Anzing:Wo Christus durch die Decke geht

Lesezeit: 3 min

  • Am Feiertag Christi Himmelfahrt lebt in Ort Anzing eine barocke Tradition wieder auf: Man kannn dort die Himmelfahrt live erleben.
  • In der Pfarrei nämlich hat das Himmelfahrtsaufziehen, eine jahrhundertealte Tradition, heute noch Bestand.

Von Anja Blum, Anzing

Die katholische Kirche ist ja durchaus bekannt dafür, geistliche Erlebnisse für alle Sinne zu bieten: salbungsvolle Worte, dazu erhabene Orgelklänge, kunstvolle Skulpturen und Gemälde in romantischem Kerzenlicht und, nicht zu vergessen, jede Menge Weihrauch. Über das übliche Maß katholischer Opulenz noch hinaus geht jedoch ein barockes Schauspiel, das an diesem Donnerstag, 14. Mai, in der Anzinger Pfarrkirche zu sehen ist: Dort wird im Gottesdienst um 10.30 Uhr Christi Himmelfahrt, die zum Urbestand christlichen Glaubens gehört, live zu erleben sein.

In der Pfarrei nämlich hat eine jahrhundertealte Tradition heute noch Bestand, das Himmelfahrtaufziehen. Dabei wird eine Christusfigur an einem Seil vom Kirchenboden bis hinauf zur Decke gezogen, wo sie dann in einer Luke, dem sogenannten Heilig-Geist-Loch, verschwindet. Die Öffnung trägt diesen Namen, weil durch sie an Pfingsten eine Taube als Symbol für den Heiligen Geist hinuntergelassen werden kann - "aber wir haben keinen passenden Vogel im Bestand", sagt Pfarrer Bernhard Waldherr und lacht. Das Stahlseil werde jenseits von Christi Himmelfahrt in Anzing nur genutzt, um den Adventskranz aufzuhängen.

Das Himmelfahrtsaufziehen hat Seltenheitswert

Dies ist sicher in vielen Kirchen der Fall, zum Beispiel auch in Ebersberg, das Himmelfahrtaufziehen hingegen hat mittlerweile großen Seltenheitswert: Im Erzbistum München und Freising vollziehen es neben Anzing nur mehr die Pfarreien Sankt Margareta in Baumburg und Sankt Peter und Paul in Mittenwald. In Anzing ist das biblische Spektakel nach dem Evangelium zu sehen, dessen Inhalt es szenisch darstellt: Christus, der seit Ostern unter den Menschen weilte, um ihnen über das Reich Gottes zu sprechen, steigt vor den Augen seiner Jünger in den Himmel auf und nimmt dort seinen Platz zur Rechten Gottes ein. Ein Vorgang von Tragweite: Mit der Auferstehung, so der Theologe Manfred Becker-Huberti, habe Christus "den Himmel als Dimension des Einsseins von Gott und Mensch überhaupt erst begründet".

Die prunkvolle Anzinger Pfarrkirche Mariä Geburt ist in ihrer heutigen Form 1679 entstanden, damals wurde das vorherige Gotteshaus laut Waldherr erheblich umgebaut, vergrößert und barockisiert. Seit wann dort das Schauspiel von Christi Himmelfahrt zu sehen ist, konnte der Priester, der die Pfarrei seit 2008 leitet, bisher nicht in Erfahrung bringen. Wahrscheinlich sei aber, dass der Brauch in Anzing mit dem Kirchenneubau begann. "Vielleicht wurde später, während der Aufklärung zum Beispiel, darauf verzichtet, aber viele ältere Gläubige hier können sich noch daran erinnern, das Spektakel schon als Kind erlebt zu haben", berichtet Waldherr.

Er spricht am Donnerstag zunächst eine kleine Einleitung, dann wird die Christusfigur in Stille langsam nach oben schweben. Mindestens zehn Meter sind es vom Boden bis zur Decke, so dass der Vorgang schon einige Zeit dauert. "Gefühlt: fünf Minuten", sagt der Pfarrer. Danach erklingt ein Christi-Himmelfahrt-Lied. Die entsprechende Messe sei immer gut besucht, erklärt der Pfarrer, der Brauch sei sehr beliebt und würde sicher vermisst, wenn er abgeschafft würde. "Das gehört hier einfach zum Kirchenjahr dazu, so wie das Krippenspiel an Weihnachten."

Früher wurde beim Hochziehen das Wetter prognostiziert

Waldherr selbst empfindet es als besonders schön, dass die Figur sich beim Hochziehen dreht - "und die Gemeinde so in alle Richtungen segnet". Früher hätten die Gläubigen diesen Umstand sogar für Wetterprognosen genutzt: "Aus der Richtung, in die Christus als letztes geschaut hat, sollte das nächste Unwetter kommen." Von dem Brauch, nach dem Hochziehen noch etwas auf die Gemeinde herabregnen zu lassen, etwa Blumen, Heiligenbilder oder Hostien, hat Waldherr jedoch noch nie etwas gehört. "Ich glaube, das wurde hier nie gemacht."

Jedes Jahr an Christi Himmelfahrt lassen die Anzinger ihren Christus also nach oben schweben. Passiert sei nie etwas, versichert der Pfarrer. Die fragile Figur würde einen Absturz wohl auch nicht überleben. Sie hebt segnend die rechte Hand und trägt die Insignien des Auferstandenen. Ihn zieren ein goldener Überwurf, eine Siegesfahne und ein Kreuznimbus, ein Heiligenschein aus drei Strahlen.

Freiwillige, die Jesus hochziehen, müssen schwindelfrei sein

Für seine Himmelfahrt verantwortlich sind in Anzings Pfarrei jedes Jahr zwei Freiwillige, die einigermaßen schwindelfrei sein sollten: Das Heilig-Geist-Loch ist eine Art hölzerner Kamin im Dachstuhl des Gotteshauses. Viele schmale, schiefe, steinerne und hölzerne Stufen muss man von der Sakristei aus erklimmen, um dorthin zu gelangen. Auf der runden Öffnung in der Decke liegen normalerweise ein hölzerner Deckel und ein alter Teppich, "damit es nicht so zieht", erklärt der Pfarrer. Darüber befindet sich eine kleine Seilwinde, mit der die Figur des Auferstandenen nach oben gezogen werden kann. Danach wird sie hinter den Kulissen verwahrt - bis zum nächsten Osterfest.

Wer an der Winde kurbeln will, muss auf einem der Holzbalken neben dem Heilig-Geist-Loch balancieren, denn der Dachstuhl hat keinen ebenen Boden, sondern erhebt sich über dem Deckengewölbe der Kirche. Allerdings bietet sich von dort oben ein einmaliger Ausblick: durch eine mit Stuckarbeiten verzierte Röhre hinunter in den Chorraum. Außerdem kann man dort ein Relikt aus vergangenen Zeiten bewundern: eine große, alte Seilwinde aus Holz. Auch sie legt nahe, dass die Anzinger Christi Himmelfahrt schon lange auf besondere Weise zelebrieren.

Pfarrgottesdienst mit Himmelfahrtaufziehen in der Kirche Mariä Geburt in Anzing am Donnerstag, 14. Mai, um 10.30 Uhr

© SZ vom 13.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: