Anzing:Wenn Babylon verstummt

Unter dem Motto "Zauberbrücke" gibt die Musikinitiative Anzing an diesem Samstagabend in der Pfarrkirche ein Konzert, das Nationen wie Generationen verbindet

Von Anja Blum, Anzing

Wenn an diesen Samstagabend in der Anzinger Pfarrkirche jubiliert wird, wenn dort das "Halleluja" von Händel erklingt, dann geht damit ein Traum in Erfüllung. Der Traum von Andrei Artemenko und Maria Brummer, endlich einmal ihr eigenes Kammerorchester spielen zu hören. Die beiden sind künstlerischer Leiter und Vorsitzende der Musikinitiative Anzing, eines Vereins, der Kindern Musikunterricht am Ort ermöglicht. Doch von einem Kammerorchester war man lange weit entfernt: Zu jung und unerfahren waren die meisten Zöglinge. Also hieß es für Brummer und Artemenko, die beide Geige unterrichten, warten. Auf den heutigen Abend, an dem sie gemeinsam mit fünf Schülern auf der Bühne stehen.

Da diese sieben wackeren Geiger jedoch noch kein Kammerorchester ergeben, hat die Initiative aus der Not kurzerhand eine Tugend gemacht - und Freunde eingeladen. Zum einen eine portugiesische Musikschule, deren russischen Cellolehrer Artemenko seit langem kennt, und obendrein den Neuen Chor Anzing, dessen Schoß die Musikinitiative einst entwachsen ist. Und so hat der Traum vom eigenen Orchester auf einmal noch eine weitere, wunderschöne Facette bekommen: Entstanden ist ein Projekt, das Nationen und Generationen verbindet. Eine "Zauberbrücke", wie es Artemenko nennt. "Wir brauchen in Europa mehr Kultur statt immer nur Geld und Krieg", sagt der gebürtige Ukrainer, "wir brauchen Initiativen, die unsere Beziehungen aufbauen und die Seele stärken."

Anzing: Hier wird im Pfarrsaal geprobt, das Konzert findet in der Pfarrkirche statt.

Hier wird im Pfarrsaal geprobt, das Konzert findet in der Pfarrkirche statt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und was wäre dafür besser geeignet, als gemeinsames Musizieren? Im Anzinger Pfarrsaal, wo das internationale Nachwuchsensemble probt, herrscht babylonisches Stimmengewirr. Gesprochen werden Deutsch, Portugiesisch, Russisch, Ukrainisch und Englisch. Doch dann kehrt plötzlich Stille ein, und all die Menschen verschiedener Herkunft sprechen mit einer Stimme: Bachs drittes Brandenburgisches Konzert erklingt. Die Fenster stehen weit offen, die Abendsonne scheint herein, die ersten kleinen Fans, selbst Nachwuchsgeigerinnen, hören staunend zu.

Die Portugiesen sind mit zehn Schülern und drei Lehrern vor einer Woche angereist, doch geprobt wird freilich schon viel länger. Das Programm aus Bach, Vivaldi, Mozart und Händel steht seit einem Jahr, seitdem haben die Lehrer mit ihren Schülern sowohl in Anzing als auch in Palmela daran gearbeitet. Bei den gemeinsamen Proben leitet Atemenko das Orchester als Konzertmeister beziehungsweise Dirigent an, und auch hier kommt seine Überzeugung vom Brückenbau zum Ausdruck: "Ich bin kein Diktator, ihr müsst aufeinander hören", erklärt er den Musikern. Trotzdem unterbricht er das Spiel immer wieder, vor allem der erste Durchlauf gemeinsam mit den Sängern ist ein wenig schwierig. "Bitte ein bisschen mehr mezzoforte, ein bisschen piano", sagt er zum Orchester, "der Chor ist nicht so groß".

Ja, das Programm ist, für ein Ensemble dieser Art, durchaus anspruchsvoll. "Es ist ein bisschen wie ein zu großes Hemd - aber die Lehrer ziehen die Schüler schon mit", ist Maria Brummer überzeugt. "Es wird nichts schiefgehen." An Begeisterung mangelt es den jungen Musikern jedenfalls nicht, alle sind hoch konzentriert bei der Sache. "Als ich meinen Schülern gesagt habe, dass sie während des Konzerts stehen müssen, haben sie sich über Kindersklaverei beschwert", erzählt Artemenko und lacht. Jetzt stünden sie bei den Proben stundenlang - ohne Murren. Eine der jungen Geigerinnen gibt ihm später Recht: "Daheim habe ich beim Üben immer das Gefühl, mir würden gleich die Arme abfallen, aber das gemeinsame Spielen macht einfach total Spaß." Und wenn wirklich einmal etwas zwickt, massieren sich die Musikerinnen in den Pausen eben gegenseitig. Außerdem steht zwischen den Proben auch viel anderes auf dem Programm: Frisbeespielen im Pfarrhof zum Beispiel, gemeinsame Ausflüge und Abendessen.

Besonders entzückend anzusehen sind die beiden Jüngsten: die elfjährige Katharina Labes und der zwölfjährige Nuno Santos Rodrigues. Nebeneinander stehen sie an einem Pult, sie helle Haut, er dunkle, beide ins Spiel vertieft. Die dünnen Handgelenke fliegen locker durch die Luft, in den Pausen zählen die Lippen unhörbar mit. Nur ab und an, wenn man genau hinschaut, kann man einen verstohlenen Blick von Nuno zu seiner süßen Nachbarin erhaschen. Dieses Konzert wird, das steht fest, ein musikalisches wie menschliches Ereignis.

"Zauberbrücke": Konzert der Musikinitiative Anzing, an diesem Samstag, 11. Juli, um 20 Uhr in der Pfarrkirche. Karten an der Abendkasse

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