Ausstellung in Anzing:Die Ästhetik des Menschlichen

Ausstellung in Anzing: Im heiteren Schwebezustand befindet sich der Mensch bei Lekim Ibragimov.

Im heiteren Schwebezustand befindet sich der Mensch bei Lekim Ibragimov.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eine Doppelausstellung im Loher-Haus in Anzing entführt Besucher in die unbekannte Welt der uigurischen Märchen und Mythen und in die hohe Kunst des Porträtzeichnens

Von Rita Baedeker, Anzing

Das Leben ist hart, Druck und Stress belasten die Menschen, überall auf der Welt. Wenn der uigurische Maler Lekim Ibragimov in russischer Sprache - zum Glück mit Dolmetscherin - und in tiefem Bariton von der Schwere der Welt spricht, dann wirkt er jedoch alles andere als schwermütig. Denn er hat eine überaus sehenswerte Methode entdeckt, den Druck von den Menschen zu nehmen: Er malt Engel, bezaubernde Engel. "Jeder hat einen Schutzengel", sagt Ibragimov. Den Menschen in Moskau, die es auch schwer haben, hat er im vergangenen Jahr ganz in der Nähe des Roten Platzes gleich 1001 Engel geschenkt - auf einem sechzig Meter breiten Gemälde, dem größten Bild der Welt. Über mehr als drei Etagen hoch ist es. Ausgestellt wurde es auch in Prag und in Taschkent. Schließlich werden Engel überall gebraucht.

Leicht wie Vogelfedern wirken Ibragimovs Engel

Ausstellung in Anzing: Seine Tusche-Zeichnungen verraten kalligrafische Meisterschaft.

Seine Tusche-Zeichnungen verraten kalligrafische Meisterschaft.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Die Idee dazu kam mir durch die Geschichtensammlung 1001 Nacht", erzählt der Maler. Und wie um der Schwere auch formal entschieden zu widersprechen, wirken diese Engel, wirken fast alle seine Figuren so leicht wie Vogelfedern, die in der Luft schweben, so filigran wie der Fühler eines Schmetterlings, so grazil wie die Schriftzeichen seiner Heimat, und so unwirklich wie ein Traum. Zart sind auch die Farben, sie erinnern an Steppenlandschaften, an Sand, aber auch an das Blau und Türkis feiner Seide.

Lekim Ibragimov und Siegfried Horst

Lekim Ibragimov ist in einem Dorf in Kasachstan geboren, er studierte Malerei und Grafing in Alma Ata und Taschkent, wandte sich aber nach der Entdeckung der antiken uigurischen Kunst dem Erbe seiner Heimat zu. Ibragimov hat unter anderem in den USA, Japan und Deutschland ausgestellt. Siegfried Horst hat die Staatliche Werkkunstschule Kassel und die Hochschule für Bildende Künste in Kassel absolviert. Auch er ist ein Meister der Kunst, in reduzierter Formensprache und mit schnellem Strich das Wesentliche eines Motivs herauszuarbeiten. Beider Ausstellung wird am Freitag, 2. Oktober, um 19 Uhr im Loherhaus in Frotzhofen/Anzing, Kirchenstraße 11, eröffnet. Die Einführung spricht Birgitta Nagel, die Musik machen Luciana und Adriano. Die Ausstellung ist geöffnet Samstag und Sonntag, 3. und 4. sowie 10. und 11. Oktober, 13 bis 18 Uhr. bae

Von Freitag, 2. Oktober, an zeigt Lekim Ibragimov im Loher-Haus in Frotzhofen eine Auswahl seiner Ölbilder und Zeichnungen aus zwanzig Jahren. Mit ihm stellt der Anzinger Maler Siegfried Horst einige neu entstandene Aquarell-Porträts aus. Beide Maler rücken auf jeweils verschiedene Weise das eigentlich Menschliche über alle Kulturen hinweg in den Mittelpunkt. Horst skizziert mittels weniger Striche und Farben auf geniale Weise Emotionen, zu dieser Serie haben ihn Köpfe aus Keramik inspiriert. Ibragimov wiederum illustriert die Menschheitsgeschichte mit Märchen und Mythen einer alten Kultur, in der er seine künstlerischen Wurzeln fand. Er, der 1944 in einem abgelegenen Bergdorf auf die Welt kam, entdeckte uigurische Wandmalereien, Miniaturen, Architektur und Lyrik, wobei er keiner Religion verpflichtet ist.

"Jeder kann sich den Engel für sein eigenes Leben suchen", sagt er. Nach etlichen Jahren an Kunstakademien in Alma Ata und Taschkent, wo westliche Malerei im Mittelpunkt stand, rückte er von europäischen Vorbildern wieder ab und wandte sich dem eigenen Erbe zu. Körperlos und mit beseligten Gesichtern, die auf wenige physiognomische Merkmale reduziert sind, schweben die Engel durch eine Traumstadt oder gestatten einer vom Leben beschwerten Seele, für eine Weile mitzufliegen, fort aus dem Haus.

Die anderen Figuren aus Ibragimovs Welt, Derwische, halb verschleierte Frauen, nehmen eine meditative Haltung ein, zupfen ein Saiteninstrument, sitzen unter einem Baum mit bunten Früchten, erscheinen als einfache Pilger, die einem weisen Mann lauschen, schauen aus dem Fenster oder blicken nachts durch das offene Dach in den Sternenhimmel. In ihrer Begleitung finden sich meist an den Rand hingetuschte Vögel. Klein sind sie, "malinki", wie das Wort auf russisch heißt. Lekim Ibragimov verwendet es häufig, dieses Wort, wenn er über seine Bilder spricht, die so viel Freude und Poesie ausstrahlen. "Ich male Vögel, weil die Vögel immer um uns sind", sagt er, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, Vögel zu malen. Klein sind auch manche geheimnisvollen Zeichen, die er den Darstellungen und Szenen hinzufügt, zum Beispiel dieser bunte Kegel, der überall auftaucht, und immer dasselbe versinnbildlicht - einen Berg in Kasachstan. Der Berg ist Ibragimovs Heimat, die er wie eine Signatur, einen Ausweis in sich trägt.

In der Malerei des Fernen Ostens ist nicht so sehr die Individualität einer Figur von Bedeutung, sondern die Form. Das wird deutlich bei Ibragimovs kalligrafischen Arbeiten. In einem Schwung zeichnet er ein Pferd, einen Sturm in der Wüste, mit dem er den "Zustand seines Herzens", wie er es nennt, ausdrücken wollte, oder einen Löwen, der mit ausgefahrenen Krallen und aufgerissenem Maul einen Reiter attackiert. Ibragimov demonstriert mit der rechten Hand, wie er den Tuschepinsel führt. Das Pferd im Sturm, so erklärt er, "das bin ich, ich bin klein" - malinki eben - "alles drumherum ist Chaos." Die Eleganz dieser Zeichnungen, die Beherrschung der Form, die Bildeinteilung, das alles ist meisterhaft und höchst ästhetisch.

Am Ende verrät Ibragimov noch einen Grund, warum er überwiegend Engel und andere Frauengestalten darstellt. "Ich male gerne weibliche Formen, Frauen sind bunter angezogen als Männer und graziler." Außerdem, so fügt er mit einem Lächeln hinzu, "führt die Frau im Haus das Regiment." So ist es nur recht und billig, sie als Engel abzubilden.

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