Aßling:Geschenkte Heimat

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Der Landwirt Hans Binsteiner hat die Geschichte von Holzen bei Aßling erforscht und zum Dorfjubiläum eine Chronik herausgebracht

Von Carolin Fries, Aßling

"I wui des." Hans Binsteiner bekennt sich gleich schuldig. Denn er ist es, der der Dorfgemeinschaft und dem Pfarrgemeinderat in den vergangenen Wochen und Tagen viel Arbeit gemacht hat und noch weitere bescheren wird. Der 54 Jahre alte Landwirt aus dem kleinen Weiler Holzen in Aßling hatte die Idee, das diesjährige 1250-jährige Bestehen des Dorfes mit einem Fest und Kirchenzug zu feiern. "Die stehen aber alle voll dahinter", sagt er zu der großen Unterstützung aus der Dorfbevölkerung und der Pfarrei. Wahrscheinlich, weil sie wissen, dass Binsteiner selbst sich die meiste Arbeit gemacht hat.

Hans Binsteiner hat rechtzeitig zu den Festlichkeiten eine Ortschronik herausgebracht. "Wenn man etwas weiß, dann will man mehr wissen", sagt er auf die Frage, weshalb er jahrelang Matrikelbücher durchkämmt und in Familiengeschichten nachgeforscht hat. Am Anfang allerdings gab es gar keinen Gedanken an ein Buch. Damals, vor etwa zehn Jahren, fand Hans Binsteiner eine Aufzeichnung von seinem Großvater auf dem Speicher des Hofes. "Ich konnte es nicht lesen", erzählt Binsteiner. Die eigene Familiengeschichte hat ihn damals schon interessiert ("eigentlich bin ich ein Hobby-Ahnenforscher"), weshalb er fieberhaft versuchte, die Buchstaben zu entziffern. Irgendwann war es geschafft und er wusste, dass sein Großvater mit seiner Familie damals schwere Zeiten erlebt haben muss, die Landwirtschaft immer wieder unter Unwettern litt. Hans Binsteiner wollte mehr aus dieser Zeit wissen, weshalb er den ehemaligen Bürgermeister Hans Lebmeier aufsuchte. Dieser konnte dem forschenden Landwirt Daten zu seiner Familiengeschichte aus den alten Pfarrmatrikeln liefern. Doch es blieb eine zeitliche Lücke, und Binsteiner wollte wissen, wer in dieser Zeit Hofeigentümer gewesen war. Also forschte er weiter, fragte bei den Nachbarhöfen an und begann, die Geschichte des Dorfes zu ergründen. Er, der hier geboren und aufgewachsen war und vermeintlich alles und jeden kannte, musste feststellen, dass es noch so viel zu erfahren gab.

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(Foto: Christian Endt)

Hans Binsteiner, 54, mit seiner 304 Seiten umfassenden Ortschronik von Holzen.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Sonnenreiter Weiher haben sich die Holzener einst an warmen Sommertagen erfrischt.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Die Familie war sehr musikalisch", schreibt Binsteiner über Josef Bichler, den Stelzer von Stelzenreit.

Alleine, das merkte er allerdings bald, kam er nicht weit. Deshalb hat er sich an Michael Pleyer gewandt, der "seit Jahrzehnten sämtliche Archive durchwühlt und sich somit ein enormes Wissen bis weit zurück ins Mittelalter über die Geschichte von Holzen und der Umgebung aneignete", wie Binsteiner im Vorwort der Chronik schreibt. Er selbst konzentrierte sich verstärkt auf die Geschichten der einzelnen Höfe und legte dabei besonders viel Wert darauf, möglichst viele Bilder zeigen zu können. Die 304 Seiten umfassende Chronik ist deshalb äußert informativ und doch nicht allzu trocken.

"Vielleicht schon zur Keltenzeit" soll es eine erste Ansiedlung gegeben haben, dafür spreche ein Bodendenkmal aus jener Zeit nordöstlich von Dettendorf, heißt es in "1250 in und um Holzen" - der Grundstock für die bajuwarische Ansiedlung Holzen. Erstmals urkundlich erwähnt wird der Ort im Jahr 765. Damals schenkte der Edle Poapo sein Erbe "ad holze" der Domkirche Freising, behielt aber für sich und seine Söhne auf Lebenszeit das Nutzungsrecht. Im Zuge dieser Schenkung soll auch eine bestehende private Hauskirche als diözesaner Stützpunkt an der Attel errichtet worden sein. 807 soll es gar eine bischöfliche Basilika in Holzen gegeben haben. Im Hochmittelalter übernahmen dann Landadelige die Grundherrschaft, zuletzt die Purfinger. Die Adelsfamilie übertrug ihre Anteile den Klöstern Rott und Tegernsee. Nach der Säkularisation erlangte der Bauernstand erst im 19. Jahrhundert wieder das Volleigentum. Viele Generationen haben seither das Land bewirtschaftet und den Ort gestaltet. Hans Binsteiner ist einer von ihnen. "Ich kann mich gut erinnern, als noch alle Anwesen Milchkühe hatten", schreibt er, bevor er sich ausführlich der Geschichte der 18 Anwesen in und um Holzen widmet. "Nun sind es nur noch drei Milchviehhalter. Acht haben die Landwirtschaft ganz aufgegeben. Fünf bewirtschaften ihre Flächen noch selbst. Zwei sind ganz verschwunden."

Ein Auszug aus der Schenkungsurkunde an die Domkirche Freising. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Binsteiner hat alles, was er gefunden hat, liebevoll zusammengestellt. Jede einzelne Hofgeschichte wird zur Familiengeschichte und damit mal mehr oder weniger bunt und schillernd. Freilich nur in der Fantasie, denn die Chronik selbst zeigt lediglich schwarz-weiße Bilder von einst, die streng dreinblickende Eltern mit ihrer herausgeputzten Kinderschar zeigen oder aber eine Bäuerin im Kittel mit drei weißblonden Kindern um die Beine. Auch Hochzeitsbilder und Fotos der Anwesen von einst und heute sind dabei sowie farbige Bilder der heutigen Hofbesitzer mit ihren Familien. Über Hunderte Jahre hinweg lässt sich so allein anhand von Zahlen und Fakten die Entwicklung auf den einzelnen Höfen nachvollziehen, ohne dass Binsteiner den Familien zu nahe tritt. Freilich stellt sich der Betrachter beim Anblick der Zahlen sehr wohl die Frage: Wie mag es auf den Höfen zugegangen sein, wo in der Regel zwischen sechs und zwölf Kinder großgezogen wurden? Welche Nöte und Freuden hatten die Menschen im 18. Jahrhundert in Holzen? Ein Bild zeigt drei junge Frauen mit Badehaube - Elisabeth, Traudi und Marianne - , die sich im Sonnenreiter Weiher erfrischen. Dort, so Binsteiner, hätten damals alle Holzener das Schwimmen gelernt. Wo der Weiher inzwischen ist? "Den gibt es nicht mehr." In der Chronik bleibt das kleine Idyll den Holzenern erhalten - ebenso wie ihre Verstorbenen, deren Sterbebilder Binsteiner auf den letzten Seiten versammelt.

Hans Binsteiner berichtet von Feuerkatastrophen ebenso wie von Festlichkeiten, und auch der in Bichl entdeckte Erdstall wird in einem Kapitel erwähnt und erklärt. Auch von der Jubiläumsfeier zum 1200-jährigen Bestehen Holzens gibt es ein paar Bilder im Buch. An das Fest selbst erinnert sich Hans Binsteiner aber nicht mehr. Er war damals vier Jahre alt, ein kleiner Bub. Auch deshalb hat er sich das Fest zum 1250. Jubiläum in den Kopf gesetzt. Er möchte sein Holzen einmal ganz bewusst ehren und mit allen Dorfbewohnern auf dieses geschichtsträchtige Fleckchen Land anstoßen, das ihnen allen beständig Heimat und Zuhause ist.

1250 Jahre Holzen, Kirchenzug und Festgottesdienst mit Weihbischof Bernhard Haßlberger am Samstag, 3. Oktober, um 10.30 Uhr in Holzen am Kirchenfleckerl. Anschließend Feier im Pfarrzentrum Aßling mit der Bairer Musi. Die Chronik kann beim Fest für 35 Euro gekauft und auch vorab unter h.binsteiner@t-online.de bestellt werden.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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