Arbeitsmarkt:Potenziale erkennen und nutzen

Das berufliche Fortbildungszentrum in Ebersberg versucht junge Menschen in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Mehr als 70 Prozent der Teilnehmer können so in einen neuen Job vermittelt werden

Von Max Nahrhaft, Ebersberg

- "Ergänzt in diesem Satz die Dativform von Wir", fordert der Deutschlehrer die neun Flüchtlinge im Raum auf. Nach kurzem Überlegen meldet sich schon der erste und sagt die richtige Antwort. Es geht weiter zur nächsten Aufgabe und auch da kommt die Lösung ähnlich schnell. Es ist erstaunlich, welches Niveau die Kursteilnehmer schon nach wenigen Wochen erreicht haben. In dem hellen Raum im Zentrum von Ebersberg lernt die kleine Gruppe sechs Stunden am Tag Deutsch. Im Hintergrund spielt leise Musik, sie schafft eine lockere Stimmung, in der das Lernen Spaß machen soll.

Der Deutschkurs ist eines der vielen Angebote, die das berufliche Fortbildungszentrum der bayerischen Wirtschaft (BFZ) in Ebersberg bereitstellt. "Unser Ziel ist es, junge Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die das bisher nicht eigenständig geschafft haben", sagt Michael Kick, der Leiter des BFZ. Dafür wird den Menschen erst einmal gezeigt, was für Potenziale sie haben und wo ihre Stärken liegen.

Seitdem das BFZ seine Arbeit vor drei Jahren aufgenommen hat, lag sein Schwerpunkt bisher auf berufsvorbereitenden und ausbildungsbegleitenden Maßnahmen für Jugendliche, die den Sprung in den Arbeitsmarkt nicht geschafft haben. Zuerst findet ein Einstufungstest in den Fächern Deutsch, Mathematik und Sozialkunde statt, um die unterschiedlichen Fähigkeiten der Jugendlichen festzustellen. "Dabei lernen sie aber auch sich selbst einzuschätzen und erhalten eine realistische Berufsperspektive", sagt die Sozialpädagogin Sandra Hammerl, die für die Seminarleitung zuständig ist. Danach werden in einem Zeitraum von bis zu zwölf Monaten solange mehrwöchige Praktika absolviert bis die Jugendlichen einen Ausbildungsplatz gefunden haben. Derzeit nehmen 60 junge Erwachsene an dem Projekt teil, das erfahrungsgemäß eine Vermittlungsquote von mehr als 70 Prozent hat. "Zwar ist das Programm freiwillig, doch wir stoßen nicht nur auf Akzeptanz, sondern auch auf Unmut bei den Teilnehmern. Aber da hilft ganz oft gutes Zureden und kleine Hilfestellungen im Alltag", so Kick. Nebenher zu den Praktika wird den Jugendlichen flexibel mit Nachhilfeunterricht und sozialpädagogischer Betreuung geholfen.

Doch seit Ende letzten Jahres hat sich in der Struktur einiges verändert. "Nachdem die ersten Flüchtlinge im Landkreis angekommen sind, haben wir unser Profil um eine zweite große Aufgabe erweitert, nämlich die sprachliche und berufliche Qualifikation der Flüchtlinge", so Hammerl. Das Angebot Perspektiven für Flüchtlinge ist ein zwölfwöchiges Programm, das den Asylsuchenden mit Bleibeperspektive einen ersten Einstieg in die berufliche Realität in Deutschland geben soll. In den ersten vier Wochen gehen sie täglich in einen Intensiv-Deutschkurs, der ihnen Grundkenntnisse vermitteln soll, und erhalten Informationen über den deutschen Arbeitsmarkt. Darauf folgt eine Praktikumsphase von sechs Wochen in einem Unternehmen in der Region. "Sowohl die Bereitschaft der Flüchtlinge für dieses Projekt, als auch die Kooperation der Unternehmen ist sehr hoch", sagt Hammerl. Nebenher werden Seminare angeboten, in denen Sozialkompetenzen und Arbeitstugenden vermittelt werden. In den letzten zwei Wochen wird des Programm von einem Bewerbungstraining abgerundet und die Teilnehmer erhalten nochmals einen Deutschkurs. Im Moment steht das Programm 50 Flüchtlingen offen und ist auch voll ausgelastet. Nicht alle von ihnen haben direkt eine berufliche Perspektive vor Augen. "Wir arbeiten nicht geradlinig darauf hin, alle in einem Beruf unterzubringen. Viele erkennen nach zwölf Wochen auch, dass die Schule oder eine Ausbildung das richtige für sie ist", sagt Ingo Schömmel vom BFZ.

Das Projekt wird im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit ausgeführt und läuft zunächst einmal im Oktober diesen Jahres aus, das BFZ würde aber gern weiter in dieser Richtung arbeiten. Kick sagt dazu: "Wir betreiben hier eine sehr sinnstiftende Arbeit. Unser Fokus liegt nämlich nicht nur auf der beruflichen Qualifikation, sondern wir gehen ganz individuell auf die Persönlichkeit der Kursteilnehmer und deren Stärken ein." Auch dem Vorwurf, dass die Agentur für Arbeit erst dann eingreife, wenn es schon zu spät ist, wollen die Beteiligten entgegnen. "Wir versuchen so früh wie möglich Probleme zu erkennen und den Betroffenen persönlich zu helfen. Dabei darf man die Flüchtlinge nicht als homogene Masse begreifen, sondern muss individuell und zielgerichtet auf jeden Menschen eingehen", sagt Schömmel. Um dabei fachlich immer auf dem aktuellsten Stand zu sein, werden die Mitarbeiter, vor allem die Sozialpädagogen laufend geschult. Ziel ist es, dass sie mit den jeweiligen Gruppen bestmöglich umgehen können und keine Ressentiments haben. "In Deutschland sind wir wirklich führend, wenn es um den Willen geht, die ankommenden Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Das kann ich aber leider nicht von der bayerischen Politik behaupten, von der würden wir uns teilweise mehr Unterstützung erwarten", so Kick.

Gerade kommen die Flüchtlinge aus dem Deutschkurs und haben für den restlichen Tag erst einmal genug vom deutschen Dativ. Sie sind froh, dass sie hier die Möglichkeit bekommen sich zu integrieren. Dementsprechend groß ist auch ihre Bereitschaft, etwas zu lernen.

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