: Je stärker die Bohnen erhitzt werden, desto eher können sich hohe Mengen gesundheitsschädlichen Acrylamids bilden. In Aßling wird daher jede Röstung penibel überwacht und von Hand gesteuert, an der großen roten Maschine, die 30 Kilo Bohnen fasst, stehen ausnahmslos die beiden Geschäftsführer.

"Wir rösten mit allen Sinnen", sagt Heincke. Durch ein kleines rundes Guckloch sieht man, was sich im Inneren der Maschine tut, außerdem können durch eine spezielle Vorrichtung jederzeit Bohnen entnommen werden. Aussehen und Geruch verraten, wie weit der Prozess fortgeschritten ist, für das richtige Licht sorgt ein Scheinwerfer. Vielleicht am wichtigsten aber ist der Röst-Sound: "Wir könnten mittlerweile wahrscheinlich blind rösten", sagt Heincke. Wie Kieselsteine klackern die Bohnen am Anfang in der Trommel, dann wird das Geräusch immer weicher, bis es irgendwann zu knacken anfängt. "Jetzt platzen sie auf", erklärt Heincke - und dass jede Bohne, jede Ernte, ein etwas anderes "Röstprofil" habe. Deswegen sei es so wichtig, Temperaturkurve und Zeit stets im Blick zu haben. "Wir wollen jedes mal auf den Berg, nicht zu früh stehen bleiben, aber auch nicht hinten runterfallen." Nur so könne man die "tausend Aromen der Bohne" zur Entfaltung bringen. Und das zahlt sich aus: Zwei Mal Gold hat die Martermühle heuer beim Wettbewerb der deutschen Röstergilde geholt, für ihren Kaffee und Espresso der Sorte "Pacha Mama".

Nicht nur das Rösten ist den Aßlingern wichtig, auch in anderen Bereichen der Herstellung achten sie auf Qualität, Nachhaltigkeit und Transparenz. Bei Auswahl der Bohnen überlassen die Chefs nichts dem Zufall. "Wir suchen in den Anbaugebieten von Guatemala, Thailand oder Peru persönlich hochwertige Bohnen aus und zahlen Preise, von denen die Bauern auch leben können", so Vit. Kaffee sei nach Öl das zweitgrößte Spekulationsobjekt an der Börse - doch daran beteilige sich die Martermühle nicht. Allerdings verlangen die Geschäftsführer von den Bauern dafür hohe Qualität. "Bei der maschinellen Ernte kommen alle Bohnen in den Sack: rote, grüne und faulige, handgepflückt, so kann man eine Auswahl treffen." Am Ende des Martermühle-Prozesses landen die duftende Bohnen in Tüten mit Belüftungsventil.

Die Liebe zum Detail sieht man dem Interieur der Martermühle an, ein Gewölbe, das mit historischem Charme, Gemütlichkeit und Kaffeeduft einlädt. Eine schmucke Tür wurde aus schweren Bodendielen angefertigt, als Tresen dient eine alte Apothekerkommode mit unzähligen Schubladen, im Eck steht ein Stuhl, der mit Kaffeesäcken bezogen wurde. Auf mehr als 400 Quadratmeter hat sich das Unternehmen inzwischen ausgedehnt, gerade erst wurde die Produktion wieder einmal erweitert. Sechs Angestellte in Vollzeit und etliche Teilzeitkräfte arbeiten momentan in der Martermühle, im laufenden Jahr rechnen die Geschäftsführer mit der Produktion von 80 Tonnen Röstkaffee.

Vertrieben wird dieser auf unterschiedliche Weise: Im Laden direkt in der Rösterei am Ortsrand von Aßling, in den Filialen von Rewe und Edeka in einem Umkreis von etwa 50 Kilometern, sowie deutschlandweit über einen eigenen Online-Shop. Auch Hotels und Büros werden beliefert. Nachholbedarf sieht Heincke bei der Gastronomie. "Da würde ich mir mehr Sensibilität und Verständnis für das Thema wünschen", sagt er. Denn für die Martermühle-Chefs ist klar: Nicht überall, wo "100 Prozent Arabica" draufstehe, sei guter Kaffee drin. Ganz im Gegenteil: In diesem Metier gebe es viele Mythen und Lügen - über die Vit und Heincke gerne aufklären. Zum Beispiel bei Führungen durch ihre Manufaktur. Oft würden sie dabei auch gefragt, warum ihr Kaffee so teuer sei, ein halbes Kilo kostet etwa zwölf Euro. Die Antwort der Martermühle-Chefs ist meist eine Gegenfrage: "Die Bohnen, der Transport, die Röststeuer, diverse Qualitätssiegel, Verpackung, Vertrieb - all das kostet Geld. Wie sollte das denn anders gehen?" Die Zuhörer nickten dann meist, sagt Vit. Möglicherweise denken sie in diesem Moment auch an das Glas mit den Kieselsteinen.

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